Frühere NS-Ausbildungsstätte "Vogelsang" als kirchlicher Lernort

Leiter der Nationalparkseelsorge Eifel: Gut, dass Kirche hier ist

Veröffentlicht am 13.01.2024 um 12:09 Uhr – Von Madeleine Spendier – Lesedauer: 

Vogelsang ‐ Nur etwa eine Stunde von Köln entfernt liegt die "Vogelsang", eine einstige Ausbildungsstätte des NS-Regimes für Führungskräfte. Dort auf dem Gelände ist das Büro von Pastoralreferent Georg Toporowsky. Für ihn ist es ein Herzensanliegen, dort zu arbeiten, und ein klarer Auftrag für die Kirche.

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Eigentlich sollte es ein Gespräch über Wanderungen in die Eifel werden. Ausflüge in die Natur, Entspannung und Ruhe. Doch dann erzählt Georg Toporowsky am Telefon, er ist Pastoralreferent im Bistum Aachen und Leiter der Nationalparkseelsorge Eifel, dass sein Büro nicht in einer Kirchengemeinde, sondern in Vogelsang ist. Einem Ort, mit einer dunklen Vergangenheit.

Nur etwa eine Stunde von Köln entfernt liegt die frühere "Ordensburg Vogelsang". Von 1936 bis 1939 war dort eine Ausbildungsstätte der Nationalsozialisten. Etwa 2.000 Männer durchliefen die Ausbildung dort. Sie sollten Führungskräfte der NSDAP werden, die Elite, "Herrenmenschen". Auf dem Lehrplan standen Fächer wie Rassenkunde, Geopolitik und vor allem Sport. Der Alltag der "Ordensjunker" von damals ist im neu eingerichteten Museum auf dem Gelände vom heutigen "Vogelsang Internationaler Platz" dargestellt. Auf großen Plakaten sind Aufnahmen von historischen Fahnenparaden und Aufmärschen zu sehen. Auch von Sportübungen, dem militärischen Drill dort in Vogelsang. Als der Zweite Weltkrieg begann, wurde die NS-Kaderschmiede geschlossen und die Junker in die Wehrmacht eingezogen. Manche von ihnen wurden zu Gebietskommissaren und sogenannten "Judenreferenten" in den damals vom deutschen Reich besetzten Gebieten in der Ukraine oder in Polen. Manche sogar nachweislich zu Massenmördern. Wenige, die den Krieg überlebten, haben all das später bereut. Während des Krieges waren in Vogelsang Adolf-Hitler-Schulen untergebracht, die von ihrer Ausrichtung den Ordensburgen sehr ähnlich waren. 

Nach dem Krieg wurde Vogelsang zuerst von britischen, dann von belgischen Truppen militärisch genutzt. Bis 2005. Dann war Schluss mit "Camp Vogelsang". Das Gelände samt Gebäude wurde wieder von der Bundesrepublik Deutschland übernommen. Die Umgestaltung des Ortes wurde maßgeblich durch den Kreis Euskirchen und dem Land NRW betrieben. 2006 wurde es der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und gleichzeitig zum "Zentrum Nationalpark Eifel und Vogelsang" erklärt.

Bild: ©Nationalparkseelsorge Vogelsang

Georg Toporowsky leitet die Nationalparkseelsorge Eifel und Vogelsang. Auch Jugendliche helfen bei den Veranstaltungen mit.

Seit damals gibt es auch die "Seelsorge in Nationalpark Eifel und Vogelsang". Seit 17 Jahren gibt arbeitet dort auch Georg Toporowsky. Zwischen den massigen, mit Naturstein verblendeten Gebäuden ist auch sein Büro. Für ihn war es wichtig, als kirchlicher Mitarbeiter genau hier auf dem Gelände in Vogelsang einen Ort zu haben. Der 51-jährige Seelsorger ist in der Nähe, in dem kleinen Eifelort Morsbach bei Schleiden, aufgewachsen. Er kennt die Geschichte des Ortes.

Anfangs war es schwer, hier in Vogelsang Fuß zu fassen, erzählt der Pastoralreferent. Die Betreibergesellschaft Vogelsang IP gGmbH, die sich nach eigener Aussage als "weltanschaulich neutral" charakterisiert, hatte große Vorbehalte gegenüber einer religiösen Einrichtung auf dem Gelände, die sich mit der Historie Vogelsangs auseinandersetzt und eigene, christliche, Werte-Haltungen vertritt. Doch dem Pastoralreferenten gelang es, sie davon zu überzeugen, dass auch Kirche hier ihren Platz haben sollte. Gerade da, wo die Menschenwürde so mit Füßen getreten wurde, ist es gut, mit unterschiedlichen Einrichtungen zusammen zu arbeiten, die sich "für den Schutz der Menschenwürde einsetzen", erklärt Toporowsky die Idee dahinter.

Ein großer Seminarraum, zwei Büros und weitere Funktionsräume gehören unterhalb des Besucherzentrums zur Nationalparkseelsorge. Sie wurden in den Räumen eines der früheren "Kameradschaftshäuser" eingerichtet. Zum Team der Nationalparkseelsorge gehören zwei weitere pädagogische Fachkräfte, mehrere Honorarkräfte sowie ehrenamtliche Junior-Teamer, also Jugendliche und junge Erwachsene, die bei Veranstaltungen mit Jugendlichen mitarbeiten. Finanziert werden die Stellen über das Bistum Aachen. "Ich spüre, dass es gut ist, dass Kirche hier an diesem Ort ist, weil sich Kirche hier für einen respektvollen und wertschätzenden mitmenschlichen Umgang einsetzt, für Menschenwürde und Menschenrechte, für den bedingungslosen Wert jedes einzelnen Menschen", sagt Toporowsky. Bei den kirchlichen Veranstaltungen in Vogelsang geht es dem Seelsorger ausgehend von den historischen Ereignissen vor allem um den ethischen Aspekt. Vogelsang sei ein wichtiger Lernort für Demokratie und Menschenwürde, so der Pastoralreferent.

Es sind Schulklassen, Firmlingsgruppen oder kirchliche Mitarbeiter und Engagierte, die die Veranstaltungen bei der Nationalparkseelsorge in Vogelsang buchen. Der Ort wirke schon an sich und stelle den Besuchern die Frage nach der eigenen Haltung und den eigenen Werten. Es geht Georg Toporowsky vor allem darum, die dunkle Geschichte Vogelsangs als Anlass zu nehmen, heutige Abwertung und Ausgrenzung von Menschen kritisch zu reflektieren. "Es ist wichtig, dass wir respektvoll und tolerant miteinander umgehen und niemanden ausgrenzen, weder in der Familie, am Arbeitspatz noch in der Kirche", so der Pastoralreferent aus dem Bistum Aachen. Und es geht dem Seelsorger auch um die kritische Reflexion der Rolle von Kirche und Christen im Nationalsozialismus. Durch Übungen und Austausch sollen bei den Besuchern auch die Haltung und Handlungskompetenzen hinsichtlich eines respektvollen Lebensstils gestärkt werden.

Bild: ©Nationalparkseelsorge Vogelsang

Das Gelände der ehemaligen "NS-Ordensburg Vogelsang" ist weitläufig und denkmalgeschützt.

Trotzdem, manche Besucher empfinden das Gelände Vogelsang als bedrückend. Zwar kann man viele historische Räumlichkeiten, wie die Burgschänke, den "Fackelträger" oder den Turm besichtigen, sogar das Schwimmbad in Vogelsang samt martialischen Mosaik ist noch in Betrieb. Doch die dunkle Geschichte ist bei jedem Schritt präsent. Wer mag, kann in der Vogelsang-Gastronomie Kaffee und Kuchen einnehmen und den Ausblick in die Eifel genießen. Auch ein Wildnis-Erlebnisraum auf dem Gelände lädt zur Besichtigung ein. Demnächst soll auf dem Gelände auch ein Hotel entstehen, erzählt Toporowsky. Nicht alle Besucher finden das gut, weiß er.

Neben seinem Büro hat der Leiter der Nationalparkseelsorge einen kleinen Andachtsraum eingerichtet. Hier hat alles seinen Platz, das Gebet und das Gespräch. Es gehe hier auch um die die Förderung wesentlicher psychischer Ressourcen, die die Ausprägung eines den Anderen wertschätzenden Lebensstils ermöglichen und unterstützen soll, erklärt er.

In unterschiedlichen Formaten können hier auch Angebote im Nationalpark Eifel gebucht werden. Auch hier ist das Ziel: der respektvolle und nachhaltige Umgang mit allem Leben, mit der Schöpfung. So kann man an geführten Wanderungen im Nationalpark auf dem Schöpfungspfad teilnehmen, an Übernachtungen in der Natur oder bei Exerzitien im Wald. "Es geht immer darum, wie wir gut miteinander umgehen, auch mit der Natur, Gottes Schöpfung." Die Ziele dabei: die Natur des Nationalparks als heilsam zu erleben, die Freude am Leben wieder zu spüren und die Verbundenheit mit allen Menschen zu stärken. Damit werde wesentlich die intrinsische Motivation für einen nachhaltigen Lebensstil unterstützt, meint Toporowsky. "Es braucht solche kirchliche Lernorte, um dort eine Haltung und Spiritualität eines respektvollen Umgangs miteinander einzuüben und zu vertiefen". 

Im Andachtsraum der Nationalparkseelsorge in Vogelsang steht ein Kreuz. Es ist aus Glas. "Darin spiegelt sich der Betrachter", sagt Toporowsky und fügt hinzu: "Jeder und jede ist ein Ebenbild Gottes. Wir sind von Gott geliebt. Bedingungslos". Wenn Menschen von diesem Ort weggehen, befreit, mit einem Lächeln im Gesicht, dann berühre das den Aachener Pastoralreferenten immer sehr. "Dann können Wunden heilen." 

Von Madeleine Spendier