Varianten eines heutzutage abwertenden Begriffs

"Krüppel" in der Bibel: Über Diskriminierung in der Übersetzung

Veröffentlicht am 23.09.2023 um 12:00 Uhr – Von Katrin Brockmöller – Lesedauer: 

Stuttgart ‐ An mehreren Stellen der Bibel kommen Worte vor, die in verschiedenen Bibelausgaben mit "Krüppel" oder "verkrüppelt" wiedergeben werden. Bibelwerk-Direktorin Katrin Brockmöller fragt in ihrem Gastbeitrag, ob Bibelausgaben auf diskriminierende Begriffe überprüft werden sollten.

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Jede Übersetzung ist eine Suche nach dem richtigen Wort. In jeder Sprache entscheidet der jeweilige Kontext über die Bedeutung eines Wortes mit. Ein Hahn ist eben nicht immer ein männliches Tier, sondern manchmal auch ein Wasserhahn. Ein Esel ist ein Tier oder je nach Kulturkreis ein bewundernder Ausdruck für einen besonders schlauen Menschen oder auch ein Schimpfwort. Was passiert aber, wenn Begriffe in der Zielsprache diskriminierend wirken und es sich zudem noch um heilige Texte handelt, die auch in der Liturgie gelesen werden?

Sehr anschaulich wird das am deutschen Wort "Krüppel". In der alten Einheitsübersetzung (EÜ) aus den 1980er-Jahren wurde dieses Wort völlig unproblematisch im Neuen Testament verwendet (vgl. Matthäus 15,30/EÜ 1984: "Lahme, Blinde, Krüppel, Stumme und viele andere Kranke".) Vielleicht gab es hierbei einen Anschluss an die sogenannte "Krüppelbewegung". Motiviert durch die Ausrufung des "International Year of Disabled Persons" durch die UNO im Jahr 1981 gründeten sich in Deutschland sogenannte "Krüppelgruppen". Ihr erklärtes Ziel bestand darin, von der Mitleidskultur weg hin zu mehr Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderung zu kommen. Dieses wirkungsvolle Themenjahr endete mit dem sogenannten "Krüppeltribunal", das auf eklatante Menschenrechtsverletzungen in vielen Einrichtungen hinwies.

Der Begriff "Krüppel" hatte also in den 80er-Jahren einen besonderen Kontext. Es war weit mehr als nur eine abwertende Beschreibung, sondern wirkte als pointierte und politisch wirksame Selbstbezeichnung. Heute ist das Wort "Krüppel" als Signalwort aber vollkommen aus den Debatten um Teilhabe und Inklusion verschwunden. Der Duden nennt das Wort "stark diskriminierend".

Bestandsaufnahme in Übersetzungen

An fünf Stellen im Neuen Testament werden insgesamt drei verschiedene griechische Ausdrücke mit "Krüppel" bzw. "Verkrüppelte" oder "verkrüppelt" wiedergegeben (Matthäus 15,30; Markus 9,43; Lukas 14,13.21; Johannes 5,3; Apostelgeschichte 8,7). Dabei ist von den griechischen Begriffen her keine Abwertung intendiert. Im Griechischen geht es jeweils um körperliche Einschränkungen, deren Heilung ersehnt oder berichtet wird. Beschrieben werden sowohl angeborene wie auch später zugezogene Behinderungen (vgl. Markus 9,43). Gliedmaßen sind in ihrer Funktion eingeschränkt, im Krieg oder durch Krankheit bzw. einen Unfall verletzt. In Markus 9,43 wird sogar "Selbstverletzung" ("Hau deine Hand ab!") empfohlen, um sich vor Sünde zu schützen.

Bild: ©Harald Oppitz/KNA

Katrin Brockmöller ist die Direktorin des Katholischen Bibelwerks.

Wenn also bis heute an den oben genannten fünf neutestamentlichen Stellen in den kürzlich revidierten Bibelübersetzungen der beiden Großkirchen (Einheitsübersetzung und Lutherbibel) weiterhin das Wort "Krüppel" oder die abgeleitete Variante "Verkrüppelte/verkrüppelt" verwendet wird, beruht das wohl auf mangelnder Solidarität und Empathie. Auch die Elberfelder Bibel und die Zürcher Bibel (letzte Revisionen 2006 bzw. 2007) verwenden weiterhin den Begriff "Krüppel". Ebenso die Basisbibel von 2021.

Dass es auch weniger diskriminierend gehen kann, zeigen zumindest die unterstrichenen Varianten in der "Bibel in gerechter Sprache":

  • Matthäus 15,30: Sie brachten Gelähmte, Blinde, Verstümmelte, Stumme …
  • Markus 9,43: verstümmelt ins Leben
  • Lukas 14,13.21 (BigS online): rufe Arme und Durchstochene, Lahme, Blinde!
  • Johannes 5,3: blinde, bewegungsunfähige und verkrüppelte Menschen
  • Apostelgeschichte 8,7: viele Gelähmte und Verkrüppelte

Die einzige dieser fünf Textstellen, die in katholischen Leseordnungen als Sonntagslesung vorkommt, ist die Perikope Lukas 14,1.7-14 am 22. Sonntag im Jahreskreis. In der Erstauflage der revidierten Einheitsübersetzung stand sowohl in Lukas 14,13.21 (wie auch an den anderen Stellen) "Krüppel". Das wurde nach Interventionen in neuen Auflagen und dem Evangeliar jeweils in "Verkrüppelte" geändert.

Ein Rollstuhlfahrer ist mit einem Rucksack in der Stadt unterwegs
Bild: ©adobestock/LIGHTFIELD STUDIOS

Der - auch sprachliche - Umgang mit Menschen mit Behinderung hat sich verändert.

Natürlich kann man argumentieren, dass "Verkrüppelte" weniger diskriminierend wäre als "Krüppel". In meinen Ohren ist der Unterschied graduell. Im Deutschen stehen andere Worte wie "körperlich eingeschränkt" etc. zur Verfügung. Das Argument des gewohnten, biblischen Sprachgebrauchs ist im Blick auf diese Art sprachlicher Diskriminierung auch eher schwach.

Sensibel bleiben für Begriffe

Es bleibt die Aufgabe derjenigen, die das Wort verlesen und zur Predigt gerufen sind, und von allen, die gemeinsam Texte in der Liturgie oder in anderen Formen der Begegnung lesen und vertiefen, sensibel zu bleiben für Begriffe und ihre mitschwingenden Bedeutungen. Ersetzen Sie das Wort "Krüppel" mit einem Wort, das in Ihrem Kontext passend erscheint.

Für mich ist Psalm 35,16 der einzige biblische Ort, an dem der Begriff "Krüppel" einen berechtigten Ort hat. Ein betender Mensch zitiert verletzende Worte: "Als ich hinkte, verhöhnten sie mich als Krüppel, knirschten gegen mich mit den Zähnen." (Psalm 35,16 EÜ)

Von Katrin Brockmöller