Aus dem Kongo geflohen – und jetzt bald Gemeindereferent
"Dass ich das geschafft habe", sagt Arsène Chafi nicht ohne Stolz am Telefon. Vor vielen Jahren ist er gemeinsam mit seiner Familie aus dem Kongo, aus Zentralafrika, nach Deutschland geflüchtet. Nun ist Chafi katholischer Gemeindeassistent im Erzbistum Paderborn. Bald startet er in der Kirchengemeinde Dortmund West seine seelsorgliche Ausbildungszeit. Der 32-Jährige freut sich schon darauf. Doch das reicht ihm nicht.
Arsène Chafi ist im Kongo geboren. Die zentralafrikanische Republik hat fünf Millionen Einwohner, die meisten davon sind Christen. Auch Arsènes Familie ist christlich. Doch an seine Kindheit hat er keine guten Erinnerungen. Damals in den 90er Jahren herrschte im benachbarten Ruanda Krieg zwischen den Hutu- und den Tutsi-Völkern. Der Genozid wurde auch in den Kongo verschleppt. "Meine Familie war ständig auf der Flucht vor dem Krieg", erzählt Chafi. Er und seine beiden Schwestern verbringen deshalb viel Zeit bei Verwandten im Osten Kongos. Die Eltern arbeiten zwar, kämpfen aber mit Gelegenheitsjobs ums Überleben der Familie. "Meistens gab es am Tag nur eine Mahlzeit", erinnert sich der 32-Jährige. Damals besucht er sogar eine Schule, auch wenn der Unterricht unzureichend ist. Eines Tages beschließen die Eltern, gemeinsam mit den Kindern ihr Heimatland zu verlassen.
Die Flucht dauert mehrere Jahre, die Familie muss viele Länder durchqueren. Immer wieder versucht der Vater, Geld zu verdienen, um die weitere Flucht zu finanzieren. In dieser schweren Zeit, sagt Chafi, gab der Glaube ihm Halt und Trost. Sein Vater habe ihm abends aus der Bibel vorgelesen. "Er hat gesagt, wir werden eines Tages einen Ort finden, an dem wir in Sicherheit sind. Wir kennen den Ort jetzt noch nicht, aber es gibt ihn. Dort wird man uns gut behandeln", berichtet der 32-Jährige. Als die Familie nach Deutschland kommt, spürt Chafi, dass dies der Ort sein könnte. Endlich in Sicherheit. Vorerst.
Anfangs wird die Familie in einem Flüchtlingsheim in Frankfurt untergebracht, danach auf einem Hausboot am Rhein in Köln. Später ziehen die fünf in ein Containerdorf in die Nähe von Paderborn. "Unser Leben war wie in einem Ghetto, so abgeschottet", beschreibt es Chafi. Wieder tragen ihn die biblischen Geschichten seines Vaters durch die schwere Zeit. "Egal, wie ausweglos eine Situation erscheint, Gott hilft", habe sein Vater ihm damals gesagt. Der 32-Jährige erinnert sich noch an die biblische Erzählung von Josef in der Zisterne oder Daniel in der Löwengrube, vom verlorenen Sohn oder von Jona im Fischbauch. Alle diese Menschen wurden auch durch Gott errettet, weiß er.
Später zieht Chafi mit seiner Familie in ein Flüchtlingsheim nach Herne, das in der Nähe von Paderborn ist. Um dem Alltag im Flüchtlingsheim zu entkommen, besucht die Familie in der benachbarten St. Barbara-Kirchengemeinde im Stadteil Elpeshof die Gottesdienste. Sie finden Anschluss und einen Zufluchtsort. "Die Menschen haben uns so angenommen, wie wir sind. Das tat gut", weiß Arsène noch. "Es war wie ein Heimkommen". Damals finden sich hilfsbereite Menschen, die die junge Familie aus dem Kongo dabei unterstützen, Behördengänge zu erledigen, Dokumente und Ausweise zu beschaffen und die alltäglichen Sorgen zu bewältigen.
Abends haben wir immer darum gebetet, nicht abgeschoben zu werden
Arsène und seine Schwestern lernen Deutsch und gehen zur Schule. Auch dort hilft die Kirchengemeinde und betreut die Kinder bei den Hausaufgaben. Er und seine beiden Schwestern ministrieren regelmäßig in den Gottesdiensten. Arsène findet Freunde, wird von ihnen nach Hause eingeladen. "Das war so eine heile Welt dort", weiß er noch. "Die haben als ganz normale Familie in einem ganz normalen Haus mit vielen Spielsachen gelebt", erinnert er sich. Er nimmt damals auch an einem Messdienerwochenende teil. Er erzählt: "Wir waren in einem Kloster untergebracht, jeder in einem eigenen Zimmer. Wir haben drei Mal am Tag ein warmes Essen bekommen und dazu Kaffee und Kuchen." Für ihn war das wie "Medizin".
Trotz der guten Erfahrungen ist die Zukunft der Familie ungewiss. Immer wieder benachrichtigen die Behörden Chafis Familie darüber, dass sie wieder in den Kongo ausreisen soll. Es gibt sogar mehrere Termine für eine mögliche Abschiebung. Dies alles erlebte Arsène Chafi als traumatisch. "Ständig diese Ungewissheit zu haben, ob man gehen muss, war schrecklich", sagt er heute. "Abends haben wir immer darum gebetet, dass wir nicht abgeschoben werden."
Als Arsène 15 Jahre alt ist, stirbt sein Vater. Ganz plötzlich. Für ihn und seine Familie bricht eine Welt zusammen. Noch am Abend zuvor wollte sein Vater mit ihm reden, erinnert er sich. "Ich dachte mir, Herrgott, ich will jetzt einen Film schauen und er will ernste Dinge besprechen", so Chafi. Sein Vater sagte ihm damals: "Gottes Wege sind unergründlich, Arsène. Aber egal, was passiert, Gott hat immer einen Plan für dich". Heute weiß Chafi, dass das die Abschiedsworte seines Vaters an ihn waren. Noch heute geben sie ihm Kraft – und sein Glaube. Obwohl die Familie sehr unter dem Verlust des Vaters leidet, dürfen Chafi und seine Familie nun offiziell in Deutschland bleiben. Endlich. Es war wie ein Wunder, erinnert sich Chafi. Weil der Ernährer der Familie nicht mehr da war, wurde die Ausreise nicht mehr nötig.
Arsène beendet die Schule, macht das Abitur und eine Ausbildung zum Erzieher. "Ich habe so viel Gutes von meiner Kirchengemeinde erfahren. Das wollte ich auf diese Weise, dass ich Erzieher wurde, zurückgeben", erklärt er heute. Später entscheidet er sich, Gemeindereferent zu werden und beginnt ein Studium an der Katholischen Hochschule in Paderborn. Dort zieht er in ein Wohnheim. "Ich will all das Gute zurückgeben, was die Gemeinde für mich und meine Familie getan hat", wiederholt er.
Kinder würden auch heute noch im Kongo misshandelt und ausgebeutet
Im Kongo war Chafi seit seiner Flucht mit der Familie nicht mehr. Erst vor wenigen Wochen ist er mit dem Flugzeug in seine frühere Heimat gereist. "Zu meinen christlichen Wurzeln", sagt er. Er besucht Verwandte, trifft Freunde. Die Armut und die traurigen Lebensumstände dort in Afrika erschüttern ihn. So viele Kinder und Jugendliche hätten überhaupt keine Perspektive für ihr Leben, berichtet er. "Mir wäre es auch so ergangen", sagt Chafi nachdenklich. Im Kongo fänden viele Menschen nach der Schule keine Arbeitsstelle. Obwohl im Kongo ein Großteil der Rohstoffe für die weltweite Herstellung von Handys abgebaut werden, erhalte das Land keine Gewinne daraus, ergänzt er. Kinder würden noch immer misshandelt und ausgebeutet, so Chafi. Sie haben dort keine Rechte haben, kaum jemand kümmere sich um ihr Leiden. All das tut ihm weh.
Jetzt will Chafi von Dortmund aus und mit der Unterstützung seiner Kirchengemeinde soziale Projekte im Kongo starten, um den Menschen dort zu helfen. Noch braucht er dafür Spendengelder. Eine Schule für Kinder zu bauen und Arbeitsplätze im Tourismus oder in der Landwirtschaft dadurch zu ermöglichen, das wäre sein Traum. "Die Menschen sollen stolz auf ihr eigenes Land sein und in ihrer Heimat bleiben wollen." Denn viel zu viele seien auf der Flucht vor der Armut. Und viel zu viele sterben auf der Flucht durch die Wüste oder das Meer, weiß der Pastoralassistent. Sie hätten nicht so viel Glück gehabt, wie er, fügt er leise hinzu. Genau dieses Glück will Arsène Chafi nun zurückgeben. Auch seiner Kirche, wie er betont. Weil er damals nach seiner Flucht Menschen in seiner Kirchengemeinde gefunden hat, die es gut mit ihm und seiner Familie gemeint haben. Das werde er nie vergessen. "Denen war es egal, ob wir schwarz oder weiß sind, die mochten uns einfach."
Seine Mama hatte Tränen in den Augen, als ihr Sohn das Abschlusszeugnis von der Paderborner Hochschule in den Händen hielt. "Ich persönlich habe nicht so geweint", erinnert sich der junge Theologe an diesen besonderen Moment. Jetzt ist Arsène Chafi offiziell katholischer Gemeindeassistent im Erzbistum Paderborn. Nach den drei Jahren Ausbildung in der Kirchengemeinde in Dortmund wird er vom Bischof zum Dienst als Gemeindereferent beauftragt. "Aus solchen Verhältnissen, wie ich gekommen bin", sagt er leise am Telefon. "Da hat Gott mich rausgeholt".