Immer mehr Drogentote: Was katholische Stellen jetzt fordern
Heute vor 29 Jahren starb in Essen der junge Erwachsene Ingo Marten an den Folgen seines Drogenkonsums. Durch das Engagement seiner Mutter wurde der 21. Juli, sein Todestag, 1998 zum Gedenktag für alle Betroffenen. Auch katholische Beratungsstellen setzen sich bis heute dafür ein, dass sich Schicksale wie das von Marten nicht wiederholen. Aber die Sozialträger stehen zunehmend unter Druck.
Seit Jahren steigt die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit Drogen kontinuierlich. Die Bundesregierung verzeichnet für das vergangene Jahr 1.990 Fälle, im Jahr 2012 waren es noch halb so viele. Der steigende Bedarf an Hilfsangeboten macht den Trägern vor Ort zu schaffen, denn Kommunen und Länder hinken in der Finanzierung oft hinterher.
"In Schwaben ist es schon eigentümlich", sagt Rainer Lang, Sozialpädagoge und Fachdienstleiter der Stuttgarter Caritas. "Stuttgart bezeichnet sich als Metropole und verlegt einen Bahnhof unter die Erde. Es tut sich aber schwer, die Mittel für eine Suchthilfeeinrichtung bereitzustellen". Die finanziellen Zusagen für eine zusätzliche Beratungsstelle hat die Stadt im letzten Jahr verschoben. Das Zentrum soll nun erst 2027 eröffnet werden. Zu spät, sagt Lange. Besonders der geplante Konsumraum, der Betroffenen den sicheren Konsum mit sterilen Spritzen ermöglicht, werde dringend gebraucht. "Damit können Tote verhindert werden, da geht es um Infektionsschutz. Aber auch um die Möglichkeit, über den Konsumraum an unsere Angebote herangeführt zu werden". Die Schaffung solcher Konsumräume wurde Sozialträgern in Baden-Württemberg erst 2022 durch die Landesregierung erlaubt. Bisher gibt es im Bundesland nur in Karlsruhe die Möglichkeit zum sicheren Konsum.
Es fehle an sensiblem Umgang
Auch Martina Auer, Leiterin der Suchtberatung des Sozialdiensts katholischer Frauen (SkF) in Bamberg und Forchheim, sieht in Konsumräumen eine Möglichkeit, Drogentode zu verhindern. "Aber Oberfranken liegt in Bayern und Bayern ist politisch nicht sehr fortschrittlich", so Auer. Es fehle an einem sensiblen Umgang mit dem Thema Sucht und an Geldern. Auch die Versorgungslage mit Substitutionsärzten, die zur kontrollierten Abgabe von Opioiden an Abhängige berechtig sind, sei nicht gegeben. Das liege auch daran, dass die Substitution sich für Ärzte im derzeitigen Gesundheitssystem kaum rechne. Um Drogentode zu verhindern, brauche es aber Ärzte, die zum Beispiel die Folgen eines Heroin-Entzugs übergangsweise lindern könnten.
Auer wünscht sich eine akzeptierende Grundhaltung gegenüber Betroffenen und einen schnellen Aufbau von sogenannten "Drug-Checking"-Strukturen, die es Betroffenen ermöglichen, Drogen auf gesundheitsschädliche Inhaltsstoffe zu testen. Am 23. Juni diesen Jahres schuf der Bundestag mit den Stimmen der Ampel-Koalition erstmals eine gesetzliche Grundlage für das "Drug-Checking". "Im Moment fragen die Leute aber noch: Warum sollen wir Geld ausgeben, dass die den Dreck auch noch untersuchen lassen", so Auer. Die Zahl der Drogentoten würde man mit einer solchen Haltung aber nicht reduzieren.
Die Erfahrungen der katholischen Träger decken sich mit den Forderungen von Burkhard Blienert, Beauftragter der Bundesregierung für Sucht und Drogenfragen. "Viele Menschen könnten noch leben – mit einem anderen Umgang mit Sucht und Drogen", mahnt der SPD-Politiker in einer Pressemitteilung. Blienert sieht einen wachsenden Handlungsbedarf auf regionaler und Länderebene: "Das Thema Sucht gehört in den Ministerien und Senaten der Länder auf die Chefebene". Einsparungen bei der Suchtberatung und Anlaufstellen müssten dazu ein "absolutes Tabu" werden. Er mahnt, Sucht nicht als Stigma zu begreifen, sondern als Krankheit – und entsprechende Hilfen zu schaffen.
Arbeit und Spiritualität liegen oft nah beieinander
Für Rainer Lange ist dabei vor allem die Erhaltung einer breiten Palette von Hilfsangeboten relevant. "Als Caritas ist uns die Vielfalt der Angebote besonders wichtig", vom niedrigschwelligen Kontaktcafé über die Substitutionsambulanz hin zu Angeboten für die Kinder von Betroffenen. Man versuche, Hilfeprozesse langfristig zu gestalten. Auch mit spirituellen Angeboten für Betroffene sei man vor Ort vernetzt.
Spirituelle Ressourcen seien zudem für die Haupt- und Ehrenamtlichen zentral. "Unsere Arbeit wird von einem Spirit getragen", bekennt Lange. "Das klingt jetzt ein bisschen modern, aber ich mein das im ganz traditionellen Sinn. Unsere Arbeit ist schon auch eine Form des gelebten christlichen Glaubens". Arbeit und Spiritualität lägen oft nah beieinander. "Da gibt das schon auch etwas Identitätsstiftendes", findet Lange.
Auch für Betroffene können Glaube und die Bibel eine Orientierung bieten. "Die Anonymen Alkoholiker sind zum Beispiel sehr bibelorientiert", so Martina Auer. Das Zwölf-Schritte-Programm der Anonymen Alkoholiker, das 1939 von den beiden Gründervätern veröffentlicht wurde, fordert zum Beispiel dazu auf, seinen Willen und sein Leben der Sorge Gottes, wie ihn jeder für sich versteht, anzuvertrauen. Trotzdem sei es wichtig, allen Betroffenen mit Offenheit zu begegnen, auch jenen die in Gott keinen Trost finden, sagt Martina Auer. So verstehe sie ihr christlich-humanistisches Menschenbild.