Warum Schwester Gabriela Zinkl Israel nicht verlassen möchte

Ordensfrau in Jerusalem: "Wir versuchen zu beruhigen, zu trösten"

Veröffentlicht am 21.10.2023 um 12:00 Uhr – Von Madeleine Spendier – Lesedauer: 
Ordensfrau in Jerusalem: "Wir versuchen zu beruhigen, zu trösten"
Bild: © privat

Jerusalem ‐ Schwester Gabriela Zinkl lebt und arbeitet in Jerusalem. Gemeinsam mit ihren Mitschwestern betreibt sie ein Pilgerhospiz und einen Kindergarten. Doch dort ist zur Zeit Ausnahmezustand. Im Interview mit katholisch.de sagt Zinkl, warum sie Israel nicht verlassen will.

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Schwester Gabriela Zinkl ist Ordensfrau und lebt seit acht Jahren in Jerusalem. Dort ist sie mit ihrer Schwesterngemeinschaft für die Pilgerbetreuung in einem Gästehaus zuständig. Bis vor kurzem waren dort auch noch deutsche Pilgergruppen. Die Schwestern betreiben auch einen Kindergarten. Im Interview mit katholisch.de spricht sie über ihre momentane Situation vor Ort und erklärt, warum sie Israel nicht verlassen will.

Frage: Schwester Gabriela, Sie sind nach wie vor in Jerusalem vor Ort?

Schwester Gabriela: Ja, ich bin hier. Ich habe noch keine Sekunde darüber nachgedacht, das Land zu verlassen. Seit Sonntag befindet sich Israel im Kriegszustand. Das macht vielen hier Angst. Ich habe keine Angst, sondern werde mit meinen Mitschwestern den Menschen zur Seite stehen.

Frage: Die Gäste in Ihrem Haus sind alle abgereist?

Schwester Gabriela: Ja, unsere Gäste und auch fast alle unsere freiwilligen Helfer sind sicher in Deutschland gelandet. Unsere Oberin hat es uns Schwestern freigestellt, ob wir ins Mutterhaus nach Deutschland zurückkehren wollen. Doch wir haben alle sofort gesagt: "Wir bleiben hier." Wir sehen es als unseren Auftrag an, bei den Menschen zu bleiben. Schon vor 130 Jahren wurde unser Orden ins Heilige Land ausgesandt, um hier zu wirken, um hier bei den Menschen zu sein. Auch jetzt, in dieser schrecklichen Kriegssituation.

Frage: Was bekommen Sie vom Krieg konkret vor Ort mit?

Schwester Gabriela: Wir hören immer wieder Detonationen von Raketen und auch die lauten Geräusche der Kampfflugzeuge. Der Krisenherd im Gaza, wo zurzeit erbittert gekämpft wird, ist etwa eine Stunde von uns entfernt, das sind 80 Kilometer. Wir sind auch in Kontakt mit Ordensfrauen im Gaza. Sie gehören dort zur Pfarrgemeinde "Heilige Familie". Sie wollen das Land auch nicht verlassen und helfen den Menschen vor Ort. Sie richten gerade im Pfarrheim ein Matratzenlager als Schutzraum ein, kaufen Lebensmittel und Essen ein. Wenn ich Detonationen höre, denke ich an die Menschen, die in diesen Sekunden im Gaza um ihr Leben bangen. Ich bete für sie. Ich bete für den Frieden im Heiligen Land. Ich möchte, dass die Gewalttaten endlich aufhören. Wir sind in Jerusalem relativ sicher. Dennoch ist die Stimmung hier sehr bedrückend.

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Frage: Wie sind Ihre Aufgaben jetzt in Jerusalem?

Schwester Gabriela: Ich arbeite normalerweise an der Rezeption im Pilgerhospiz St. Charles. Aber es gibt zur Zeit keine Gäste bei uns. Daher ist es momentan sehr ruhig im Haus. Wir haben aber viele Menschen, die uns anrufen: Gäste, Freunde und Verwandte aus Deutschland, die sich nach unserem Befinden erkundigen. Und es gibt noch einige deutsche Familien, die nach wie vor hier in Jerusalem leben. Die sind froh, dass wir hierbleiben. Auch Pilger sind noch im Heiligen Land unterwegs. Die stranden zum Teil bei uns und wir helfen ihnen weiter. Sie brauchen jemanden zum Reden. Sie können bei uns auch übernachten. Sie sind bei uns sicher, denn wir haben Schutzräume auf unserem Gelände.

Frage: Sie betreuen auch einen Kindergarten in Jerusalem. Wie gestaltet sich das momentan?

Schwester Gabriela: Ja, unser Kindergarten St. Charles ist ja auf dem Gelände des Hospizes. Den besuchen normalerweise 130 Kinder. Die meisten davon sind muslimische Palästinenser, auch Christen. Doch momentan ist hier niemand. Denn die Schulen und Kindergärten haben seit Ausbruch des Kriegszustandes geschlossen. Die Kinder sind bei den Eltern und meistens halten sie sich nur drinnen auf. Daher versuchen wir, ihnen einen geordneten Alltag zu vermitteln, indem wir mit ihnen online ein Programm machen. Wir bereiten für sie Aufgaben und Videos vor. Es gibt auch Hausaufgaben. Die Eltern sind froh, wenn wir uns Zeit für die Kinder nehmen. Wir versuchen, so gut es geht, sie zu beruhigen, zu trösten, auf andere Gedanken zu bringen. Die Lebensmittelläden, auch die Apotheken haben hier geöffnet. Das Leben geht weiter.

Bild: ©privat

Schwester Gabriela Zinkl lebt seit acht Jahren in Jerusalem. Ein Bild aus friedlichen Zeiten dort.

Frage: Woher nehmen Sie persönlich Ihre Kraft, mit den schrecklichen Geschehnissen gleich in der Nähe umzugehen?

Schwester Gabriela: Immer, wenn ich Bilder von diesen schlimmen Verbrechen sehe, dann bin ich zutiefst erschüttert. Ich trauere um die Menschen, die sterben mussten. Ich hätte nicht gedacht, dass Menschen einander so etwas Abscheuliches antun können. Dass Menschen andere Menschen so grausam foltern, misshandeln und töten. Für mich ist das Missbrauch von Religion, wenn man so etwas Grausames in Gottes Namen tut. So etwas will Gott nicht. Ich glaube an einen menschlichen Gott. Einen Gott, der das Leben will, ein gutes Leben. Ich sehe es als meine Aufgabe hier, dem ganzen Bösen die Mitmenschlichkeit entgegenzustellen. Nicht zurückschlagen, keine Rachegefühle hegen, sondern menschlich bleiben. Nur wenn wir menschlich miteinander umgehen, dann kann es besser werden.

Frage: Das kling fast so, als würden Sie sich als Märtyrerin verstehen?

Schwester Gabriela: Nein, ich möchte keine Märtyrerin sein. Niemand will das hier. Aber in so einer absolut hilflosen Situation ein klein wenig Menschlichkeit zu zeigen, das ist meine Aufgabe als Christin. Gerade dort, wo die Menschlichkeit so mit den Füßen getreten wurde. Ich erinnere mich dann an die Werke der Barmherzigkeit, die Jesus uns aufgetragen hat: Menschen zu trösten, die trauern. Ihnen zu essen zu geben. Das alles ist nun mein und unser Auftrag. Wenn mir alles zu viel wird, gehe ich auf den Friedhof meiner Gemeinschaft gleich in der Nähe. Dort lese ich dann die Namen der Schwestern, die vor mir hier im Heiligen Land waren. Ich spüre eine Verbundenheit mit ihnen. Immer wieder gab es Krieg in diesem Land. Ich überlege dann, was diese Ordensfrauen wohl hier alles mitmachen mussten. Ich möchte das weiterführen, was meine Mitschwesstern vor mir begonnen haben. Daher will ich auch bleiben im Heiligen Land. Es ist ein gutes Land. Ich kann nicht sagen, dass wir hier sicher sind. Das liegt allein in Gottes Hand.

Von Madeleine Spendier

Zur Person

Schwester M. Gabriela Zinkl (48) trat 2015 in die Kongregation der Barmherzigen Schwestern vom heiligen Karl Borromäus ein. Sie ist in der Pilgerbetreuung im Jerusalemer Schwesternkonvent eingesetzt. Sie ist Dozentin für Kirchenrecht und Autorin zahlreicher Veröffentlichungen. Zu ihrer deutschsprachigen Gemeinschaft gehören sieben Schwestern.