Nach Missbrauchs-Doku Anstieg der Austritte

Belgien debattiert über das Löschen von Taufbucheinträgen

Veröffentlicht am 13.10.2023 um 00:01 Uhr – Von Felix Neumann – Lesedauer: 

Brüssel ‐ Die Kirche in Belgien steht nach einer Fernsehdokumentation über Missbrauch in der Kritik – die Kirchenaustritte steigen massiv. Aber wer getauft ist, bleibt das, auch im Taufregister. Dagegen erheben sich Proteste – doch haben sie Aussicht auf Erfolg?

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"Europa hat Google in die Knie gezwungen, jetzt ist die Kirche dran" – mit dieser markigen Überschrift war in der belgischen Tageszeitung "Standaard" ein Meinungsbeitrag des Künstlers und Politikers Jan De Zutter überschrieben. Nachdem die Fernsehdokumentation "Godvergeten" ("Gottvergessen") im September Betroffene von Missbrauch in der Kirche zu Wort kommen ließ und eine landesweite Diskussion auslöste, ist die Zahl der austrittswilligen Katholiken gestiegen. Austritte sind in der Kirche aber nicht vorgesehen: einmal katholisch, immer katholisch. Während in Deutschland der Austritt formal erklärt werden kann und zur Folge hat, dass die Mitgliedschaft in der Körperschaft des öffentlichen Rechts endet (und Austritte sehr genau dokumentiert werden), gibt es diese Möglichkeiten in anderen Ländern nicht – so auch nicht in Belgien. Versuche von Austrittswilligen, ihren Eintrag aus dem Taufregister löschen zu lassen, lehnt die Kirche ab – und löst damit in Belgien eine Debatte aus.

Wer katholisch getauft wird oder in die katholische Kirche übertritt, wird in den Kirchenbüchern aufgeführt. Der Eintrag im Taufregister dokumentiert zwar auch die Kirchenzugehörigkeit – aber für die Kirche bedeutet er noch mehr: Die Taufe verleiht als Sakrament ein "untilgbares Prägemal". Wer einmal getauft ist, ist immer getauft. Eine Taufe kann nicht wiederholt werden, nur wer getauft ist, kann andere Sakramente empfangen, und selbst auf Menschen, die sich von der Kirche abgewandt haben, hat eine Taufe noch Auswirkungen – etwa in der Frage, ob eine Ehe sakramental und damit absolut unauflöslich ist. Dass in Belgien die Debatte unter dem Schlagwort der "Enttaufung" geführt wird, ist teilweise auch ein hausgemachtes Problem der Kirche: Kirchenaustritte verzeichnet die belgische Bischofskonferenz in ihrer Kirchenstatistik unter dem Schlagwort "Anträge auf Austragung aus dem Taufregister". Auf solche Anträge hin wird im Taufregistereintrag eine Notiz über einen "formalen Austritt aus der Kirche" ergänzt.

Papst Franziskus tauft am 8. Januar 2017 in der Sixtinischen Kapelle einen Säugling.
Bild: ©Osservatore Romano/Romano Siciliani/KNA (Symbolbild)

Die Taufe ist ein Sakrament. Sie hinterlässt ein "untilgbares Prägemal" – und bleibt deshalb auch in den Kirchenbüchern.

De Zutter, der Pressesprecher für die sozialdemokratische S&D-Fraktion im Europaparlament ist, pocht in seinem Zeitungsbeitrag auf den Datenschutz. Ihm genügt die Ergänzung über den "formalen Austritt" nicht: So wie die europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) auch für den Internet-Giganten Google gilt, sieht er auch beim Taufregister die Stunde des Datenschutzes gekommen. "Die Kirche fürchtet es wie der Teufel das Weihwasser, wenn sie mit der DSGVO konfrontiert wird. Sie benutzt dafür alle möglichen theologischen und kirchlichen Argumente und beruft sich auf die Religionsfreiheit", schreibt De Zutter. Theologische und kirchenrechtliche Gründe müssen für ihn hier hinter das weltliche Recht zurücktreten. Schützenhilfe erhält er von seiner Parteifreundin und Europaabgeordneten Kathleen Van Brempt. Die Sozialdemokratin hat eine parlamentarische Anfrage an die EU-Kommission gerichtet, in der sie fragt, ob die Kommission wisse, dass es Religionsgemeinschaften gebe, die sich nicht an die DSGVO halten, und welche Schritte die EU dagegen unternehmen werde.

Die belgische Bischofskonferenz wies in einer ersten Reaktion ihres Datenschutzbeauftragten Bruno Spriet darauf hin, dass sie sich umfassend an das Datenschutzrecht hält – auch was die Taufregister angeht. Spriet betonte, dass die Taufbücher nicht öffentlich seien, Dritten nur mit ausdrücklicher vorheriger Einwilligung der betroffenen Person zugänglich gemacht und nicht an andere Behörden weitergegeben werden: "Der Austritt des Antragstellers wird nirgendwo veröffentlicht."

Belgische Datenschutzaufsicht untersucht, irische hat schon entschieden

In Belgien liegen Beschwerden über verweigerte Löschungen aus dem Taufregister der Datenschutzaufsicht des Landes vor. Die Streitbeilegungskammer der Behörde ist derzeit mit der Sache befasst. Wann sie sich äußern wird, ist nicht absehbar. "Die Vorgänge im Zusammenhang mit der Löschung von Taufbüchern sind noch nicht abgeschlossen", teilte die "Gegevensbeschermingsautoriteit", die belgische Datenschutzbehörde, auf katholisch.de-Anfrage mit.

Die Kritiker der Kirche zeigen sich überzeugt, dass sie im Recht sind: Schließlich gehört das "Recht auf Vergessenwerden" zu den wichtigsten Rechten, die die DSGVO einräumt. So einfach ist das aber nicht: Das Recht auf Löschung gilt nicht unbegrenzt. Internationale Präzedenzfälle sprechen dafür, dass auch in Belgien Taufbücher nicht einfach nur gelöscht werden. Das Datenschutzrecht ist nicht absolut – auch die Interessen der Kirche müssen in Entscheidungen über Löschen oder Nichtlöschen mit abgewogen werden.

Amtsbuch in Trierer Pfarrei
Bild: ©Bistum Trier/Deborah Kölz (Symbolbild)

In Kirchen- oder Amtsbücher verzeichnen die Mitarbeiter der Pfarrei unter anderem Taufen, Trauungen und Todesfälle. Manche der Amtsbücher haben aber auch eine persönliche Note von den Verfassern bekommen.

Erst im September hat beispielsweise die irische Datenschutzaufsicht eine umfangreiche Entscheidung veröffentlicht: Auf 183 Seiten begründete die Datenschutzbeauftragte Helen Dixon, warum sie kein Recht auf Löschung in Taufbüchern sieht. Wie in Belgien wandten sich katholisch getaufte Austrittswillige an die Behörde, nachdem das Erzbistum Dublin sich geweigert hatte, Taufregister auf Antrag zu löschen. Dixon begründet ihre Entscheidung damit, dass die Taufregister für die Kirche erforderlich sind, und zwar so lange, wie die getaufte Person lebt. Ausführlich berücksichtigt sie in ihrer Entscheidung das theologische und kirchenrechtliche Selbstverständnis der Kirche.

Im Ergebnis könne sich die Kirche auf ein berechtigtes Interesse an den Taufbucheinträgen berufen, hinter dem das Interesse von Austrittswilligen zurücktreten müsse, zumal das Erzbistum Dublin zeigen konnte, dass sie geeignete Schutzmaßnahmen für die Inhalte der Taufbücher ergriffen hat. "Betroffene Personen, die sich nicht mehr als Mitglieder der katholischen Kirche betrachten, haben nicht das Recht, die Löschung ihrer personenbezogenen Daten in den Taufregistern aus den in Artikel 17 Absatz 1 Buchstaben a bis f der DSGVO genannten Gründen zu verlangen", heißt es klar in dem Bescheid: Artikel 17 DSGVO regelt das "Recht auf Vergessenwerden". Die Kirche könne zwar einen Vermerk ergänzen, dass die Person sich von der Kirche distanziert hat – datenschutzrechtlich verpflichtend ist das nach Ansicht der irischen Aufsicht aber nicht.

Bisher keine Erfolge vor Gericht auf Löschung

Ähnliche Fälle gab es auch in anderen Ländern: 2012 scheiterte ein Kläger vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, der die Taufe seiner Tochter für ungültig erklären lassen wollte. 2013 wies das Verwaltungsgericht München eine Klage ab, mit der ein Kläger die Schwärzung eines Taufbucheintrags erzwingen wollte. Der französische Kassationshof lehnte 2014 eine Klage eines Mannes ab, der seinen Taufbucheintrag löschen lassen wollte, der dagegen angerufene Europäische Menschenrechtsgerichtshof hatte nichts an der Entscheidung auszusetzen. Auch nachdem die DSGVO 2018 wirksam wurde, gab es keine Erfolge: In Slowenien bestätigte das Verwaltungsgericht die Datenschutzaufsicht in ihrer Auffassung, dass Taufregister auf Antrag nicht gelöscht werden müssen.

In Belgien geht die Debatte indes weiter. Noch ist nicht bekannt, wie die Datenschutzbehörde des Landes entscheiden wird, und auch die Europaabgeordnete hat noch keine Antwort von der EU-Kommission erhalten. Dass Europa die Kirche in die Knie zwingt, wie es der Kirchenkritiker De Zutter hofft, scheint angesichts der internationalen Präzedenzfälle als ausgesprochen ungewiss: Die belgischen Taufbücher dürften auch künftig die Taufen von ehemaligen Katholiken verzeichnen.

Von Felix Neumann