Overbeck und Schad warnen vor Neuregelung beim Schwangerschaftsabbruch
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Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck und der ehemalige Kirchenpräsident der Landeskirche der Pfalz Christian Schad verteidigen die geltende Rechtslage zur Abtreibung. Die beiden Vorsitzenden des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologinnen und Theologen (ÖAK) betonten am Freitag in einer Stellungnahme, dass man den erreichten gesellschaftlichen Kompromiss nicht unbedacht aufkündigen sollte. Der Kompromiss zur Abtreibung habe sich als weitgehend konsensfähig und auch nach einer längeren Geltungsdauer noch immer als tragfähig erwiesen. "Die Gefahr einer Vertiefung gesellschaftlicher Gespaltenheit ist, gerade im Blick auf andere Länder und Gesellschaften, erheblich. Einer solchen Entwicklung sollten Christen nicht unvorsichtig Vorschub leisten", so die Vorsitzenden. Staat, Gesellschaft und individuelle Personen stünden vor der Aufgabe, das menschliche Leben zu schützen.
Die Stellungnahme bezieht sich allgemein auf die Diskussion um eine rechtliche Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs und setzt sich nicht ausdrücklich mit der Stellungnahme der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) auseinander, in der der Rat der EKD es in der Vergangenheitals denkbar bezeichnet hatte, Abtreibungen unter bestimmten Bedingungen künftig auch außerhalb des Strafrechts zu regeln. Eine vollständige Entkriminalisierung sah der Rat allerdings nicht als vertretbar an. Die EKD-Stellungnahme wird kontrovers diskutiert, auch innerhalb des Rates selbst.
Fein austariertes Konzept für Lebensschutz und Rechte der Frau
Nach Ansicht von Overbeck und Schad ist die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs der gegenwärtigen deutschen Rechtsordnung ein fein austariertes Konzept, das dazu diene, den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz des ungeborenen Lebens ebenso wie die Rechte der Frau sicherzustellen. "Dabei ist klar, dass das Leben des ungeborenen Kindes letztlich nicht gegen und ohne seine Mutter geschützt werden kann. In dieser Hinsicht stellen Gesundheit und Selbstbestimmung der Frau eigenständige Rechtsgüter dar, die im Fall eines Schwangerschaftskonfliktes zu berücksichtigen sind", so die Stellungnahme weiter. Es sei dabei unabweisbar, dass eine Reduzierung auf die abstrakte juristische Abwägung von Rechtspositionen den unter konkreten Lebensbedingungen entstehenden Schwangerschaftskonflikten nicht gerecht werde. Die beiden ÖAK-Vorsitzenden sehen eine humane und hochentwickelte Gesellschaft und den Sozialstaat gefordert, geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, die verhindern, dass externe soziale Faktoren die Entscheidung für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch wesentlich bestimmen: "Auch die Kirchen stehen hier in einer Verantwortung und müssen sich der Frage stellen, ob sie diesem Anspruch in ausreichendem Maß gerecht werden."
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Bischof Franz-Josef Overbeck ist der katholische Vorsitzende des ÖAK.
Die Verortung im Strafrecht diene dazu, das Lebensrecht des ungeborenen Kindes im Bewusstsein der Menschen, der Gesellschaft und des Staates wachzuhalten. "Die Tatsache, dass der Schwangerschaftsabbruch unter Einhaltung der Maßgaben dennoch straffrei gestellt ist, gewährleistet, dass die Rechte der Frau nicht in ungerechtfertigter Weise beeinträchtigt werden", erläutern die ÖAK-Vorsitzenden. Die Beratungspflicht als Voraussetzung einer Straffreiheit sei dabei ein integraler Bestandteil des Gesamtkonzeptes und trage der Tatsache Rechnung, dass nicht allein medizinische Fragen zu beachten seien: "Sie kann zudem dazu beitragen, Frauen in komplexen und bedrängenden Situationen Hilfe anzubieten, zu der sie sonst keinen Zugang fänden."
Unverletzbare Würde von Anfang an
Overbeck und Schad betonen, dass die unverletzbare Würde des Menschen vom Anfang bis zum Ende des Lebens grundlegend für alles staatliche Regeln und Handeln sein müsse. Das Lebensrecht jedes Menschen sei als Ermöglichungsbedingung eng mit seiner Würde verbunden: "Dies trifft sich mit der christlichen Glaubensüberzeugung, dass das Leben des Menschen heilig ist und kostbar in den Augen Gottes." Lebensschutzkonzepte, die dem Menschen, "der sich als Mensch und nicht zum Menschen entwickelt", von vorneherein und prinzipiell je nach Entwicklungsstufe und Lebensfähigkeit außerhalb der Gebärmutter einen abgestuften Lebensschutz zubilligen, verböten sich in dieser Perspektive. Außerdem entstehe dadurch die Gefahr, die Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens auch in anderen Lebenssituationen abzustufen und damit aufzuweichen.
In ihrem Koalitionsvertrag hatten sich SPD, Grüne und FDP darauf verständigt, eine Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin einzusetzen, die unter anderem Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches prüfen soll. Ende März hat die Kommission ihre Arbeit aufgenommen. Unter den 18 Mitgliedern sind Expertinnen und Experten aus den Bereichen Medizin, Recht und Ethik, aber keine Vertreter der Kirche. Im kommenden Jahr soll die Kommission erste Ergebnisse vorlegen. Nach Veröffentlichung des Koalitionsvertrags kritisierte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, die Pläne: Die beabsichtigten Änderungen nähmen den Schutz des ungeborenen Lebens zurück und könnten "nicht für sich in Anspruch nehmen, fortschrittlich und modern zu sein".
Im Ökumenischen Arbeitskreis beraten seit 1946 evangelische und katholische Theologinnen und Theologen gemeinsam dogmatische Streitfragen, um den ökumenischen Prozess in Deutschland voranzubringen. Der ÖAK arbeitet unabhängig von den Kirchen, unterrichtet aber regelmäßig die Deutsche Bischofskonferenz und den Rat der EKD über seine Beratungen. Den Vorsitz übernehmen jeweils ein evangelischer und ein katholischer Vertreter. Overbeck ist seit 2022 katholischer Vorsitzender, Schad seit 2020 evangelischer. Die wissenschaftliche Leitung liegt auf katholischer Seite bei der Münsteraner Dogmatikerin Dorothea Sattler und auf evangelischer bei der Göttinger Professorin für Systematische Theologie, Christine Axt-Piscalar. (fxn)