Von wegen Klostersterben: Diese Benediktinerinnen expandieren
Kaum hat sich die Tür geöffnet, da sprudelt die Gastgeberin schon los. Wie man das von Führungen durch neue vier Wände kennt, spricht sie begeistert über die Lage, den Zuschnitt der Zimmer, die tolle Aussicht... Nur: Diesmal geht es nicht um irgendeine Wohnung, sondern ein ganz spezielles Objekt. Schwester Emmanuela zeigt ihr neues Kloster.
Die Benediktinerin und ihre Mitschwestern in Köln erleben etwas völlig Untypisches: Obwohl die krisengeschüttelte Kirche massenhaft Mitglieder verliert und viele Klöster mangels Nachwuchs dicht machen, erfährt ihre Gemeinschaft genau das Gegenteil: Ein bemerkenswert stetiger Zuwachs hat ihr Kloster im Kölner Stadtteil Raderberg an seine Kapazitätsgrenze gebracht. Vor drei Jahren zog dort die 33. Nonne ein – und Schwester Emmanuela erinnert sich an den Satz einer Novizin: "Jetzt sind uns die Wände im Weg." Statt einer möglichen Erweiterung des Gebäudes wagte die Kommunität einen anderen Schritt: Die Gründung eines neuen Klosters – und zwar im etwa 60 Kilometer entfernten Angermund, dem nördlichsten Stadtteil von Düsseldorf an der Grenze zu Duisburg.
Ein Neuanfang in ländlicher Umgebung
Hier, in ländlicher Umgebung versuchen nun sechs der Kölner Benediktinerinnen einen Neuanfang. Vor einem Jahr zogen sie in einen Ziegelbau aus den 1960er Jahren, wo nun am Samstag die offizielle Einweihungsfeier ansteht. Das Haus versteckt sich etwas hinter breiten Büschen und unter hohen Bäumen am Waldrand. Beim Rundgang mit Schwester Emmanuela wird allmählich klar, was sie an ihrem neuen Zuhause so fasziniert.
Es ist das Konzept des Architekten Emil Steffann (1899-1968). Er entwarf das Gebäude als geistlichen Ort für Dominikanerinnen. Aber ihre Gemeinschaft wurde immer kleiner. Nach längerer Suche fanden sie in den Benediktinerinnen Nachfolgerinnen für ihr Katharinenkloster. Dieses liegt – es fällt nicht auf, aber Schwester Emmanuela macht darauf aufmerksam – etwas erhöht auf einem künstlichen Hügel und verbindet auf eigene Weise Tradition und Moderne.
Alles, was man von einem Kloster erwartet, ist da. Zum Beispiel eine Kapelle. Die Sitzreihen ordnen sich aber im Halbrund um den Altar, ganz im Sinne der jüngeren Theologie mit ihrer Betonung der Gemeinschaft der Glaubenden. Schwester Emmanuela lenkt den Blick auf die Mauerstruktur aus unsortierten Steinen und das Spiel mit Licht: "Diese Mischung aus Einfachheit und Klarheit. Diese Atmosphäre der Stille. Eine tolle Immobilie", schwärmt die 61-Jährige.
Mehr als 60 Klosterzellen ließ Steffann auf drei Stockwerken und 2.500 Quadratmetern entstehen – eine Größe, die sich nur bei näherem Hinsehen erschließt. Und das Besondere der Anlage fiele auch erst dann richtig ins Auge, würde man im Garten eine Drohne aufsteigen lassen. Dann zeigte sich ein Komplex mit fünf Ecken: das Pentagon von Angermund. In der Mitte findet sich ein Innenhof, um den sich ein Kreuzgang und weitere Gänge mit den Zimmern legen.
"Kloster als Lebensschule"
Zur Auswahl stand auch ein großes altes Pfarrhaus im Ruhrgebiet und der Trakt eines Tagungshauses im Münsterland. Doch beides passte nicht so gut zu dem, was die Nonnen im Sinn haben: ein von alter benediktinischer Regel bestimmtes Leben mit viel Schweigen und täglich fünf Gebetszeiten, das sich aber nach außen hin öffnet – für einzelne Gäste oder kleine Gruppen, die ein paar Tage oder länger in der Gemeinschaft mitleben wollen. "Kloster als Lebensschule", nennt das Schwester Emmanuela – wobei es nicht um die Gewinnung neuer Mitglieder gehe, sondern allgemein um Orientierung für sich selbst.
Seit einem Jahr leben die Schwestern in Angermund und renovieren nun nach und nach mit viel Eigenarbeit die Dutzende von Räumen. Schwester Josephine, die als Mutter von drei Kindern und inzwischen sieben Enkelkindern relativ spät zu dem Orden fand, hat ein Talent für die Ausgestaltung der Zimmer: pastellfarbene Gardinen und helle Wände, an denen abstrakte Gemälde des Künstlers Wilhelm Opiela hängen. Sie stammen aus dem Fundus seines Sohnes Jan, der als Priester nicht allein leben will und ins Obergeschoss eingezogen ist. Häufig feiert "Bruder Jan" mit den Schwestern in der Klosterkapelle die Sonntagsmesse, die inzwischen 80 bis 120 Besucher aus der Umgebung anzieht.
Die Frage, was die besondere Attraktivität der Gemeinschaft ausmacht, kann Schwester Emmanuela nicht beantworten. "Es gibt kein Erfolgsrezept" - und viele ähnlich ausgerichtete Orden, die keinen Nachwuchs generieren. Viel spricht dafür, dass ihre agile Ausstrahlung zu dem Zulauf beiträgt. Bis 2022 war die promovierte Musikwissenschaftlerin, die sich zum Coach ausbilden ließ und das Buch "Die neue Kunst des Leitens" schrieb, Priorin und damit Chefin in Köln. Jetzt steht sie als ernannte Oberin der neuen Niederlassung vor. Der Untertitel ihres Buches – "Top-Down war gestern" – dürfte auch ihren Führungsstil beschreiben. Ihre eigene Rolle redet Schwester Emmanuela klein.
Vor allem aber steht sie dafür, dass wesentliche Beschlüsse gemeinsam getroffen werden. Ein Beispiel dafür ist der Entscheidungsprozess für Angermund. Nachdem alle Argumente ausgetauscht waren, zogen sich die Nonnen erst einmal drei Tage und Nächte zum Gebet zurück, um dann zur geheimen Abstimmung zu schreiten. Statt der erforderlichen Zweidrittelmehrheit gab es am Ende ein einstimmiges Votum.
Kloster in Angermund als Modell für die Zukunft der Kirche?
Binnen 15 Jahren muss sich das Angermunder Kloster von Köln abnabeln und autonom werden, so will es das Kirchenrecht. Das heißt auch, wirtschaftlich auf eigenen Füßen zu stehen. Schwester Clara trägt mit ihren Kräuterworkshops und ihrer Heilpraktiker-Praxis in einem der Räume zum Unterhalt bei. Ein anderer Gedanke springt Schwester Emmanuela im Kopf herum: die Garage zu einem Cafe umzubauen. Eine Idee von vielen.
In kleinen Klostergemeinschaften wie in Angermund sieht die Hausoberin ein Modell für die Zukunft der Kirche. "Denn diese Segelschiffe sind doch viel beweglicher, um neue Ufer zu erreichen, als der große Tanker eines breit aufgestellten Bistums."