Christliche Kirchen gedenken der Befreiung des Konzentrationslager Auschwitz

Offene Wunde

Veröffentlicht am 23.01.2015 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Die Einfahrt zum Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau.
Bild: © dpa
Holocaust

Bonn ‐ Für die beiden großen Kirchen in Deutschland sind die Lehren aus dem Holocaust noch heute aktuell. Auschwitz sei als Synonym für die Shoah "eine offene Wunde am Körper der Menschheit", sagten der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) Heinrich Bedford-Strohm am Freitag in einer gemeinsamen Erklärung.

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In Auschwitz sei den Juden und anderen Inhaftierten das "Menschsein abgesprochen" worden. Die Befreiung des Konzentrationslagers am 27. Januar 1945 jährt sich am kommenden Dienstag zum 70. Mal.

Der Münchner Kardinal Reinhard Marx und der bayerische evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm.
Bild: ©KNA

Der Münchner Kardinal Reinhard Marx und der bayerische evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm.

Aktuelle Bezüge identifizieren die beiden Bischöfe unter anderem in den Herausforderungen, vor denen die Europäische Einigung derzeit steht. Aktuellen nationalistischen Tendenzen müsse sich entschieden entgegen gestellt werden: "Mit großer Sorge sehen wir, dass das europäische Projekt heute von innen und außen empfindlich herausgefordert wird", so Marx und Bedford-Strohm. Menschenverachtenden und fremdenfeindlichen Bewegungen in Europa müsse eine Absage erteilt, Hilfsbedürftigen zur Seite gestanden und die Menschenrechte verteidigt werden. Das sei auch die Botschaft des Evangeliums. Das Zusammenwachsen Europas sei eine Lehre aus dem Nationalsozialismus gewesen.

Gegenseitiges Verständnis statt Ablehnung

Das Entsetzen über den Holocaust, der rund 6 Millionen Opfer forderte, habe sowohl in der evangelischen als auch der katholischen Kirche zu einer theologischen Neubestimmung des Verhältnisses zum Judentum geführt. "Wir dürfen dankbar sein, dass in den vergangenen Jahrzehnten an die Stelle von Gleichgültigkeit und Ablehnung gegenseitiges Verständnis und nicht selten auch Freundschaft getreten sind", sagten die beiden Bischöfe. Dieses Verständnis findet sich auch in einschlägigen Schriften der beiden Konfessionen. Auf katholischer Seite ist das vor allem das 4. Kapitel der Konzilserklärung "Nostra Etate" von 1965 (siehe Dokumentation unten), in der evangelische Kirche die drei Studien "Christen und Juden I-III", die in den Jahren 1975 bis 2000 erschienen. Marx und Bedford-Strohm betonten, die katholische und evangelische Kirche verurteilten entschieden jede Form von Antijudaismus und Antisemitismus.

Auch auf die Frage, wie heutige Generationen mit der Schuldfrage am Holocaust umgehen sollten, gingen die Bischöfe ein. Zwar treffe die Menschen heute keine persönliche Schuld, es gebe jedoch eine Pflicht, verantwortungsvoll mit der Geschichte umzugehen. Immer wieder neu müssten für das kirchliche, politische und persönliche Handeln Konsequenzen gezogen werden. "Als Christen können wir auch der Frage nicht ausweichen, warum die Verbrechen von Auschwitz auf einem Kontinent geschahen, der seit mindestens einem Jahrtausend vom Christentum geprägt wurde", so Marx und Bedford-Strohm.

Über eine Million Tote in Auschwitz

Auschwitz war am 27. Januar 1945 von der Roten Armee der Sowjetunion befreit worden. Dort wurden Juden sowie Roma und Sinti aus vielen europäischen Ländern, Andersgesinnte und sowjetische Kriegsgefangene unter menschenunwürdigen Bedingungen gefangen gehalten und ermordet. Die Zahl der Todesopfer beläuft sich auf 1,1 bis 1,5 Millionen Menschen. (gho)

Dokumentation: "Nostra aetate"

Die jüdische Religion 4. Bei ihrer Besinnung auf das Geheimnis der Kirche gedenkt die Heilige Synode des Bandes, wodurch das Volk des Neuen Bundes mit dem Stamme Abrahams geistlich verbunden ist. So anerkennt die Kirche Christi, daß nach dem Heilsgeheimnis Gottes die Anfänge ihres Glaubens und ihrer Erwählung sich schon bei den Patriarchen, bei Moses und den Propheten finden. Sie bekennt, daß alle Christgläubigen als Söhne Abrahams dem Glauben nach (6) in der Berufung dieses Patriarchen eingeschlossen sind und daß in dem Auszug des erwählten Volkes aus dem Lande der Knechtschaft das Heil der Kirche geheimnisvoll vorgebildet ist. Deshalb kann die Kirche auch nicht vergessen, daß sie durch jenes Volk, mit dem Gott aus unsagbarem Erbarmen den Alten Bund geschlossen hat, die Offenbarung des Alten Testamentes empfing und genährt wird von der Wurzel des guten Ölbaums, in den die Heiden als wilde Schößlinge eingepfropft sind (7). Denn die Kirche glaubt, daß Christus, unser Friede, Juden und Heiden durch das Kreuz versöhnt und beide in sich vereinigt hat (8). Die Kirche hat auch stets die Worte des Apostels Paulus vor Augen, der von seinen Stammverwandten sagt, daß "ihnen die Annahme an Sohnes Statt und die Herrlichkeit, der Bund und das Gesetz, der Gottesdienst und die Verheißungen gehören wie auch die Väter und daß aus ihnen Christus dem Fleische nach stammt" (Röm 9,4-5), der Sohn der Jungfrau Maria. Auch hält sie sich gegenwärtig, daß aus dem jüdischen Volk die Apostel stammen, die Grundfesten und Säulen der Kirche, sowie die meisten jener ersten Jünger, die das Evangelium Christi der Welt verkündet haben. Wie die Schrift bezeugt, hat Jerusalem die Zeit seiner Heimsuchung nicht erkannt (9), und ein großer Teil der Juden hat das Evangelium nicht angenommen, ja nicht wenige haben sich seiner Ausbreitung widersetzt (10). Nichtsdestoweniger sind die Juden nach dem Zeugnis der Apostel immer noch von Gott geliebt um der Väter willen; sind doch seine Gnadengaben und seine Berufung unwiderruflich (11). Mit den Propheten und mit demselben Apostel erwartet die Kirche den Tag, der nur Gott bekannt ist, an dem alle Völker mit einer Stimme den Herrn anrufen und ihm "Schulter an Schulter dienen" (Soph 3,9) (12). Da also das Christen und Juden gemeinsame geistliche Erbe so reich ist, will die Heilige Synode die gegenseitige Kenntnis und Achtung fördern, die vor allem die Frucht biblischer und theologischer Studien sowie des brüderlichen Gespräches ist. Obgleich die jüdischen Obrigkeiten mit ihren Anhängern auf den Tod Christi gedrungen haben (13), kann man dennoch die Ereignisse seines Leidens weder allen damals lebenden Juden ohne Unterschied noch den heutigen Juden zur Last legen. Gewiß ist die Kirche das neue Volk Gottes, trotzdem darf man die Juden nicht als von Gott verworfen oder verflucht darstellen, als wäre dies aus der Heiligen Schrift zu folgern. Darum sollen alle dafür Sorge tragen, daß niemand in der Katechese oder bei der Predigt des Gotteswortes etwas lehre, das mit der evangelischen Wahrheit und dem Geiste Christi nicht im Einklang steht. Im Bewußtsein des Erbes, das sie mit den Juden gemeinsam hat, beklagt die Kirche, die alle VerfoIgungen gegen irgendwelche Menschen verwirft, nicht aus politischen Gründen, sondern auf Antrieb der religiösen Liebe des Evangeliums alle Haßausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus, die sich zu irgendeiner Zeit und von irgend jemandem gegen die Juden gerichtet haben. Auch hat ja Christus, wie die Kirche immer gelehrt hat und lehrt, in Freiheit, um der Sünden aller Menschen willen, sein Leiden und seinen Tod aus unendlicher Liebe auf sich genommen, damit alle das Heil erlangen. So ist es die Aufgabe der Predigt der Kirche, das Kreuz Christi als Zeichen der universalen Liebe Gottes und als Quelle aller Gnaden zu verkünden. (Quelle: http://www.vatican.va)