Gänswein: Austritte Zeichen für "Morsches" im Inneren der Kirche
Die hohe Zahl der Kirchenaustritte in Deutschland ist aus Sicht des ehemaligen Privatsekretärs von Papst Benedikt XVI., Erzbischof Georg Gänswein, ein Zeichen dafür, "dass es viel Morsches im Inneren der Kirche" gibt. "Wenn der Glaube nicht mehr kraftvoll und freudig verkündet wird und es um vieles anderes geht, was der Glaubensweitergabe überhaupt nicht hilft, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis ein Ast, der nicht mehr genährt wird, vertrocknet und abstirbt", sagte Gänswein der "Tagespost" (Donnerstag). Er ergänzte: "Oder, noch schlimmer: Bis die Wurzeln den Baum nicht mehr nähren." Den Wallfahrtsort Maria Vesperbild bezeichnete er als "ein Gegengift gegen das Gift des Zeitgeistes".
Zu Mariä Himmelfahrt hatte Gänswein am Dienstagabend den Festgottesdienst im schwäbischen Wallfahrtsort Maria Vesperbild gefeiert. Der Wallfahrtsort sei für ihn immer ein Ort gewesen, "der mich zum Gebet eingeladen hat, an dem ich mich wohlfühle und wo ich meine Last abladen konnte – auch sakramental". Er bezeichnete Maria Vesperbild als Tankstelle für seinen persönlichen Glauben. Die vielen Menschen, die den Wallfahrtsort täglich besuchten, zeigten, "dass sie hier für ihr eigenes Leben etwas mitnehmen, das sie anderswo offensichtlich nicht bekommen". Es gehe darum, die "inneren Quellen des Glaubens freizulegen und zum Fließen zu bringen und von dort Kraft und Zuversicht zu schöpfen".
Maria sei nicht reformbedürftig
Angesprochen auf den fehlenden Volksaltar im Wallfahrtsort sagte Gänswein, er zelebriere gerne am Hochaltar. "Die Ausrichtung nach Osten oder "versus Dominum" – zum Herrn – gibt auch eine innere Sammlung, die meines Erachtens überhaupt nichts vom Gebet derer nimmt, die die heilige Messe mitfeiern." Der gemeinsame Blick zum Herrn störe daher nicht, sondern trage zur Sammlung bei. "Und darum geht es in der heiligen Messe: dass man sich auf den Herrn hin orientiert, zum Herrn betet und vom Herrn das Sakrament empfängt."
Des Weiteren betonte Gänswein in Hinblick auf das Marienbild von "Maria 2.0", dass Maria selbst nicht reformbedürftig sei. "Wenn die Muttergottes aus der Lebendigkeit des Glaubens herausgenommen wird, weil man ein bestimmtes Frauenbild hat, ist ein verzerrtes Marienbild die Folge." Die Pietà im Hochaltar von Maria Vesperbild bezeichnete der Erzbischof als ein "Sinnbild der Mütterlichkeit, des Vertrauens und der Hingabe". "Sie drückt keinen Mangel aus und stellt auch nichts Überholtes dar, das nicht mehr in die Zeit hineinpasste. Mütterlichkeit passt in jede Zeit hinein, auch wenn manche das nicht mehr für zeitgemäß halten", betonte Gänswein. Die Betrachtung der Pietà stärke ihn persönlich und schenke ihm innere Kraft.
Der 67-Jährige stammt aus dem Schwarzwald und lebt seit einigen Wochen in Freiburg. Der langjährige Privatsekretär von Papst Benedikt XVI. erhielt nach dessen Tod Ende des vergangenen Jahres keine neue Aufgabe in Rom und wurde nach Deutschland zurückgeschickt. Auch in seinem Heimaterzbistum hat er derzeit keine dauerhafte Beschäftigung. (cbr)