"Das Heilige Land nicht vergessen"
Frage: Herr Bischof, Sie haben in Gaza die kleine katholische Gemeinde und Teile der zerstörten Stadt besucht. Was sind Ihre Eindrücke?
Ackermann: Zwei Eindrücke sind besonders stark: Der eine ist die Zerstörung in der Stadt durch den jüngsten Krieg. Im Vergleich zu meinem Besuch vor zwei Jahren, ebenfalls nach einem Krieg, ist sie diesmal wesentlich stärker. Vor zwei Jahren haben wir vereinzelt zerstörte Gebäude gesehen. Auch die Kontraste nehme ich viel stärker wahr. Das Schaja'iyah-Viertel, das wir diesmal besucht haben, ist praktisch dem Erdboden gleichgemacht worden. Daneben gibt es andere Stadtteile, in denen das Leben relativ normal zu sein scheint. Ein zweiter starker Eindruck ist, dass die Gemeinschaft der Katholiken noch mal kleiner geworden ist als vor zwei Jahren. Das zu hören, stimmt mich traurig.
Frage: Hatten Sie mit diesen Bildern der Zerstörung gerechnet?
Ackermann: Nein. Ich habe vor allem nicht erwartet, dass Menschen in diesen Ruinen leben, dass sie versuchen, sich notdürftig zu behelfen in dem, was stehen geblieben ist. Dazu kommen die vielen jungen Leute, die in den zerstörten Vierteln unterwegs sind und die froh sind um jede Abwechslung. Ein zweiter Punkt: Wir haben die Mutter-Teresa-Schwestern besucht, die sich um behinderte Kinder kümmern. Es hat mich positiv überrascht, was die Schwestern mit der Aufnahme dieser Kinder, deren Eltern nicht für sie sorgen können, für eine Arbeit leisten. Und mit welch einfachen Mitteln, verglichen mit unseren Standards. Der Einsatz der Ordensschwestern in Gaza und auch anderer Kongregationen ist unglaublich: Es ist ein Einsatz unter Lebensgefahr und mit einer unglaublichen Hingabe.
Frage: Die Einreise Ihrer Gruppe nach Gaza hat sich wegen zunächst verweigerter Genehmigungen sehr verzögert. Wie geht man damit um?
Ackermann: Ich war insofern darauf vorbereitet, weil ich es schon einmal erlebt habe. Es lässt sich kein System in der Erteilung der Genehmigungen erkennen; es entsteht der Eindruck von Willkür. Das ist sehr frustrierend. Als Bischof ist man nicht gewohnt, stundenlang warten zu müssen, obwohl alles vorbereitet ist. Gleichzeitig gilt: Wir geben nicht auf. Wir wollen dieses Zeichen setzen und unsere Solidarität zeigen. Dranzubleiben ist ein wichtiges Signal, auch wenn man mit unseren westeuropäischen Augen den Eindruck hat, nichts bewirken zu können. Aber wir geben auch deshalb nicht auf, weil die Menschen hier so hoffnungsvoll sind. Wir glauben nicht, dass der Konflikt, der Nicht-Dialog, die Gewalt das letzte Wort sind.
Frage: Dieser Konflikt, der ja auch ein religiöser ist, ist mittlerweile auch in Europa angekommen. Sehen Sie Chancen für Vermittlung?
Ackermann: Das Heilige Land ist ein Brennpunkt und Brennglas für all diese Konflikte. Wenn es hier Frieden gibt, wird es auch an vielen anderen Stellen Frieden geben. Ich glaube immer weniger, dass es ein religiöser Konflikt ist. Religion wird, weil sie psychologisch eine unglaubliche Motivationskraft hat, pervertiert. Eigentlich geht es um Fragen von Gerechtigkeit; um das Gefühl, auf der Verliererseite zu sein und im eigenen Lebensstil nicht verstanden zu werden. Was wir zum Beispiel in Paris gesehen haben, zeigt, wie sehr Religion in einem negativen Sinn als Motivationsverschärfung für Konflikte dient, wie sie scheinbar Argumente liefert für Gewalt und falsche Wahrheitsansprüche. Hier wird Religion missbraucht: Ich berufe mich auf die letzte Instanz, um meine Ziele durchzusetzen.
Frage: Welche Botschaft nehmen Sie mit nach Deutschland?
Ackermann: Das Heilige Land nicht zu vergessen - auch wenn der dauernde Konflikt ermüdet und man den Eindruck hat, die Bilder und Botschaften schon zu kennen. Trotzdem dürfen wir es nicht aus dem Blick verlieren - um der Menschen willen, aber auch um der größeren Dimension willen. Es geht hier um größere Zusammenhänge, die uns mittlerweile sehr nahe gekommen sind.
Das Interview führte Andrea Krogmann (KNA)