Der Weltkirchenrat: Ein Haus für 352 Kirchen
Ein Gotteshaus. So sagt man oft zu einer Kirche. Hier kommt ein Haus für 352 Kirchen! Protestantische, anglikanische, orthodoxe und altkatholische. Das von außen eher wenig einladende Gebäude in der Route de Ferney 150 im Genfer Stadtteil Le Grand-Saconnex imponiert erst mal nur durch sein Türschild: Mehr Mieter als eine Plattenbausiedlung hat der flache Beton-Stahl-Glas-Bau aus den 1960ern. Weltweit rund 580 Millionen Christen aus mehr als 110 Ländern werden hier repräsentiert: vom Ökumenischen Rat der Kirchen (Weltkirchenrat, ÖRK).
Gegründet wurde der Weltbund am 23. August 1948, vor genau 75 Jahren, in Amsterdam. 351 Delegierte von 147 Kirchen unterschiedlicher Konfessionen und Traditionen nahmen teil. Drei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs herrschte – einmal mehr – fast überall auf der Welt der Wunsch, die Konflikte der Menschheit künftig gemeinsam, durch Verständigung und im Dialog zu lösen. Und bis heute versteht sich der ÖRK auch vor allem als eine Gemeinschaft von Kirchen, nicht als eine "Überkirche".
Das Prunk- und Herzstück des ÖRK-Hauptquartiers
Prunk- und Herzstück des ÖRK-Hauptquartiers ist der weite, helle Kirchenraum. Der Kubus mit den eleganten Holzverschattungen und Fensterflächen aus Buntglas atmet den Geist jener Verständigung, den die ÖRK-Leitung beschwört. Ein großer Gong am Eingang steht für eine geistige Weite, die über Europa und das westliche Anzug-Christentum hinausgeht.
Und die Kunstgegenstände auf dem Weg zum Altar haben alle ihre Geschichte: das russische Mosaik mit der Taufe Christi; die übermannshohe Kreuzigungsgruppe aus Schwarzafrika; das große Kreuz aus geschmolzenem Blei vom Dach der anglikanischen Kathedrale von Coventry; die Ikone mit der Steinigung des Märtyrers Stephanus; die Kreuzplastik eines Mannes, der unter der Sklaverei in der Welt leidet, ein Geschenk von Papst Franziskus bei seinem Besuch in Genf 2018.
Wie heikel und schwierig freilich das geschwisterliche Miteinander im täglichen Betrieb sein kann, mag schon allein eines der vielen Klingelschilder am Eingang verdeutlichen: Auch das russisch-orthodoxe Moskauer Patriarchat ist Mitglied – dessen Oberhaupt, Patriarch Kyrill I., Kanonen gegen das christliche Nachbarland Ukraine segnet und exquisite Beziehungen zum russischen Kriegsherrn Wladimir Putin unterhält. 2022 stellte eine evangelische Mitgliedskirche sogar einen Antrag auf Ausschluss der russisch-orthodoxen Kirche aus dem ÖRK.
"Die Kirchen der Welt zu einem Instrument des Friedens machen"
Generalsekretär des Rates ist seit Jahresbeginn der südafrikanische reformierte Theologe und Pastor Jerry Pillay (58), zuvor erster Präsident der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen. Vorsitzender des ÖRK-Zentralausschusses ist der Deutsche Heinrich Bedford-Strohm (63), bis November 2021 Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
Bei einer ökumenischen Feier in der Kathedrale St. Peter in Genf Ende Juni – der öffentlichen Feier zum Jubiläum des Weltkirchenrates – zeigte sich Bedford-Strohm nachdenklich: "Die Menschen haben sich 1948 in Amsterdam mit dem klaren Zweck versammelt, die Kirchen der Welt zusammenzuführen und sie zu einem Instrument des Friedens zu machen", sagte er in seiner Predigt. "Sie haben eindeutig erklärt, dass Krieg gegen den Willen Gottes sei und dass unsere Pflicht gerade darin bestehe, den Nationalismus und andere Formen der Spaltungen zwischen Völkern zu überwinden, die geradewegs zu diesem furchtbaren Weltkrieg mit so vielen Millionen Opfern geführt haben."
"Wo stehen wir heute?", fragte Bedford-Strohm. "Sind wir dem Amsterdamer Erbe gerecht geworden? Sind wir als Kirchen wirklich ein Instrument des Friedens in all den bewaffneten Konflikten auf dieser Welt?" Er wünschte sich, so der deutsche Kirchenvertreter, "die Antwort wäre ein eindeutiges Ja. Aber das ist nicht der Fall. Zu oft ist uns unsere nationale oder politische Loyalität wichtiger als die Loyalität gegenüber Jesus Christus, und manchmal sind wir uns dessen nicht einmal bewusst", warnte Bedford-Strohm.
Der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I., wurde als Ehrenoberhaupt der Weltorthodoxie und als Vertreter eines der Gründungsmitglieder noch konkreter. Die Einheit der Orthodoxie sei "mit der Invasion der Ukraine durch die Russische Föderation im Februar 2022 zutiefst verletzt" worden. Es klaffe eine tiefe Wunde durch "die staatliche Aggressor-Kirche unter Patriarch Kyrill", von der es sich eindeutig zu unterscheiden gelte. Und Bartholomaios I. beschwor die ÖRK-Mitglieder: "Wir dürfen nicht zulassen, dass die Bewaffnung unseres christlichen Glaubens zur Norm wird."
"Redet mit dem Herrn und schreitet voran"
Die katholische Kirche ist nicht Mitglied des ÖRK. 1965 wurde aber eine Gemeinsame Arbeitsgruppe zwischen Vatikan und Weltkirchenrat gegründet. In wichtigen Kommissionen des ÖRK, so für Glauben und Kirchenverfassung sowie für Weltmission und Evangelisation, arbeiten katholische Theologen als Vollmitglieder mit.
Generalsekretär Pillay lobte kürzlich im Gespräch mit der Gesellschaft katholischer Publizisten (GKP) das vatikanische Engagement im Weltkirchenrat. Wenn die katholische Kirche auch nicht formell Mitglied sei, so verhalte sie sich doch wie eines. Das mache ihn froh. Und Bedford-Strohm zitierte den Ökumene-Kurs von Papst Franziskus mit den Worten: "Redet mit dem Herrn und schreitet voran." In diesem Sinne werbe er auch im Vatikan für weitere ökumenische Schritte.