Schwester Charis Doepgen über das Sonntagsevangelium

Tarifverhandlung im Weinberg – Ein Gleichnis über Lohn und Liebe

Veröffentlicht am 23.09.2023 um 12:15 Uhr – Lesedauer: 
Ausgelegt!

Kellenried bei Ravensburg ‐ Können wir Güte ertragen, wenn sie nicht uns, sondern anderen zuteil wird? Schwester Charis Doepgen ist überzeugt: Das heutige Gleichnis will an unserem Gottesbild rütteln – und es geht keineswegs um Lohn im Sinne von Gehalt.

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Man stelle sich vor:

In der Tagesschau um 20 Uhr hören wir: Arbeitgeber einigt sich mit Belegschaft auf Höhe des Lohns und versichert: "Ich werde euch geben, was recht ist." Das klingt ziemlich utopisch. Tarifverhandlungen sind schwierig, das wissen aus den Medien auch die Unbeteiligten. Auf dem Hintergrund unserer aktuellen Diskussionen über Mindestlohn und Grundeinkommen bringt uns dieses Evangelium echt in Verlegenheit. Einerseits ist da die Sympathie für den großzügigen Weinbergbesitzer, andererseits das Mitgefühl mit den enttäuschten Arbeitern der ersten Stunde.

Nun will aber das Evangelium keine Anweisung für Tarifverhandlungen sein, sondern es rüttelt an unserem Gottesbild.

Als Arbeitgeber macht der Weinbergbesitzer zunächst alles richtig: Er einigt sich mit den Arbeitern und will geben, was recht ist. Die Letzten gehen aber ohne Vertrag an die Arbeit. Hier beginnt die Utopie. Man stelle sich in der Realität den Aufschrei der Gewerkschaften vor! Das Evangelium verteilt die Rollen anders, wenn die Letzten zu Ersten werden. Wir sehen hier die Letzten in der Hauptrolle, als die Gewinner. Doch die Arbeiter der elften Stunde sind zunächst die Übersehenen. Wie unendlich traurig klingt ihre Antwort: Niemand hat uns angeworben. Sie stehen im Abseits, sind ohne Chancen. Sie sind nicht faul, sie demonstrieren nicht – sie sind "nur" übersehen worden. Ein Schicksal, an dem sie nicht schuld sind. Papst Franziskus schickt uns Christen an die Ränder, dorthin, wo diese Leute stehen.

Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg trifft uns an einer sehr empfindlichen Stelle. Die Neiddebatten hören nicht auf, wenn es um die Frage geht, was gerecht ist. Können wir die Güte ertragen, wenn sie nicht uns, sondern Konkurrenten oder vermeintlichen Faulenzern zuteil wird? Wer fühlt sich bei der letzten Frage des Weinbergbesitzers nicht ertappt? Erst wenn ich den Lohn vom Geld trenne, ist das göttliche Modell nicht aufreizend, sondern tröstlich: Gottes Liebe kennt nur ein Maß – bedingungslos für alle gleich. Und dabei bleibt auch wer murrt ein Freund.

Und am Schluss noch so ein aufreizender Satz über die paradoxen Verhältnisse im Himmelreich. Wer sich auf den "Arbeitgeber" Gott einlässt, das heißt auf einen Gott, der ganz konkret in meinem Leben präsent ist, muss kein Rechenkünstler sein, aber sein Gottesbild immer wieder korrigieren an den Modellen, die Jesus dafür bereithält.

Martin Luther hat das Modell "sola gratia" populär gemacht. Darum geht es auch hier. Der Tarif im Weinberg ist nur so zu verstehen.

"sola gratia"

Arbeitgeberallüren
der anderen Art:
statt Mindestlohn
für alle
der Maxilohn
für alle –
der Tarif im Weinberg
wird
nicht verdient
er ist
Geschenk
allein aus Gnade

Evangelium nach Matthäus (Mt 20,1–16)

In jener Zeit erzählte Jesus seinen Jüngern das folgende Gleichnis:

Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Gutsbesitzer, der früh am Morgen hinausging, um Arbeiter für seinen Weinberg anzuwerben. Er einigte sich mit den Arbeitern auf einen Denár für den Tag und schickte sie in seinen Weinberg.

Um die dritte Stunde ging er wieder hinaus und sah andere auf dem Markt stehen,
die keine Arbeit hatten. Er sagte zu ihnen: Geht auch ihr in meinen Weinberg! Ich werde euch geben, was recht ist. Und sie gingen. Um die sechste und um die neunte Stunde ging der Gutsherr wieder hinaus und machte es ebenso.

Als er um die elfte Stunde noch einmal hinausging, traf er wieder einige, die dort standen. Er sagte zu ihnen: Was steht ihr hier den ganzen Tag untätig? Sie antworteten: Niemand hat uns angeworben. Da sagte er zu ihnen: Geht auch ihr in meinen Weinberg!

Als es nun Abend geworden war, sagte der Besitzer des Weinbergs zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter und zahl ihnen den Lohn aus, angefangen bei den Letzten, bis hin zu den Ersten! Da kamen die Männer, die er um die elfte Stunde angeworben hatte, und jeder erhielt einen Denár. Als dann die Ersten kamen, glaubten sie, mehr zu bekommen. Aber auch sie erhielten einen Denár.

Als sie ihn erhielten, murrten sie über den Gutsherrn und sagten: Diese Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet und du hast sie uns gleichgestellt. Wir aber haben die Last des Tages und die Hitze ertragen.

Da erwiderte er einem von ihnen: Freund, dir geschieht kein Unrecht. Hast du nicht einen Denár mit mir  vereinbart? Nimm dein Geld und geh! Ich will dem Letzten ebenso viel geben wie dir. Darf ich mit dem, was mir gehört, nicht tun, was ich will? Oder ist dein Auge böse, weil ich gut bin? So werden die Letzten Erste sein und die Ersten Letzte.

Die Autorin

Schwester Charis Doepgen OSB ist Benediktinerin in der Abtei St. Erentraud in Kellenried bei Ravensburg.

Ausgelegt!

Katholisch.de nimmt den Sonntag stärker in den Blick: Wie für jeden Tag gibt es in der Kirche auch für jeden Sonntagsgottesdienst ein spezielles Evangelium. Um sich auf die Messe vorzubereiten oder zur Nachbereitung bietet katholisch.de nun "Ausgelegt!" an. Darin können Sie die jeweilige Textstelle aus dem Leben Jesu und einen Impuls lesen. Diese kurzen Sonntagsimpulse schreiben Ordensleute und Priester für uns.