Das eigene Schicksal als Türöffner für andere

Wie ein Baptistenpfarrer in Georgia seine Kirche füllt

Veröffentlicht am 13.08.2023 um 00:01 Uhr – Von Thomas Spang (KNA) – Lesedauer: 

Washington ‐ Während die US-amerikanische Southern Baptist Church die Uhren zurückzudrehen scheint, geht ein Baptisten-Pfarrer aus Georgia einen anderen Weg. Das Resultat: Seine Kirchenbänke füllen sich. Die Geschichte ist inzwischen landesweit bekannt.

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Neuerdings geht Teri Massey wieder in die Kirche, die sie vor knapp zwei Jahrzehnten verlassen hatte. Ihr Sinneswandel hat mit Pfarrer Grant Myerholtz zu tun, der die "Mount Hebron Baptist Church" von Hartwell im Bundesstaat Georgia zu einer Kirche mit geöffneten Türen gemacht hat. Weit genug für die 63-Jährige, sich wieder hineinzuwagen. Myerholtz habe ihr geholfen, neues Gottvertrauen zu finden, das sie 2004 verloren habe.

Das war, als die Gemeinde anfing, Teri nach ihrem Coming-Out als homosexuell wie eine Aussätzige zu behandeln. Statt neben ihr auf der Kirchenbank zu sitzen, standen plötzlich Frömmler vor ihrem Haus und hielten Gebetswachen; Gott möge das schwarze Schaf zur "Umkehr" bewegen. Teri fühlte sich nicht mehr willkommen.

Neues Selbstverständnis mit sichtbarem Erfolg

Seit Herbst 2020 haben sich ein paar Dinge in "Mount Hebron" geändert. Der neue Pfarrer verpasste der mehr als 100 Jahre alten Gemeinde im ländlichen Nordosten Georgias ein neues Selbstverständnis. Mit sichtbarem Erfolg. Die leeren Kirchenbänke füllten sich wieder. Inzwischen hören manchmal rund 100 Gottesdienstteilnehmer auf das, was der 47-Jährige zu sagen hat.

Der Erfolg des Baptistenpfarrers ist in Zeiten schwindender Mitgliederzahlen so bemerkenswert, dass die "Washington Post" Myerholtz ein ausgiebiges Porträt widmete. "Alle sind willkommen", so lautet die frohe Botschaft des Pfarrers, mit der er seine Kirche füllt. Sehr zum Unbehagen traditioneller Kirchen, die ihn scharf dafür kritisierten, als er im April das Eröffnungsgebet beim "Hartwell Pride Festival" sprach.

Schild der "Mount Hebron Baptist Church"
Bild: ©KNA/The Washington Post/Will Crooks

Das Willkommensschild der Kirche "Mount Hebron Baptist Church" in Hartwell. Die Aufschrift lautet "The Tired, The Poor and Huddled Masses – Welcome Home (dt.: "Die Müden, die Armen und die geknechteten Massen – Willkommen zu Hause").

In der von Pietismus und Patriotismus geprägten Region ist Myerholtz ein Sonderling. Erst recht unter den baptistischen Gemeinden, die gut die Hälfte der Kirchen ausmachen. Besondere Aufmerksamkeit weckt der tätowierte Pfarrer auch, weil sein Engagement einen Kontrast liefert zum Dachverband der Southern Baptist, der auf seiner Jahrestagung in New Orleans gerade erst beschlossen hatte, die Uhren zurückzudrehen. Für die Rolle von Frauen in der Kirche, aber auch beim Umgang mit sexuellen Minderheiten.

"Mount Hebron" gehört der SBC gar nicht mehr wirklich an – weil Myerholtz wenig von konfessionellen Abgrenzungen hält und auch Probleme mit den traditionellen Lehren seiner Kirche hat. Sie stünden der Botschaft Jesu nur im Wege. Der Pfarrer setzt auf einen inklusiven Ansatz, der niemanden ausschließt. Auch seine äußere Erscheinung unterscheidet sich auffällig vom Mainstream konservativer Baptisten. Er predigt in T-Shirt und Jeans und trägt seine Tattoos gut sichtbar auf den Oberarmen.

Empathie für Außenseiter

Wichtiger als das Äußere aber ist seine Empathie für Außenseiter, die viel mit der eigenen Biografie zu tun hat. 2011 zog sich Myerholtz als Nationalgardist bei einer Trainingsübung schwere Gehirn- und Wirbelsäulen-Verletzungen zu. Während seiner langen Genesung las er "The Ragamuffin Gospel" des ehemaligen Franziskaner-Paters Brennan Manning. Ein Schlüsselerlebnis. Die Botschaft bedingungsloser Gnade machte er sich zueigen. Und hat sich nun selbst zur Lebensaufgabe gewählt, die Bibel zugänglicher zu machen.

Was ihm zu gelingen scheint. Myerholtz' Kirchenbesucher fühlen sich von seinem Einfühlungsvermögen angezogen. So wie Jake Duvall, ein traumatisierter Kriegsveteran, der zweimal im Irak stationiert war. Er tue sich schwer, mit vielen Menschen an einem Ort zu sein, antwortete er Myerholtz – der ihn zum Gottesdienst einlud. Der Pfarrer zeigte Verständnis. "Komm einfach, wie du bist, und nicht, wie du sein solltest." Seitdem sitzt Jake regelmäßig in der ersten Reihe und kommt mit seinen Trauma-Symptomen besser zurecht.

Vor kurzem fragte Myerholtz seine Gottesdienstbesucher, während er auf einem Klappstuhl neben den Kirchenbänken saß, ob sie schon mal so hart vom Leben bestraft wurden, dass sie an Gott zweifelten. "Das macht Sie nicht zu einem schlechten Menschen", gab er zur Antwort, als sich zahlreiche Hände nach oben reckten. Für Gott zähle nur, wie wir miteinander umgehen. Dieser Umgang hat Teri zurück in die "Mount Hebron"-Kirche gebracht, die heute so ganz anders ist als die, die sie aus ihrer Jugend kannte. "Es war", sagt sie, "als wäre eine Last von mir abgefallen."

Von Thomas Spang (KNA)