Zollner zu Missbrauch: Bischöfe sollten Konsequenzen ziehen
Mit der Begründung, es fehle dort an Transparenz, hat der Präventions-Experte Hans Zollner (56) im Frühjahr die Päpstliche Kinderschutzkommission verlassen. Zur Vorstellung der Schweizer Pilotstudie zu sexuellem Missbrauch an diesem Dienstag empfiehlt der Theologe, Psychologe und Psychotherapeut den dortigen Bischöfen, "in der eigenen Reflexion Konsequenzen zu ziehen". Im Interview des KNA-Partnerportals "kath.ch" äußert er sich auch zum Churer Verhaltenskodex von 2022.
Frage: Pater Zollner, was trauen Sie der vatikanischen Glaubensbehörde [Dikasterium für die Glaubenslehre] für eine systematische Bekämpfung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche zu?
Zollner: Das Dikasterium ist innerhalb der Kirche Staatsanwaltschaft und Gericht für diese Art von Verbrechen. Ich erwarte, dass es das Recht konsequent anwendet und dass die Begründungen eines Urteilsspruches kommuniziert werden. Ebenso, dass benannt wird, an welchem Punkt das Gerichtsverfahren steht. Beides geschieht derzeit meistens nicht. Weder Betroffene noch Angeklagte erfahren davon. Unter Umständen kennt nicht einmal der Bischof den Stand des Verfahrens.
Frage: Sie kritisieren also fehlende Transparenz?
Zollner: Die Rechtsnormen der Kirche würden im Großen und Ganzen ausreichen – aber es ist nicht nachvollziehbar, wie diese Anwendung finden. Dass die Kirche hier nicht transparent kommuniziert, ist nicht zu vermitteln.
Frage: Was muss sich im Kirchenrecht ändern, damit Opfer von sexuellem Missbrauch im Verfahren ernstgenommen werden?
Zollner: Es braucht ein Informations- und Anhörungsrecht. Das gibt es bisher nicht. In einer Konferenz zu diesem Thema haben wir mehrmals gesagt: Was in anderen, staatlichen Strafverfahren normal ist, muss auch von der Kirche übernommen werden.
Frage: Aber nicht alle Länder sind so weit.
Zollner: Das stimmt. Es gibt unterschiedlich traumasensible Gerichtsverfahren. Und selbst dort, wo es diesen Standard gibt, wird er nicht immer umgesetzt. Auch auf staatlicher Ebene muss sich das Gesetz und dessen Anwendung stetig weiterentwickeln.
Frage: Das Schweizer Bistum Chur hat einen Verhaltenskodex herausgegeben, den alle kirchlichen Mitarbeitenden zu unterschreiben haben. Ist das ein gutes Instrument, um Missbrauch einzudämmen?
Zollner: Es ist eine gute Initiative, alle Mitarbeitenden mit solch einem Kodex anzusprechen und zu sensibilisieren. Doch: Man sollte sich nicht der Illusion hingeben, dass dies ausreicht. Ein Kodex allein kann Missbrauch nicht verhindern.
Frage: Nicht alle Mitarbeitenden des Bistums Chur haben den Verhaltenskodex unterschrieben. Was sagen Sie dazu?
Zollner: Wenn die rechtlichen Voraussetzungen gegeben sind, um das Papier verbindlich zu machen, ist jede Person im kirchlichen Dienst gehalten, diesen Kodex zu unterschreiben. Wer das nicht macht, sollte nicht mehr im kirchlichen Dienst tätig sein.
Frage: In der Schweiz wird am Dienstag (12. September) eine Vorstudie zur Aufarbeitung von sexueller Gewalt in der katholischen Kirche vorgestellt. Hätte solch eine Studie schon vor Jahren kommen sollen?
Zollner: Natürlich hätte so etwas immer früher kommen können. Viele Punkte, die auch in anderen Gutachten sichtbar wurden, werden auch in der Schweiz zutage kommen. Die Schweiz wird keine Ausnahme sein.
Frage: Was empfehlen Sie den Bischöfen mit Blick auf den Dienstag?
Zollner: Sie sollten zuhören und akzeptieren, was gesagt wird. Sie sollten sich auf keinen Fall in die wissenschaftlichen Befunde einmischen. Auch empfehle ich, in der eigenen Reflexion konkrete und effektive Konsequenzen zu ziehen und dies dann zu kommunizieren.
Frage: Sollten Bischöfe zurücktreten, selbst wenn sie keinen Missbrauch begangen oder vertuscht haben?
Zollner: Ein Rücktritt bedeutet nicht automatisch, dass Aufklärung geschieht und Aufarbeitung gut weitergeht. Dennoch: Es braucht eine Verantwortungsübernahme – auch wenn man selbst nichts unmittelbar zu verantworten hat. Bischöfe, Provinziale und andere Verantwortungsträger repräsentieren ihre jeweilige Institution auch in ihrer Geschichte. Gleichzeitig gilt: Es braucht einen Struktur- und Mentalitätswandel in der Kirche. Auch ein Rücktritt kann diesen nicht von heute auf morgen herbeiführen.
Frage: Wie blicken Sie auf die Aufarbeitung von Missbrauch in der Weltkirche?
Zollner: Im Grunde bin ich optimistisch und habe Hoffnung, dass es gut weitergehen wird. Denn ich sehe, dass sich in den vergangenen 20 Jahren schon viel getan hat.
Frage: Woran machen Sie das fest?
Zollner: Es zeigt sich in der Bewusstseinsbildung und der Möglichkeit, mittlerweile weltweit über Missbrauch und seine Vertuschung reden zu können. Auch eine Vielzahl von Gesetzesänderungen in der Kirche haben ihre Wirkung. Das ist eine fortlaufende Entwicklung. Leider ist diese nicht so schnell, wie viele – und auch ich – es wünschen. Diesen Schritten müssen noch viele weitere folgen.