Bischof Benno, braucht das Erzbistum Vaduz eine Therapie?
1997 erst wurde die Erzdiözese Vaduz auf dem Gebiet von Liechtenstein errichtet: 160 Quadratkilometer, 10 Pfarreien, 28.000 Katholiken, 33 Priester. So sehr hatte der Churer Bischof Wolfgang Haas sein erstes Bistum gespalten, dass Papst Johannes Paul II. keinen Ausweg als die Erhebung des ehemaligen Churer Dekanats Liechtenstein zum eigenständigen Erzbistum Vaduz sah – mit Haas als erstem Erzbischof. In Vaduz blieb Haas sich treu: Unter den Liechtensteiner Katholiken hat der streitbare Konservative überzeugte Anhänger und scharfe Kritiker.
Kurz nach seinem 75. Geburtstag nahm Papst Franziskus den Rücktritt von Haas an – und nahm die Nachfolge selbst in die Hand: Der Feldkircher Bischof Benno Elbs übernimmt als Apostolischer Administrator vorerst das Ruder in Vaduz. Elbs hat nun die Aufgabe, einen guten Übergang zu gestalten. Im Interview mit katholisch.de erläutert der Bischof, wie es nun in Liechtenstein weitergeht. Denn neben einer Befriedung des kleinen Erzbistums steht einiges auf der politischen und kirchlichen Agenda – vom Staatskirchenrecht bis zur Missbrauchsaufarbeitung.
Frage: Bischof Elbs, Sie sind nicht nur Theologe. Sie sind auch Psychologe und Psychotherapeut. Braucht das Erzbistum Vaduz eine Therapie?
Elbs: Nein, das glaube ich nicht. In den vergangenen Tagen hatte ich schon einige Gespräche, und alle waren sehr offen und entgegenkommend. Meine Aufgabe ist nicht die einer Therapie, sondern einen guten gemeinsamen Übergang zu schaffen in eine neue Situation.
Frage: Auch wenn es keine Therapie braucht: Eine Befriedung braucht das Erzbistum.
Elbs: Ja, das ist sicher so. Es hat viele Auseinandersetzungen und Verletzungen gegeben. Viele Menschen haben das Gefühl, dass sie nicht gesehen wurden. Da braucht es Versöhnung. Das ist im Zentrum des Auftrags der Kirche, und das sehe ich auch als meinen Auftrag als Apostolischer Administrator an.
Frage: Wie gehen Sie das an?
Elbs: Mit einer Haltung der Offenheit, der Wertschätzung, des Respekts. Ich will auf alle zugehen. Vaduz ist zwar unser Nachbarbistum, aber es ist auch Neuland für mich. Und deshalb fange ich jetzt Schritt für Schritt an, mit Menschen in Kontakt zu treten, auch mit den offiziellen Repräsentanten des Staates. Heute habe ich mit dem Kanzler der Kurie vereinbart, dass ich alle Priester zu einem gemeinsamen Gespräch einlade, um sie kennenzulernen. Es trifft sich auch gut, dass am 1. Oktober der Festgottesdienst anlässlich der 150-Jahr-Feier der Kirchengemeinde St. Florin in Vaduz ansteht. Dann werde ich zum ersten Mal einen Gottesdienst im Erzbistum feiern. Ich möchte im ganzen Bistum für die Menschen ansprechbar sein, Gemeinden besuchen und da sein, wo die Kirche hingehört, nämlich bei den Armen, den Menschen, die in Sorge sind, die Hilfe brauchen. Das Entscheidende ist eine Haltung der Wertschätzung und des Respekts. So habe ich in den ersten Tagen meines Amts angefangen, und das trifft bisher auf große Offenheit.
Frage: Wie haben Sie denn erfahren, dass Sie Apostolischer Administrator werden sollen?
Elbs: Der Nuntius hat mich angerufen und mir den Wunsch des Papstes mitgeteilt. Ich habe versucht, ihm andere Lösungen vorzuschlagen. Ehrlich gesagt mit dem nicht ganz edlen Hintergedanken, dass ich als Bischof von Feldkirch bereits jetzt sehr viel zu tun habe. Aber es ist der Wunsch des Papstes, und deshalb habe ich schließlich ja gesagt.
Frage: Früher gehörte Vaduz zum Schweizer Bistum Chur. Was hat das zu bedeuten, dass Sie und nicht ein Schweizer Bischof zum Administrator bestellt wurden?
Elbs: Da muss man nichts Besonderes hineinlesen. Es war einfach naheliegend und vernünftig, einen Nachbarbischof zu nehmen. Der St. Galler Bischof Markus Büchel wird bald 75, der Churer Bischof Joseph Bonnemain hat in seinem Bistum und in der Bischofskonferenz gerade große Aufgaben vor sich, und dann bin am Ende eben ich als Feldkircher Bischof übrig geblieben, der in Frage kommt. Zwischen Vorarlberg und Liechtenstein gibt es auch viele Verbindungen, viele Menschen von hier arbeiten dort und umgekehrt, und wir sprechen die gleiche Sprache, den gleichen Dialekt.
Frage: Theologisch scheinen Sie und den emeritierten Erzbischof Wolfgang Haas aber Welten zu trennen.
Elbs: Ich kenne die grundlegenden Positionen von Erzbischof Haas, muss aber ehrlicherweise sagen, dass ich mich nicht mit allen tiefer auseinandergesetzt habe. Sicher habe ich in manchen Fragen andere Ansichten und andere theologische Zugänge. Das ist aber auch legitim. Auf der menschlichen Ebene verstehen wir uns gut. Er war bei meiner Bischofsweihe und war auch immer wieder hier zu Gast, wenn Feste und Jubiläen anstanden. Das gute Verhältnis wird auch in dem Brief deutlich, den er öffentlich gemacht hat.
Frage: In diesem Brief schreibt der Erzbischof von einem im mitbrüderlichen Geist geführten klärenden Gespräch. Das klingt nach einer diplomatischen Formulierung für einen nicht sonderlich einmütigen Austausch.
Elbs: Nein, überhaupt nicht! Das war ein nettes, informatives und wertschätzendes Gespräch bei Erzbischof Haas daheim in seiner Wohnung. Wir haben zwei Stunden lang geredet, ich hatte eine ganze Liste von Fragen zur Situation der Kirche in Liechtenstein. Trotz der Nähe ist die Struktur der Kirche dort ja völlig anders als in Deutschland oder Österreich.
Frage: In Liechtenstein stehen gerade auch einige politische Fragen an. Die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare steht vor der Tür, das Verhältnis von Staat und Kirche soll reformiert werden. Erzbischof Haas hatte dazu sehr klare Positionen. Werden Sie sich als Administrator auch dazu positionieren?
Elbs: Ja, das werde ich tun. Ich hatte auch schon Kontakt mit der Regierung, der Regierungschef hat mich sehr freundlich empfangen. Eigentlich ist das Vernehmlassungsverfahren, wie es dort heißt, zum Staats-Kirche-Verhältnis schon abgeschlossen, die Eingaben wurden schon gemacht. Aber ich habe darum gebeten, mir das auch noch einmal anschauen zu dürfen und vielleicht noch meine Meinung dazu zu sagen. Und das darf ich.
Frage: Und haben Sie sich schon eine Meinung gebildet?
Elbs: Nein, das steht jetzt erst an.
Frage: Zur Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare hat sich Erzbischof Haas immer wieder sehr pointiert eingebracht. Wie werden Sie sich in dieser Sache positionieren?
Elbs: Auch das kann ich noch nicht sagen. Das war auch kein Thema in meinem Gespräch mit der Regierung.
Frage: Eine Hypothek der Amtszeit von Erzbischof Haas ist der Diözesanklerus. Haas steht im Ruf, viele Männer zu Priestern geweiht zu haben, die anderswo aufgrund von Bedenken abgelehnt wurden. Es gibt einige sehr kontroverse Geistliche. Wie gehen Sie mit dieser Hypothek um?
Elbs: Ich möchte mich nicht auf Vorurteile verlassen. Das ist nicht meine Haltung als Psychotherapeut. Einem Menschen, dem man gegenübersitzt, dem begegne man immer mit Respekt und mit Offenheit. Ich möchte auf die einzelnen Priester zugehen, sie kennenlernen und mir eine Meinung bilden. Jeder Mensch ist heiliger Boden, um mit Papst Franziskus zu sprechen, und wir müssen vor dem heiligen Boden eines anderen Menschen die Schuhe ausziehen. Das ist meine Haltung als Psychotherapeut, als Mensch, als Priester. Und in dieser Haltung begegne ich auch den Priestern des Erzbistums Vaduz. Und dann werde ich sehen, wer bereit ist, mitzuarbeiten, wer bereit ist, sich zu öffnen. Alles weitere wird sich zeigen.
Frage: Wie führen Sie ihr Amt konkret aus? Haben Sie schon einen Ständigen Vertreter benannt?
Elbs: Nein, noch nicht. Der bisherige Generalvikar hat sich zurückgezogen, weil er nicht Teil der neuen Situation sein will. Den Kanzler der Kurie habe ich gebeten, weiter im Amt zu bleiben, wie es auch im Kirchenrecht vorgesehen ist, und Gott sei Dank will er das auch. Er ist für mich jetzt ein wichtiger Verbindungsmann ins Erzbistum. Das Konsultorenkollegium bleibt auch bestehen, und dessen Mitglieder möchte ich bald treffen. Erst nach diesem Gespräch ernenne ich dann einen Ständigen Vertreter.
Frage: Bleibt die Erzbischöfliche Kanzlei in Schellenberg, wo der emeritierte Erzbischof weiterhin wohnt?
Elbs: Das Erzbistum hat seinen Sitz in Vaduz, künftig soll sich die Verwaltung auch auf das Generalvikariat in der Fürst-Franz-Josef-Straße in Vaduz konzentrieren. In Liechtenstein ist die Struktur ja eine ganz andere, als wir es in Deutschland oder Österreich gewohnt sind: Das Erzbistum hat kaum Angestellte. Da gilt es jetzt, die Verwaltung aufzubauen und organisatorisch in den Griff zu bekommen.
Frage: Wie oft werden Sie in Liechtenstein sein?
Elbs: Seit meiner Ernennung war ich jeden Tag dort, es braucht sehr viel Kontakt und Präsenz. Sobald ich die Menschen dort besser kenne, wird es sicher auch wieder weniger werden als in der Kennenlernphase. Aber der Aufwand ist auch nicht so groß: In drei Minuten bin ich in Liechtenstein, nach Vaduz schaffe ich es in 20 Minuten.
Frage: In der Schweizer Missbrauchsstudie wurde beklagt, dass die Vaduzer Akten nicht für die Untersuchung zur Verfügung standen und nicht klar ist, welche Churer Aktenbestände bei der Gründung des Erzbistums nach Liechtenstein überführt wurden. Wären Sie bereit, die Vaduzer Archive für die Aufarbeitung zu öffnen?
Elbs: Was es hier an Akten gibt, auch aus der Churer Zeit, weiß ich nicht. Prinzipiell ist es so, dass sich die Schweizer Studie auf die Schweiz bezieht, Liechtenstein ist ein anderes Land, das Erzbistum gehört nicht zur Schweizer Bischofskonferenz. In Österreich gehen wir offen mit unseren Beständen um, um den Betroffenen gerecht zu werden. Wir arbeiten mit externen und unabhängigen Fachleuten zusammen. Wenn ich in Liechtenstein mit dieser Frage konfrontiert werde, werde ich das genauso handhaben.
Frage: Braucht es mehr Zusammenarbeit mit den Nachbarn? Sollte Liechtenstein einer Bischofskonferenz, sei es der Schweizer, sei es der österreichischen, angehören?
Elbs: Ich empfinde die Zusammenarbeit in der Bischofskonferenz als äußerst positiv. Es hilft, über unterschiedliche Meinungen zu diskutieren. Es schützt auch davor, dass sich ein Bischof in irgendwelchen Themen allein verrennt, wenn es ein menschliches und auch ein spirituelles Korrektiv gibt. Für mich als Bischof von Feldkirch ist die Bischofskonferenz hilfreich, und bestimmt wäre eine Bischofskonferenz auch für den künftigen Erzbischof von Liechtenstein gut. Aber es liegt nicht an mir, das zu entscheiden. Das muss der neue Erzbischof mit seinem Erzbistum beraten.
Frage: Wann rechnen Sie mit einem neuen Erzbischof? Wie lange werden Sie im Amt sein?
Elbs: Ich hoffe, dass es zügig geht. Das ist eine schöne Aufgabe, aber auch eine extrem große: Es braucht dafür Zeit, Zeit, Zeit. Und das hat man als Bischof am allerwenigsten. Dem Nuntius haben Journalisten eine Schätzung herausgelockt: Mindestens ein halbes Jahr werde es dauern. Ich stelle mich jedenfalls nicht auf eine lange Zeit ein, meine Aufgabe ist es nur, den Übergang gut zu gestalten und einen Beitrag zur Versöhnung zu leisten. Und wenn der neue Erzbischof dann kommt, werde ich mich fröhlichen Herzens wieder zurückziehen.