In der Tradition liegt die Zukunft
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Die (deutsche) Kirche muss aufhören, die Tradition mit einem destruktiven Traditionalismus gleichzusetzen. Wer versucht, das Traditionsbewusstsein zu vergessen, hebt sich vom Fundament ab, auf dem doch eigentlich weitergebaut werden sollte. Denn Tradition ist per se nichts Antiquiertes, das am besten im Museum verstaubt. Das Gegenteil ist der Fall.
Ein Beispiel ist hier die Professerneuerung, wie sie in der Abtei Münsterschwarzach – und sicher in vielen anderen Klöstern auch – bei den Mönchen, die 25, 40, 50, 60, 65, 70 und bis zu 75 Jahre an ihrem jeweiligen Jubiläumstag gefeiert wird. Einer dieser Tage war gestern. Die alten Mönche stehen dabei im Gottesdienst genau an der Stelle, an der sie vor Jahrzehnten das Professversprechen gegeben haben. Sie halten ihre Professurkunde von damals in den Händen und lesen mit vom Alter gezeichneter Stimme dieselben Worte vor. Danach folgt der Professgesang, das "Suscipe me": "Nimm mich auf, o Herr, nach deinem Wort, nach deinem Wort, und ich werde leben; lass mich in meiner Hoffnung niemals scheitern." Ein Gesang, den übrigens der heilige Benedikt im Wortlaut vor über 1.500 Jahren in seine Regel schrieb.
Ein bewegendes Ereignis. Ein weiteres bewegendes Ereignis steht am Samstag an, wenn zwei junge Mönche an derselben Stelle zum ersten Mal ihre Urkunden verlesen und den Professgesang singen werden. Auch sie vertrauen ihre Hoffnung Gott an und wissen sich gleichzeitig durch ihre älteren Mitbrüder ermutigt. Am Professgesang wird deutlich, welche Sprengkraft als Überlieferte in seiner ehrlichen Gestalt hat.
Trotz aller Veränderungen in Kirche und Gesellschaft hat dieses Professversprechen die alten Mönche durch Jahrzehnte getragen, die nun durch ihr wiederholtes Zeugnis Vorbild und Ermutigung für ihre jüngeren Mitbrüder sein können. Als der über 90-jährige Mönch im Jahr 1948 seine Profess abgelegt hat, tat er das noch in einem anderen Ritus, vor einem anderen Abt, innerhalb einer anderen Gemeinschaft. Aber mit den gleichen Worten, der gleichen Hoffnung und vielleicht auch den gleichen Ängsten wie der, der es im Jahr 2023 tut. Und ist diese Stabilität in der Dynamik nicht ein wunderbares Bild für eine Zukunft von Kirche, die im Traditionsbewusstsein und ihren Wurzeln verankert ist?
Die Autorin
Julia Martin ist Pressesprecherin der Benediktinerabtei Münsterschwarzach.Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.