Queerpastoral: "Sichere Orte" innerhalb einer verletzenden Kirche?
"Die Kirche ist für alle" – das war eine der zentralen Botschaften, die Papst Franziskus beim Weltjugendtag gesendet hat. So zentral, dass er die Pilgerinnen und Pilger das spanische Wort "Todos" (Alle) gleich dreimal wiederholen ließ. Bei seiner berühmten fliegenden Pressekonferenz auf dem Rückweg von Lissabon nach Rom ordnete er diese Aussage aber noch einmal ein: "Die Kirche ist offen für alle, doch dann gibt es Gesetzgebungen, die das Leben innerhalb der Kirche regeln", so der Papst auf die Frage einer Journalistin. "Jemand, der drinnen ist, unterliegt der Gesetzgebung."
Das bekam kürzlich auch ein Pfarrer in Mettmann zu spüren: Nach einer anonymen Anzeige im Vatikan wurde der Priester vom Kölner Erzbischof dafür verwarnt, dass er einen Segnungsgottesdienst für alle sich liebenden Paare gefeiert hatte. Der Pfarrer kritisierte im Anschluss zwar die Distanz zwischen kirchlichem Lehramt und dem Leben der Menschen, kündigte aber an, die ihm erteilten Auflagen zu respektieren. Solche Vorgänge zeigen deutlich, dass homosexuelle Paare in der katholischen Kirche auf Grenzen und mitunter auch Ablehnung durch die Kirche und ihre Amtsträger stoßen und sich deshalb unsicher fühlen.
Gläubige müssten sich in Queer-Community "fast verstecken"
Und eine weitere Frage stellt sich der Queerpastoral in der aktuellen Gemengelage innerhalb der deutschen Diözesen: Obwohl es mittlerweile in 20 der 27 deutschen Diözesen Ansprechpersonen und Seelsorgende für queere Menschen gibt, ist ihre Arbeit längst nicht selbstverständlich. So beklagte der Passauer Queerseelsorger Hans-Peter Eggerl kürzlich in einem Interview, dass queere Gläubige sich in ihrer Community "fast verstecken" müssten, weil die Kirche vielen immer noch als Feindbild gelte. Auf der anderen Seite würden queere Menschen in konservativen Gemeinden oft schief angeschaut. Für Eggerl hatte das sehr direkte Konsequenzen: So habe er im vergangenen Jahr beispielsweise mehrere queere Andachten angeboten "und die sind alle ausgefallen, weil da niemand gekommen ist", konstatiert der Seelsorger. "Nahezu alle Veranstaltungen, die ich für die queere Gruppe geplant habe, sind mangels Teilnehmerzahl entfallen."
Seelsorger Heek: Kirche muss queeren Menschen ihre Offenheit zeigen
Erfahrungen austauschen, Unsicherheiten besprechen: Das wollen Seelsorgende für queere Menschen aus 15 Bistümern in einer gemeinsamen Arbeitsgemeinschaft. Andreas Heek koordiniert sie und erklärt im katholisch.de-Interview, warum sich die Kirche bei queeren Menschen entschuldigen müsste.
Die Situation, die Eggerl beschreibt, kennt auch Jens Ehebrecht-Zumsande. "Es gibt – verständlicherweise – sehr viele Vorbehalte von queeren Menschen gegenüber Angeboten der Kirche", sagt der Ansprechpartner für LSBTIQ*-Personen im Erzbistum Hamburg. "Da gibt es so viele Verletzungen, dass queere Menschen zurecht zunächst einmal misstrauisch sind, wenn die katholische Kirche ein Angebot macht." Queere Menschen, die sich für kirchliche Angebote interessierten, prüften sehr genau, wer dort mit welcher Absicht agiere. "Die Grundfrage ist oft: Ist das ein 'sicherer Ort' für mich, oder muss ich damit rechnen, dass bei dem Angebot erneute Verletzungen passieren", erklärt Ehebrecht-Zumsande, der auch zum Sprecherteam der Initiative "#OutInChurch" gehört.
Kaum Relevanz für Queer-People
"Um es ganz nüchtern auszudrücken: Wir haben derzeitig als römisch-katholische Kirche für Queerpeople kaum Relevanz", fasst Pastor Gerd Wittka zusammen. Der Oberhausener Krankenhausseelsorger gehört dem "Netzwerk Queer im Bistum Essen" an. Die Kirche sei nicht die erste Adresse, bei der queere Menschen ihr geistliches und spirituelles Bedürfnis stillen wollten. Er rät deshalb zu Bescheidenheit: "Wir werden auf diesem Gebiet Pionierarbeit leisten müssen, die eigentlich mit gar nichts rechnen darf, was irgendwie nach Erfolg aussieht."
Einen langen Atem, viele persönliche Gespräche und Vertrauensarbeit in den queeren Netzwerken – das ist es, was Queerpastoral auch aus Sicht von Andreas Heek braucht. Der Leiter der Arbeitsstelle für Männerseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) ist Mitorganisator der "Arbeitsgemeinschaft LSBTIQ*-Pastoral in den deutschen Diözesen". Genau diese Vertrauensbildung hält er für eine wesentliche Aufgabe der Queerpastoral – genauso wie eine umfassende Bildungsarbeit im kirchlichen Bereich und ein offenes Ohr für die Sorgen und Fragen queerer Menschen.
Diese Einzelgespräche seien gerade deswegen notwendig, weil viele queere Menschen von Kindesbeinen an gelernt hätten, dass Gott ihr Fühlen nicht gutheiße, erklärt Heek. Ähnliche Erfahrungen hat Ehebrecht-Zumsande gemacht. "In der Einzelseelsorge geht es häufig darum, wie die eigene queere Identität und die eigene Religiosität 'versöhnt' werden können", sagt der Seelsorger. "Die noch immer geltende katholische Lehre stellt sich für viele queere Menschen als 'unlebbar' heraus."
Auch Pfarrer Christoph Behrens, Beauftragter für die "Pastoral für Homosexuelle und ihr Umfeld" im Bistum Dresden-Meißen, betont, dass die Kirche durch ihre Strukturen vielen Menschen Leid zugefügt habe. Die theologische Auseinandersetzung müsse dem Rechnung tragen – und unter anderem eine Revision des Katechismus anstreben.
"Homosexuelle Handlungen" laut Katechismus "in keinem Fall zu billigen"
Grundsätzlich ist die Position der Amtskirche nämlich klar gefasst: "Jeder Mensch, ob Mann oder Frau, muss seine Geschlechtlichkeit anerkennen und annehmen", heißt es im Katechismus der Katholischen Kirche (KKK 2333). Raum für trans- oder intergeschlechtliche Menschen ist im binären Geschlechterbild der Kirche keiner. Homosexuelle Menschen ruft der Katechismus zur Keuschheit auf (KKK 2359). Das Lehrdokument ermahnt zwar, homosexuellen Menschen mit "Achtung, Mitgefühl und Takt" zu begegnen, hält aber gleichzeitig fest, dass "homosexuelle Handlungen" in "keinem Fall zu billigen" sind (KKK 2357): "Diese Neigung, die objektiv ungeordnet ist, stellt für die meisten von ihnen eine Prüfung dar." (KKK 2358) 2021 hielt ein "Responsum ad dubium" der Kongregation für die Glaubenslehre fest, dass die Kirche nicht die Vollmacht habe, Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts zu segnen. Dies sei "weder eine ungerechte Diskriminierung noch enthält sie die Absicht, eine solche zu sein, sondern ruft die Wahrheit des liturgischen Ritus in Erinnerung und das, was dem Wesen der Sakramentalien zutiefst entspricht, so wie die Kirche sie versteht".
Bischof zu Queerpastoral: Angst vor Untergrabung der Lehre ist unnötig
Bischof Mackinley aus Australien hat mit seinen australischen Mitbrüdern ein Papier zum queersensiblen Umgang an katholischen Schulen veröffentlicht. Im Interview erklärt er, wie Queerpastoral und Kirchenlehre nebeneinander existieren können und welche Erwartungen er an die Weltsynode hat.
Dass solche Regelungen durchgesetzt werden, bekam zuletzt der bereits erwähnte Mettmanner Pfarrer mit einer Verwarnung durch die Kölner Bistumsleitung zu spüren. Für Andreas Heek war dieser Vorgang ein deutlicher Hinweis darauf, dass queere Menschen kein selbstverständlicher Teil der Gemeinde sind. "Die Abmahnungen von pastoralen Diensten, die gleichgeschlechtliche Paare gesegnet haben, möglicherweise durch Denunziationen von Gemeindemitgliedern nach Rom, zeigen doch, wie weit die Inklusion in die Gemeinden fortgeschritten ist, nämlich noch gar nicht", kritisiert er.
"Im Idealfall sollte sich die queere Seelsorge irgendwann erübrigen"
Spezielle Angebote für queere Menschen gibt es daher oft auf überdiözesaner und nicht unbedingt auf Pfarrei-Ebene. Durch diese Form der Seelsorge werden queere Menschen mit ihren Sorgen und Nöten ein Stück weit aus der Gemeindearbeit herausgehoben. Eine Stigmatisierung dadurch weisen die Queerseelsorger aber vehement zurück. "Stigmatisierung findet nicht durch sichere, eigene Räume in der Kirche statt, sondern durch Gemeindemitglieder, die sich auf der Seite Gottes wähnen, wenn sie Angestellte der Kirche denunzieren und indirekt ihre Brüder und Schwestern im Glauben verraten", sagt Heek. "Angebote der Queerpastoral eröffnen 'sichere' Räume, in denen queere Menschen so sein können und glauben können, wie sie sind, ohne sich dafür dauernd erklären oder gar rechtfertigen zu müssen", ergänzt Ehebrecht-Zumsande. Für ihn sind die Angebote der Queerpastoral eher eine Ergänzung als ein Gegenangebot.
Pfarrer Behrens denkt noch einen Schritt weiter: "Im Idealfall sollte sich die queere Seelsorge irgendwann erübrigen." Seelsorge suggeriere manchmal einen Mangel bei denen, an die sie sich wende, sagt der Priester. Für ihn stellt sich dabei die Frage, wer eigentlich wen braucht: "Queere Menschen sind von uns davongelaufen, sollten wir ihnen jetzt hinterherlaufen oder ihnen das Gefühl geben: Wir brauchen euch, Christus braucht euch in dieser Welt, die Kirche braucht euch." Die Kirche sollte sich schützend vor die Menschen stellen, fordert er – und sieht viel Arbeit: "Solange wir immer noch die 'Light'-Versionen für Sakramente oder Ordinationen im Blick haben und nicht mutiger die volle Teilhabe anbieten, werden wir wohl die spezielle Form der Queerpastoral nötig haben." Auch Andreas Heek sieht noch einen weiten Weg, bis queere Menschen mit ihren Sorgen und Nöten Teil der Gemeinde vor Ort sind. "Das sind nur einige Gründe, warum es Queer-Seelsorge braucht, mehr denn je."