Pastoralreferent Georg Kleemann hat Christopher Street Day federführend geplant

Mitorganisator von CSD: "Haben den Bischof nicht um Erlaubnis gefragt"

Veröffentlicht am 22.08.2023 um 16:09 Uhr – Von Roland Müller – Lesedauer: 

Haltern am See ‐ Eine ungewöhnliche Allianz? In der Kleinstadt Haltern am See haben katholische Pfarrei und Caritas einen Christopher Street Day ins Leben gerufen. Im katholisch.de-Interview erzählt Pastoralreferent Georg Kleemann, wie die Feier abgelaufen ist und was er Kritikern antwortet.

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Ein Christopher Street Day (CSD) ist eine Veranstaltung von homo-, bi-, trans- und intersexuellen Menschen, bei der sie ihre sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität feiern. In der Kleinstadt Haltern am See im Bistum Münster fand nun der erste CSD statt – organisiert von der katholischen Pfarrei und der Caritas. Pastoralreferent Georg Kleemann hat die Veranstaltung federführend vorbereitet und erklärt im Interview, warum es seiner Meinung nach folgerichtig ist, dass gerade die Kirche für den CSD verantwortlich zeichnete.

Frage: Herr Kleemann, am Samstag hat in Haltern am See der erste CSD stattgefunden. Die Veranstaltung wurde federführend von der örtlichen Kirchengemeinde St. Sixtus mitorganisiert. Wie fällt Ihr Resümee der Veranstaltung aus?

Kleemann: Der CSD war ein voller Erfolg – und das ist nicht nur so daher gesagt. Es waren mehr Teilnehmende da, als wir erhofft hatten. Die Zahl von 600, die in mehreren Lokalmedien kursiert, kann hinkommen, aber wir haben nicht selbst nachgezählt. Natürlich sind viele aus der queeren Community dabei gewesen, sowohl aus Haltern als auch aus anderen Orten. Aber auch viele nicht-queere Menschen haben mitgefeiert, von Kindern bis hin zu Senioren waren alle Altersstufen vertreten. Das war genau das, was wir wollten: Einerseits ein tolles Fest feiern und andererseits Begegnung ermöglichen. Wir sind rundum zufrieden und überlegen schon jetzt, wie der CSD in einer zweiten Auflage aussehen kann.

Frage: Sie planen also schon einen zweiten CSD in Haltern?

Kleemann: Zunächst wollen wir in Ruhe auswerten, wie es in diesem Jahr gelaufen ist und was man noch verbessern kann. Dann machen wir uns an die Planung. Aber um den Schwung aus diesem Jahr zu nutzen, sind wir 2024 ganz sicher wieder mit dabei.

Frage: Wie lief der CSD ab?

Kleemann: Es gab ein Bühnenprogramm mit Grußworten und Stellungnahmen verschiedener Gruppen, darunter auch die drei Firmlinge, die einen entscheidenden Anstoß zum CSD gegeben haben. Dazu gab es ein künstlerisches Programm mit einer Sängerin und zwei Drag Queens, alles präsentiert von einem stimmungsvollen Moderator. Parallel waren zahlreiche Info-Stände am Marktplatz aufgebaut, Autor*innenlesungen in der benachbarten Buchhandlung ergänzten das Programm. Das Ganze endete mit einem ökumenischen Gottesdienst, in dessen Rahmen auch ein Segen gespendet wurde für alle, die wollten. Es sind unterschiedliche Menschen zum Segen gekommen: queere Paare, Hetero-Paare, Familien und Einzelpersonen.

CSD in Haltern
Bild: ©Pfarrei St. Sixtus, Haltern

Einige Mitglieder des Vorbereitungsteams bei der Eröffnung des CSD.

Frage: Wenn man schaut, wer diese Veranstaltung in anderen Städten organisiert, ist eine kirchliche Trägerschaft eher ungewöhnlich. Wie ist es dazu gekommen?

Kleemann: Eines vorweg: Oft klingt es so, wir als Kirche hätten den CSD allein organisiert. Wir wollen uns aber nicht allein die bunten Federn an den Hut stecken. Zwar kam der entscheidende Impuls aus der Gemeinde und von der Caritas. Die Caritas hatte kurze Zeit eine Stelle eingerichtet, um ein queeres Netzwerk vor Ort zu gründen. Das war schon eine wichtige Grundlage. Und dann hat eine Aktion von Firmlingen im vergangenen Jahr der ganzen Idee noch einmal den nötigen Schwung gegeben. Wir hätten den CSD aber nicht auf die Beine stellen können, wenn nicht auch viele andere Gruppen aus der Stadtgesellschaft mitgemacht hätten. Außerdem haben wir große Unterstützung vom Vestischen Christopher Street Day e.V. aus Recklinghausen erhalten. Dieser Verein organisiert dort den CSD und ohne seine Hilfe hätten wir das in Haltern nicht veranstalten können. Es war also kein Alleingang der katholischen Kirche in Haltern, sondern wir waren mit unserem institutionellen Gewicht ein maßgeblicher Bestandteil eines breiten Netzwerks.

Frage: Was waren Ihre Beweggründe dafür, den CSD in immerhin einer federführenden Rolle als Pfarrei zu organisieren?

Kleemann: Das Thema war in der Pfarrei spätestens seit der Bekräftigung des Verbots der Segnungsfeiern für gleichgeschlechtliche Partnerschaften aus dem Vatikan 2021 präsent. Wir haben uns mit vielen Aktionen und Veranstaltungen damit auseinandergesetzt und mit Regenbogenfahnen an unseren Kirchen Flagge gezeigt. Gespräche mit Mitgliedern von #OutInChurch und Info-Treffen zum Thema gehörten auch dazu. Im Grunde geht es uns darum, dass wir als Pfarrei vor Ort Stellung beziehen und signalisieren: Die katholische Kirche in Haltern am See steht für Offenheit und Akzeptanz gegenüber queeren Menschen. Wir wollten außerdem das Thema in die breitere Stadtgesellschaft tragen. Da ist ein CSD eine gute und entspannte Möglichkeit, queerem Leben eine Öffentlichkeit zu geben – in einer Form, die einladend ist, Spaß macht und nicht belehren will. Ohne paternalistisch sein zu wollen, hoffen wir, dass der CSD ein Impuls war, damit sich die queeren Menschen in Haltern stärker vernetzen. Das Ziel ist, dass es hier irgendwann ein queeres Netzwerk gibt, dass die Veranstaltung selbst organisiert. Wir als Kirche machen dann auch weiterhin natürlich gerne mit, müssen aber nicht mehr den Stein ins Rollen bringen.

Frage: Wurde akzeptiert, dass die Kirche federführend bei der Organisation des CSD dabei war? Oder gab es daran Kritik?

Kleemann: Wir sind tatsächlich an keiner Stelle auf ersthafte Widerstände gestoßen. Es gab zwar ein paar Gruppen und Parteien, die nicht mitgemacht haben, aber es gab keine Proteste, weder aus der Stadt noch aus der Kirchengemeinde. Es gab zwar Reaktionen nach der Devise "Ist zwar nicht meins, aber sollen sie mal machen!" – aber nichts darüber hinaus. Das war für mich auch ein wenig verwunderlich.

Georg Kleemann
Bild: ©Bischöfliche Pressestelle Münster/Michaela Kiepe

Georg Kleemann ist Pastoralreferent in der Pfarrei St. Sixtus in Haltern am See.

Frage: Sie hätten also mehr Gegenwind erwartet?

Kleemann: Wenn ich gründlich darüber nachdenke: Eigentlich nicht. Denn der CSD war keine isolierte Veranstaltung, sondern steht für eine bestimmte Haltung, die wir in unserer Pfarrei entwickelt haben. Natürlich gibt es wahrscheinlich in jeder Pfarrei Gruppen von kirchenpolitisch links bis rechts, um das einmal so zu sagen. Aber die Grundhaltung unserer Pfarrei, die von einer großen Mehrheit der Mitglieder getragen wird, steht für Offenheit, Fortschrittlichkeit und Innovation. Es gab keine Kritik, abgesehen von den üblichen Hasskommentaren in den sozialen Netzwerken. Auch bei der Veranstaltung am Samstag gab es keinerlei Zwischenfälle.

Frage: Sie haben schon die Initiative #OutInChurch angesprochen, die seit anderthalb Jahren existiert und in der katholischen Kirche in Deutschland viel angestoßen hat. Wäre der CSD in Haltern auch schon vor #OutInChurch möglich gewesen?

Kleemann: Ganz sicher nicht, denn #OutInChurch hat dafür gesorgt, dass dieses Thema die nötige Schwungkraft bekommen hat, die es brauchte, um einen CSD auch in einer katholisch geprägten, eher kleineren Stadt wie Haltern veranstalten zu können. Vielen wäre das Thema vorher nicht bewusst gewesen, außer den Menschen, die persönlich davon betroffen sind. #OutInChurch war wichtig, um sexuelle Selbstbestimmung geschlechtlicher Identität auf eine kirchliche Öffentlichkeit zu heben. Auch wenn sie damit vielleicht bei vielen Gläubigen an der Basis offene Türen eingerannt haben, auch hier in Haltern, hat #OutInChurch einen ganz großen Dienst für die queere Community in der Kirche geleistet.

Frage: Aber mussten Sie sich trotzdem des Rückhalts seitens des Bistums versichern, als Sie den CSD organisiert haben?

Kleemann: Wir haben den Bischof nicht um seine Erlaubnis gefragt. Aber von Bistumsseite sind wir nur auf offene Ohren und Unterstützung gestoßen: Die Referentin für sexuelle Bildung des Bistums war bei der Veranstaltung an einem Stand dabei, wir durften am Samstag den Instagram-Kanal der Diözese mit einem Channel-Takeover bespielen und im Anschluss wurde über die Bistumsmedien breit berichtet. Wir wollten zwar nicht, dass es plakativ heißt, die katholische Kirche organisiert den CSD in Haltern, wie in der Berichterstattung zu lesen war. Aber wir hatten sehr wohl als Ziel, mit aller Kraft die Anliegen von queeren Menschen ins Zentrum rücken. Denn so verstehe ich Kirche: Sie zieht nicht allein bestimmte Dinge durch, sondern engagiert sich im Verbund mit anderen Menschen und gesellschaftlichen Gruppen.

Frage: Sie haben es schon angesprochen: Die Mitorganisation des CSD durch die Pfarrei hat auch für Kritik gesorgt, etwa in den sozialen Netzwerken. Was sagen Sie denn Ihren Kritikern?

Kleemann: Die Grundhaltung von Kirche, die wir von Jesus Christus mitbekommen haben, lautet: offen gegenüber den Menschen und lernbereit zu sein. Wir müssen auf die konkreten Menschen zugehen, ihnen zuhören und sie kennenlernen. Am vergangenen Sonntag haben wir in der Messe das Evangelium von der kanaanäischen Frau gehört. In diesem Abschnitt aus dem Neuen Testament lernt Jesus, seine eigenen Grenzen zu weiten. Diese Haltung müssen wir auch als Kirche an den Tag legen. Mit offenen Augen und offenen Herzen auf die Menschen und ihre Bedürfnisse zugehen. Das gehört zum Grundprogramm von Kirche, und deshalb ist es umso schlimmer, dass gerade die Kirche bei queeren Menschen für viele Verletzungen gesorgt hat – bis heute. Da haben wir als Kirche sehr viel gutzumachen.

Von Roland Müller