Die Kirche muss sich intensiver mit Antisemitismus auseinandersetzen
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Normalerweise ist nach einem Terroranschlag die Solidarität mit den Opfern groß, ob nach dem 11. September 2001 mit den USA, 2004 mit der Bevölkerung von Madrid und ein Jahr später von London, in den 2010er Jahren von Berlin, Paris, Nizza. Es läuft "immer der gleiche Film" ab: Online und offline werden Kerzen angezündet, die Empörung und die Trauer sind groß und die Solidaritätsbekundungen laut und bedingungslos.
Nach dem Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel ist es jedoch nicht mehr der gleiche Film. Zwar gibt es weltweit Demos und Aktionen, die Solidarität mit Israel zeigen, aber auch Proteste, die den Terror feiern. Zwar gibt es Sondersendungen und Talkshows, darin aber auch Schuldzuweisungen an Israel und nicht nur an die Hamas. Die meisten Opfer waren Juden und sie sind weiterhin bedroht: Weltweit werden Sicherheitsmaßnahmen verschärft, weil jüdische Einrichtungen angegriffen und beschmiert werden. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, fürchtet eine Verschlechterung des Klimas für Juden hierzulande. Diesmal läuft der Film anders ab und der Grund dafür lautet Antisemitismus.
Hier reicht es nicht aus, mit dem Finger auf andere zu zeigen, etwa auf den islamischen Antisemitismus. Einen intellektuellen Tiefpunkt erreichte vor wenigen Tagen der Podcast von Markus Lanz und Richard David Precht. Letzterer behauptete, die Religion verbiete streng orthodoxen Juden zu arbeiten. "Ein paar Sachen, wie Diamanthandel und ein paar Finanzgeschäfte ausgenommen." Eine Vermischung von Unwissen über die Religion mit uralten antisemitischen Verschwörungsmythen sowie eine Täter-Opfer-Umkehr. Der baden-württembergische Antisemitismusbeauftragte Michael Blume lieferte dankenswerterweise einen Faktencheck zu der mit Falschbehauptungen gespickten Folge.
Auch bei uns Christen sieht es nicht unbedingt gut aus. Zwar hat sich sehr viel in den vergangenen Jahrzehnten verbessert, in der Deutung des Alten Testaments, in den interreligiösen Beziehungen zwischen römisch-katholischer Kirche und dem Judentum. Aber auch bei uns sitzen einige Verschwörungsmythen fest, das Wissen über die andere Religion ist zu gering und der Austausch mit ihren Vertretern zu selten. Ja, Deutschland muss sein Antisemitismus-Problem angehen und ich finde, dass der Teil der Gesellschaft, der sich Kirche nennt, sich auch intensiver damit auseinandersetzen sollte. Am besten vor Ort und auf Gemeindeebene mit Begegnung und Aufklärung – irgendwo muss man ja anfangen.
Die Autorin
Agathe Lukassek ist Leiterin der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Hildegardis-Verein mit Sitz in Bonn.Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.