Bischof Neymeyr: Jetzt ist die Stunde der Solidarität mit Israel
Die Auswirkungen des Nahost-Kriegs reichen auch bis Deutschland. Die jüdische Community ist in großer Sorge. Pro-palästinensische Demos entsetzten mit Aggressivität, Sicherheitsvorkehrungen wurden verschärft. Wie schätzt die katholische Kirche die Situation ein? Darüber spricht der Erfurter Bischof Ulrich Neymeyer, Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für die Beziehungen zum Judentum.
Frage: Herr Bischof Neymeyr, welche Folgen wird der Krieg in Israel haben, gerade auch mit Blick auf das Miteinander der Religionen?
Neymeyr: Welche Folgen der Krieg für das interreligiöse Verhältnis in Israel haben wird, ist von Deutschland aus schwer zu beurteilen. Für das christlich-jüdische Verhältnis ist der gegenwärtige Krieg eine Bewährungsprobe. Angesichts des Terrors der Hamas, der brutalen Gewalt gegen wehrlose Menschen, darunter Kinder, und der Erpressung durch entführte Geiseln kann unser Platz nur an der Seite der Jüdinnen und Juden sein, in Israel ebenso wie in Deutschland. Man kann in der politischen Einschätzung des Nahost-Konflikts unterschiedlicher Meinung sein. Aber wenn ein Pogrom gegen Jüdinnen und Juden verübt wird, ist die christliche Antwort eindeutig. Jetzt ist die Stunde der Solidarität mit Israel.
Frage: Inwieweit können Religionsvertreter in diesem eskalierenden Konflikt jetzt vermitteln?
Neymeyr: Der israelisch-palästinensische Konflikt ist kein religiöser Konflikt, sondern ein politischer. Er kann auch nur politisch gelöst werden. Ich sehe zwei Aufgaben für die Religionsvertreter. Zum einen sollten die religiösen Autoritäten all denen widersprechen, die versuchen, aus diesem politischen Konflikt einen religiösen zu machen. Zum anderen ist es ihre Aufgabe, immer wieder an grundlegende Werte und Normen zu erinnern, die allen monotheistischen Religionen gemeinsam sind, und die Gläubigen zu motivieren, sich nach Kräften für eine politische Lösung des Konflikts einzusetzen.
Frage: Der Krieg in Israel hat auch Auswirkungen auf Jüdinnen und Juden hierzulande. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sprach von großer Verunsicherung und Sorge. Sicherheitsvorkehrungen wurden verschärft. Was ist Ihre Reaktion darauf?
Neymeyr: Es ist zweifellos richtig, die Sicherheitsvorkehrungen vor jüdischen Einrichtungen zu verstärken und so jüdisches Leben zu schützen. Aber langfristig müssen wir zu einer Situation kommen, in der diese Sicherheitsmaßnahmen nicht mehr notwendig sind. Das wird uns nur gelingen, wenn wir den Kampf gegen Antisemitismus noch intensiver führen als bislang.
Hier hat die Schule die wichtige Aufgabe, die politische Urteilsbildung der Schülerinnen und Schüler zu fördern, indem einseitige oder falsche Informationen korrigiert, fehlendes Wissen ergänzt und der Emotionalisierung von Konflikten eine faktenbasierte differenzierte Sicht entgegengesetzt wird. Hier gibt es gute Initiativen. Ich denke etwa an die Aktion "Zusammen gegen Antisemitismus", das an mehreren katholischen und evangelischen Schulen in Niedersachsen mit Erfolg durchgeführt wird. Solche Initiativen müssen wir unterstützen.
Frage: Wie blicken Sie auf die pro-palästinensischen Demonstrationen in Deutschland?
Neymeyr: Ich kann gut nachempfinden, dass Palästinenser in Deutschland sich um ihre Familienangehörigen und Freunde in Gaza sorgen. Es ist ja nicht zu leugnen, dass die Palästinenser in Gaza leiden. Diese Stimme des Leidens darf nicht zum Verstummen gebracht werden. Ich habe aber kein Verständnis für Solidaritätsbekundungen mit der Hamas, die in Gaza eine brutale Diktatur errichtet hat. Unerträglich ist es, wenn auf unseren Straßen über die Ermordung unschuldiger Menschen gejubelt und Hass gegen Jüdinnen und Juden propagiert wird. Das dürfen wir nicht tolerieren.