Frische Konzepte statt Resignation

Kirchenmusiker: Wir müssen einen neuen, authentischen Stil finden

Veröffentlicht am 24.09.2023 um 00:01 Uhr – Von Michael Althaus (KNA) – Lesedauer: 

Lübeck ‐ Welche Musik sollte in der Kirche erklingen – alte Meister oder poppiger Lobpreis? Für Franz Danksagmüller ist beides keine Lösung. Im Interview spricht der Orgelprofessor über die Suche nach einer neuen Musiksprache für den Gottesdienst.

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Noch ist sie fester Bestandteil des Gottesdienstes, und noch finden in vielen Gemeinden regelmäßig Konzerte statt. Aber hat die Kirchenmusik eine Zukunft? Welche Klänge braucht es heute, um die Menschen zu begeistern? Darüber spricht Franz Danksagmüller im Interview. Er ist Professor für Orgel und Improvisation an der Musikhochschule Lübeck. Dort findet Anfang Oktober eine Tagung zur Zukunft der Kirchenmusik statt, die Danksagmüller mitorganisiert.

Frage: Herr Professor Danksagmüller, Kirchenmusik – das verbinden die meisten Menschen mit behäbigen Orgelklängen und angestaubten Chorälen. Zu Recht?

Danksagmüller: Dieses Klischee kommt nicht von ungefähr. Die Kirchenmusik ist teilweise in der Vergangenheit stehengeblieben. Früher war das ganz anders. In der Renaissance und der Barockzeit war der Organist jemand, der neue Musik schafft. Es wäre niemandem eingefallen, zu einem besonderen Anlass ein Stück aus dem vorigen Jahrhundert zu spielen. Wenn im 17. Jahrhundert in den Niederlanden eine Hochzeit stattfand, ging der Brautvater zum Kirchenmusiker und bat ihn, ein Stück zu komponieren. Ich finde, da müssen wir wieder hin.

Frage: Wie muss man sich moderne Kirchenmusik vorstellen? Geht mehr als Orgel und Choralgesang?

Danksagmüller: Da muss mehr gehen. Ein Patentrezept habe ich jedoch nicht. In den Ausbildungsstätten sollte nicht die große Frage sein, wie man Bach richtig spielt, sondern wie man die Menschen richtig anspricht. Ich kann diejenigen gut verstehen, die keine Orgel oder alten Choräle mehr wollen, sondern etwas Neues. Aber stattdessen einfach Gospel, Pop oder Jazz in der Kirche anzubieten, kann auch nicht die Lösung sein.

Frage: Warum nicht?

Danksagmüller: Außerhalb der Kirche gibt es Musikerinnen und Musiker, die das viel authentischer und professioneller machen. Da würde sich die Kirchenmusik lächerlich machen. Ich finde, wir müssen beide Welten zusammenbringen. Wer heute Kirchenmusikerin oder Kirchenmusiker werden möchte, muss im Studium sowohl aktuelle Poprichtungen kennenlernen als auch historische Musik. Wir müssen einen neuen, authentischen Stil finden.

Bild: ©katholisch.de/cph

Spielt (noch) die Hauptrolle in der Kirchenmusik: Die Orgel.

Frage: Was gibt es aktuell für Trends?

Danksagmüller: Ein großer Trend ist, die Musik von Freikirchen zu übernehmen, also Lobpreislieder, aber auch von Pop und Jazz geprägte Musik. Ein kleinerer Trend ist klassische zeitgenössische Musik. Beispiele sind die Kunststation Sankt Peter in Köln und die Martinskirche in Kassel, wo Kunst und Liturgie zusammengeführt werden. Der größte Trend ist weiterhin, einfach historische Musik zu spielen, zum Beispiel von Bach oder Schütz. Nichts gegen diese Komponisten. Aber ich finde es zu kurz gegriffen, da nicht weiterzugehen. Wir müssen wieder eine aktuelle, originäre und authentische Klangsprache finden.

Frage: Die Zahl der Gottesdienstbesucher wird immer geringer. Hat die Kirchenmusik eine Zukunft?

Danksagmüller: Diese Frage stelle ich mir oft. Aber ich will nicht resignieren, sondern ich möchte versuchen, neue Konzepte auszuloten. Genau darum soll es auch bei unserem Symposium gehen. Genauso sind Theologinnen und Theologen als unsere Partner gefragt. Sie müssen wieder mehr in die Tiefe gehen und den Menschen in der Kirche etwas bieten, das sie nicht auf Parteitagen hören oder in der Zeitung lesen. Wenn die Kirchen als Kulturträger wegfallen, verlieren viele Kunstausübende ihre Existenzgrundlage. Die Kirchen bieten eine Infrastruktur, die Konzerte in der Fläche ermöglicht. So viele Konzertsäle können wir gar nicht bauen, um das zu ersetzen. Zudem würde eine wichtige geistliche Dimension abhanden kommen.

Frage: Wird genug getan, um Nachwuchs-Kirchenmusiker zu gewinnen?

Danksagmüller: Fakt ist: Wir haben zu viele freie Stellen und zu wenig Bewerberinnen und Bewerber. Die Mehrheit der Kantorinnen und Kantoren bildet Nachwuchs aus. Letztlich muss sich jeder und jede einzelne von ihnen fragen, ob er oder sie mehr tun könnte. Darüber hinaus müssen wir das Image des Berufs und die Arbeitsbedingungen verbessern. Einerseits gibt es noch zu viele Stellen auf dem Markt, die mit einer zu großen Fülle von Aufgaben verbunden und nicht angemessen entlohnt sind. Andererseits ist vielen nicht bewusst, dass die Kirche trotz aller Schwierigkeiten eine sicherere Arbeitgeberin ist. Ein Kirchenmusiker ist häufig ein in weiten Teilen autarker Musikmanager und hat viele Freiheiten.

Von Michael Althaus (KNA)