Vom Mönchshabit in die Wehrmachtsuniform

Ordensleute in der NS-Zeit: Opfer und Diener an der Waffe

Veröffentlicht am 16.09.2023 um 12:00 Uhr – Von Lilli Feit – Lesedauer: 

Bonn ‐ Sie kämpften im Zweiten Weltkrieg und manche von ihnen stiegen in der Wehrmacht auf. Mit Zustimmung des Vatikan wurden Priester und Ordensleute seit Kriegsbeginn eingezogen. Das hatte nicht nur Folgen für die Männer, sondern auch für ihre Orden.

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"Was wir in diesen letzten Tagen an Wildheit, an Grausamkeit und Rohheit erlebt haben, ist nicht zu sagen. Dass ich noch lebe, ist sichtbar die Güte Gottes." So beschreibt der Benediktinerbruder Winfried 1942 den Soldatenalltag im Zweiten Weltkrieg anlässlich seiner Verleihung des Eisernen Kreuzes. Bruder Winfried ist kein Einzelfall: Zwischen 1939 und 1945 waren Priester und Ordensleute zum Dienst in der Wehrmacht verpflichtet. Ihre Erfahrungen sollten das Ordensleben in Deutschland nachhaltig verändern.

Dass der Militäreinsatz von Priestern und Ordensleuten überhaupt möglich war, hatte das NS-Regime bereits 1933 mit Rom vereinbart. Im Reichskonkordat, einem Abkommen zwischen dem Vatikan und dem Deutschen Reich, stimmte die Kirche zu, eine Mobilisierung im Kriegsfall zu billigen – auch in den eigenen Reihen. Im Gegenzug für das Zugeständnis, den Dienst nicht wie etwa die Zeugen Jehovas zu verweigern, erreichte die Kirche die Aufhebung der gegen sie gerichteten Sanktionen: Katholische Schulen konnten erhalten bleiben, ebenso der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen. Auch der Kirchenbesitz war durch das Abkommen zumindest formell geschützt.

In der Folge trafen seit 1939 die Einberufungsbescheide in den Pfarrhäusern und Klöstern ein. Die Aufzeichnungen des damaligen Feldgeneralvikars Georg Werthmann (1898-1980) lassen dabei eine Größenordnung erahnen. So wurden allein bis zum Jahresende 1943 über 6.000 Priester in die Wehrmacht eingezogen, etwa ein Drittel davon Ordensleute. Hinzu kamen knapp 6.500 Theologiestudenten und über 5.000 Laienbrüder und Novizen. Weitere sollten im Verlauf des Krieges folgen. Zu diesem Zeitpunkt, gut vier Jahre nach Beginn des Kriegs, waren bereits 1.700 Kirchenmänner im Krieg umgekommen. Über 600 galten als vermisst.

Bild: ©Abtei Münsterschwarzach / Johannes Mahr 'Schwarz aber schön' Band 4.1

Fr. Markus Tremel in Habit und Uniform.

Den Orden war der Kriegsdienst ihrer Mitglieder nicht fremd. Bereits im Ersten Weltkrieg waren Ordensleute im Militär eingesetzt worden. Dessen Veteranen vermittelten den jungen Ordensmitgliedern zum Teil sogar eine positive Grundhaltung gegenüber dem NS-Regime. "Für die Franziskaner im Ersten Weltkrieg war der Krieg auch ein Erlebnis der nationalen Einigung", sagt Pater Damian Bieger, Provinzialbeauftragter der Franziskaner für Geschichte und kulturelles Erbe. Nach den repressiven Gesetzen des Kulturkampfes unter Reichskanzler Otto von Bismarck ab den 1870er Jahren und dem zeitweisen Verbot der Orden (1875-87), erlebten sie den Ersten Weltkrieg als Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Durch die völkische Ideologie der NS-Propaganda schwang den deutschen Katholiken jedoch erneutes Misstrauen entgegen. Mit dem Papst als Oberhaupt galten sie als romanisch geprägt und einige versuchten sich durch eine anfängliche Offenheit dem NS-Regime gegenüber als "Germanen" beweisen. "Ein Mitbruder hat zum Beispiel ein Buch über das Verhältnis von katholischer Liturgie und Germanentum geschrieben, wo er aus der katholischen österlichen Speisesegnung die Vorliebe der Germanen für Schinken herauszulesen versucht", illustriert Bieger den Zeitgeist. Auch judenfeindliche Vorbehalte mancher Kirchenmänner waren an die NS-ideologie anschlussfähig. 

Mit anhaltender Kriegsdauer schwangen anfängliche Sympathien jedoch in Sorge um das eigene Überleben und das der Mitbrüder um. In der Kölnischen Franziskanerprovinz waren zu Kriegszeiten bis zu zwei Drittel der Provinzmitglieder zum Dienst in der Wehrmacht einberufen oder waren auf seelsorgliche Stellen außerhalb des Klosters abberufen, um nicht zu den Waffen zu müssen. "Die Patres waren meist im Sanitätsdienst oder in der Militär-Seelsorge eingesetzt", erklärt Bieger. Studenten dienten häufig als Funker oder bei kleineren Verwaltungsaufgaben. Die Laienbrüder hingegen kämpften auch als Infanteristen und hatten so im Vergleich zu den Priestern und Studenten die geringste Überlebenschance.

Bild: ©Abtei Münsterschwarzach / Johannes Mahr 'Schwarz aber schön' Band 4.1

Die Fronturlauber treffen sich Ende 1941 mit älteren Patres aus der Abtei Münsterschwarzach.

Aus der Benediktinerabtei Münsterschwarzach in Unterfranken sind aus dieser Zeit Briefe erhalten, die die Kriegseindrücke der Brüder für die Nachwelt dokumentiert haben. Bereits zehn Tage nach dem Angriff auf Polen schreibt Bruder Hugo im September 1939: "Von allen Seiten der Häuser kamen die Kugeln, als wir loszogen. Wir brannten die ganzen Häuser an. Hoffentlich erleben wir keinen solchen Tag mehr." Von der Ostfront berichtet nach acht Wochen Krieg auch Bruder Heimrad Seibel von seinen Eindrücken: "Unser Regiment hat bei seiner ungefähren Stärke von 1600 Mann 400 Ausfälle. Als Panzerdivision sind wir immer vorn dran. Oft so mitten im Feind, dass von allen Seiten die Artillerie feuert. In einem haben wir Übung, im Löchergraben. Ich habe an manchen Tagen vier Splittergräben gebaut." Bruder Gerhard Reinhard, der es in der Wehrmacht bis zum Unteroffizier brachte, beschreibt in einem Brief aus der Ukraine seine aktive Teilnahme am Kriegsgeschehen: "In manchen Häusern sieht man noch Heiligenbilder. Sonst gar nichts Christliches. Es gibt einzelne sehr gute Leute, aber die meisten sind frech und geizig. Da viele Zivilisten noch schießen, werden alle verdächtigen Gefangenen erschossen. Mit dem Gewehr holen wir uns aus Häusern, Kellern und Gärten, was wir brauchen." Die Schriftstücke bezeugen die Gewalt des Krieges, die die Ordensleute sowohl schockiert hat, als auch von ihnen selbst ausgeübt wurde.

Die Ordensleute in der Infanterie nahmen wie andere Soldaten am Kriegsgeschehen teil, inklusive der Gewalttaten gegen Zivilisten. Mehrere Brüder bekamen das Eiserne Kreuz, manche stiegen militärisch auf. Von den Brüdern aus Münsterschwarzach aber niemand weiter als bis zum Leutnant, dem niedrigsten Offiziersrang. Wie genau die Ordensleute zum Krieg standen, lässt sich jedoch nur zwischen den Zeilen erahnen, denn jegliche Kritik am Regime war durch die strengen Postkontrollen ein ernstes Risiko. "Einige Brüder standen dem Militär sehr ablehnend gegenüber andere waren da durchaus auch anders eingestellt", sagt Pater Franziskus Büll, Archivar der Abtei Münsterschwarzach. Man könne die Brüder daher rückblickend nicht in einen Topf werfen. Das Gros der Briefe beschäftigt sich jedoch mit dem eigenen Überleben. Dazu kommt eine Banalisierung der allgegenwärtigen Verwüstung und zumindest an der Ostfront eine Abscheu gegenüber dem "Bolschewismus", der aus der Sicht vieler der Brüder die eigentliche Ursache für das Leid der Lokalbevölkerung darstellte. "Damals befürchtete man, der Bolschewismus könne ganz Europa überrollen. Für viele Mönche war das der eigentliche Beweggrund, unter der Fahne des Hakenkreuzes in den Krieg zu ziehen", erklärt der Archivar.

Bild: ©Abtei Münsterschwarzach / Johannes Mahr 'Schwarz aber schön' Band 4.1

Br. Silvanus nach einem 50-Kilometer-Marsch.

Die langen Kriegsjahre außerhalb der Klostermauern und die ständige Konfrontation mit dem eigenen Tod veränderten die Kriegsteilnehmer und führten auch zu einer Entfremdung zwischen vielen Brüdern und ihren Heimatklöstern. "Die Erfahrung von Freiheiten und Gemeinschaft außerhalb der Ordensfamilie brachte einen starken Anstieg der Ordensaustritte", so der Franziskaner Bieger. Insbesondere die Laienbrüder wandten sich von ihren Orden ab. Der Krieg hatte ihnen gezeigt, dass sie auch ohne die strengen hierarchischen Strukturen der Orden zurechtkamen. In der Wehrmacht hatten sie sowohl das Gefälle zwischen den Privilegien der Offiziere und den einfachen Soldaten als auch die Auflösung der gesellschaftlichen Klassen unter ihren Kameraden miterlebt. Viele Brüder entwickelten ein egalitäres Denken, das auch an den Hierarchien in den Orden Anstoß nahm. Zumal sie als nicht geweihte Brüder einen gefährlicheren Wehrdienst leisten mussten als die Patres in der Seelsorge oder im Sanitätsdienst.

Die Auseinandersetzung mit Machtstrukturen sollten die Heimkehrer nach dem Ende des Kriegs oder der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft in die Orden einbringen: "Diese ganze Diskussion um das Verhältnis zwischen Laien und Klerikern, wie sie jetzt auch beim Synodalen Weg geführt wird, hatten wir im Orden schon in der Nachkriegszeit", sagt der Franziskaner Bieger. Die Rückkehrer kritisierten die Strenge der Klausur und das Machtmonopol der Oberen. "Vor dem Krieg wurde bei den jungen Novizen ja sogar die Post kontrolliert", erzählt Bieger. Nach den Erfahrungen der NS-Zensur wurde das undenkbar. Die Kritik an veralteten Strukturen ging auch mit den gesellschaftlichen Debatten um die 68er-Bewegung einher. "Das war eine Zeit der starken Turbulenzen", sagt auch Franziskus Büll aus Münsterschwarzach. "Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren", dieser gesellschaftliche Wandel habe auch auf das Ordensleben abgefärbt. 1970 wurde das Stundengebet in Münsterschwarzach erstmals von Laienbrüdern und Patres gemeinsam und nicht in getrennten Räumen gebetet.

Und noch etwas änderte sich in der Nachkriegszeit: Die Kriegserfahrung hatte den Brüdern das menschliche Leid vor Augen geführt. Der Mensch sollte jetzt im Mittelpunkt stehen. "Die Brüder kamen zurück und wollten so schnell wie möglich mit der Ausbildung fertig werden und dann in die Seelsorge", berichtet der Historiker Bieger. Die sozial-karitative Seite der Kirche hatte für sie an Relevanz gewonnen. Die Erfahrung, als Soldat ohne Habit auf Augenhöhe unter Menschen zu wirken, hatte die Heimkehrer geprägt, sie hinterfragten ihr Verhältnis zur Welt. "Wo ist man in der Welt zu Hause, wo verweltlicht? Also wo hat man verloren, Salz für die Erde zu sein und Licht für die Welt, weil man genau denselben Unsinn macht wie alle anderen auch? Das ist ein Thema, das der Zweite Weltkrieg auf die Tagesordnung gesetzt hat", so Bieger.

Bild: ©Abtei Münsterschwarzach / Johannes Mahr 'Schwarz aber schön' Band 4.1

Abt Burkard mit Patres im Juni 1941.

Heute stehen in der kollektiven Erinnerung der Ordensgeschichte im Zweiten Weltkrieg vor allem die Ereignisse um die Klosterstürme im Vordergrund. Nach einem Geheimerlass im Januar 1941 eignete sich das Regime den Besitz von rund 300 Klöstern im Reich an, auch die Abtei Münsterschwarzach. Aber die Einordnung als Verfolgte unter dem NS-Regime greift zu kurz. "Die Leute wollen entweder Heldengeschichten oder Schurkenstücke", sagt Pater Bieger. Auf so eine polarisierte Erinnerung lässt sich die Ordensgeschichte in Deutschland jedoch nicht reduzieren. Als Soldaten in der Wehrmacht waren einige Ordensmitglieder mit allen Konsequenzen am Kriegsgeschehen beteiligt. Gleichzeitig waren viele der Brüder vor allem am eigenen Überleben interessiert und verfolgten selten explizit nationalsozialistische Ideale. Trotzdem waren auch die Ordensleute gerade zu Beginn der NS-Zeit nicht immer vor völkischen Einflüssen gefeit, wobei viele Brüder besonders eine ideologische Gegnerschaft zum Bolschewismus umtrieb. Als entscheidend für die weitere Entwicklung der Ordensausrichtung stellt sich rückblickend die Erfahrung des Leids dar. Das persönliche Erleben existentieller Not und die durch den Krieg geschaffene Verwüstung gaben den überlebenden Brüdern den Anstoß, sich für ein gerechteres und menschlicheres Miteinander zu engagieren. Im eigenen Orden wie auch in der Welt.

Von Lilli Feit

Buchtipp

Johannes Mahr: "Schwarz aber schön. Die Abtei Münsterschwarzach im 20. Jahrhundert". Vier-Türme Verlag, Münsterschwarzach.