"Die Kirche für alle": Was Papst Franziskus sagt und was er meint
"Todos! Todos! Todos!" [Alle! Alle! Alle!], schallte es durch Lissabon und Fátima. Die Worte des Papstes beim Weltjugendtag machten Eindruck auf junge Menschen und Medienvertreterinnen und -vertreter aus aller Welt. Es ist nicht das erste Mal, dass der "Hoffnungsträger" vom anderen Ende der Welt eine offene Kirche beschwor. Dafür erntet Franziskus stets Applaus auf Plätzen, Sendezeit in Nachrichtensendungen und genervtes Augenrollen in reaktionären Kreisen.
Der alte Papst bringe frischen Wind in die misogyne, homophobe und verkrustete Institution, heißt es. Er bereite den Weg für einen neuen, inklusiveren Umgang, jubeln einige und verweisen auf die Weltsynode. Andere sehen schon das Matriarchat mit wehenden Regenbogenfahnen über dem Grab Petri dämmern und hoffen auf ein baldiges Ende des "Horror-Pontifikats". "Die Kirche ist eine Kirche für alle", betont Franziskus immer wieder und fordert seine Zuhörenden auf, das Wort "alle" mit ihm zu wiederholen. "Alle" sind zufrieden – oder doch nicht?
Auf der berüchtigten "Fliegenden Pressekonferenz" führte der Pontifex dann aus, was er unter einer Kirche für "alle" versteht. Von der KNA-Korrespondentin Anita Hirschbeck auf den offensichtlichen Widerspruch angesprochen, wie Kirche denn für alle offen sein könne, aber nicht jeder darin die gleichen Rechte und Chancen bekomme, "in dem Sinne, dass zum Beispiel Frauen und Homosexuelle nicht alle Sakramente empfangen können" gab Franziskus eine erhellende Lehrstunde in katholischem "Neusprech".
Partizipation, Geschlecht und Sexualität
Natürlich sei die Kirche für alle offen, wiederholte der Papst erneut. Doch wer einmal darin sei, habe sich anschließend an die Regeln zu halten, die darin gelten. Damit meint der Papst unter anderem Partizipationsmöglichkeiten, die an Weihe und damit an das Geschlecht gebunden sind, ebenso wie die für das Lehramt einzig zulässige Form ausgelebter Sexualität: zwischen Mann und Frau und in der Ehe.
Dass nicht alle an allen Sakramenten auf gleiche Weise partizipieren können, ist für den Papst dabei kein Problem: Schließlich hätten alle ihren Platz in der Kirche; und Gott und Kirche leiteten alle gemäß ihrem Ratschluss innerhalb dieses Raums. Jedoch gebe es Menschen, die diese Vorstellung nicht verstünden und meinten, dies und jenes müsse getan werden, um Teil der Kirche zu werden, so der Pontifex. Diese Vorstellung weist der Kirchenführer scharf als Häresie zurück. Damit würde die Kirche ungebührend auf irdische Logiken reduziert werden. Sie sei schließlich viel mehr. Wer in ihr sei, solle den (für sie oder ihn lehramtlich vorgesehenen) Weg in ihr gehen, ohne viel Aufhebens zu machen, fügt der Pontifex hinzu.
Die Inklusivität des päpstlichen Kirchenbildes endet also hinter der Kirchentür. Der Papst doziert damit geltendes Kirchenrecht: Es stellt fest, dass es unter Katholikinnen und Katholiken "aufgrund ihrer Wiedergeburt in Christus in ihrer Würde und Tätigkeit eine wahre Gleichheit" gebe, "in der alle, gemäß ihrer je eigenen Stellung und Aufgabe, am Aufbau des Leibes Christi mitwirken". Die für "alle" offene Tür des Papstes findet sich zwischen den beiden Halbzitaten und ist Kern des katholischen Würde- und Gleichheitssprechs.
Die Gleichheit in der Würde – die in der Taufe und nicht im Menschsein fußt – begründet die grundsätzliche Offenheit der Kirche für "alle". Daraus ergibt sich aber kein Anspruch auf gleichartige Mitwirkung – hier liegt die Häresiefalle, auf die der Papst über den Wolken hingewiesen hat. Dieser kirchliche Würdebegriff darf nicht mit dem Gleichheitsbegriff moderner Staaten verwechselt werden. Während in demokratischen Staaten die Gleichheit in der Würde zu einer rechtlich-politischen Gleichstellung führt, besitzt die römisch-katholische Kirche andere Einsichten.
So erklärt es sich, dass der Papst ohne Selbstwiderspruch von der fundamentalen Offenheit der Kirche für "alle" sprechen und im gleichen Atemzug Frauen auf ihren Platz in der Kirchenbank verweisen kann. Ebenso passt sein Verdikt, dass Homosexuelle keinen Zugang zum Priesteramt haben, weil sie nicht keusch leben können (so der Papst in einem Interview-Buch 2018) zu seiner Vorstellung einer inklusiven Kirche und auch die Tatsache, dass bei der Weltsynode über alles gesprochen werden kann, jedoch entscheidend nur das ist, was der Papst als beachtenswert ansieht, ist systemkompatibel.
Gerechte vs. ungerechte Diskriminierung
Aufschlussreich ist bei alldem die Katechismuspassage zur Homosexualität. In Nr. 2358 des Weltkatechismus der Katholischen Kirche von 1992 steht: "Man hüte sich, sie in irgendeiner Weise ungerecht zurückzusetzen." In der kirchenamtlich gültigen Logik wird also zwischen gerechter und ungerechter Diskriminierung unterschieden. Jeder und jede, der oder die die Passage des Katechismus als Maßstab für eine inklusive Kirche heranzieht ("Er verurteilt ja nicht"), muss sich die Frage gefallen lassen, was für ihn oder sie gerechte Diskriminierung ist. Gleiches ließe sich mit Blick auf Frauen ausführen.
Die kirchliche Umdeutung von Worten, wie sie der Papst mit "alle" vollzieht und das Beschwören von "wahrer Gleichheit" und "echter Mitwirkung" entstammt der selben kirchlichen Trickkiste. So werden für freiheitlich-demokratisch geschulte Ohren Hoffnungen geschürt, die am Verweis auf höhere Einsichten zerschellen.
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