Kunstwerke in untrennbarem Zusammenhang mit Taten

Von Missbrauchstäter gestaltete Kirchenfenster in Lyon entfernt

Veröffentlicht am 25.10.2023 um 12:49 Uhr – Lesedauer: 

Sainte-Catherine ‐ Er wurde bis vor kurzem als "Picasso der Kirchen" gefeiert – doch mittlerweile berichten über 50 Betroffene von Missbrauch durch den Priesterkünstler. Teil der Aufarbeitung ist die Entfernung seiner Werke, die untrennbar mit den Taten verbunden sind.

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Im Beisein von Betroffenen wurden in der Erzdiözese Lyon Kirchenfenster des als Missbrauchstäter beschuldigten Priesters Louis Ribes entfernt. Der Sprecher der Betroffeneninitiative, Luc Gemet, begrüßte gegenüber dem Nachrichtensender "France Info" am Dienstag, dass damit eine Forderung der Opfer erfüllt wurde: "Jedes Mal, wenn ich ein Werk von Louis Ribes sehe, durchlebe ich mein Martyrium erneut." Im Juli 2021 wurden Vorwürfe gegen den 1994 verstorbenen Priester öffentlich. Laut dem Erzbistum Lyon haben sich etwa 50 Betroffene gemeldet und von Übergriffen und Missbrauch durch Ribes seit den 1950er Jahren berichtet. Die Erzdiözese rechnet mit Hunderten von zur Tatzeit minderjährigen Betroffenen. Im Rahmen seiner künstlerischen Arbeit habe Ribes Modelle dazu genötigt, nackt für ihn zu posieren und sie missbraucht.

Gegenüber den Betroffenen erläuterte die Beauftragte des Erzbistums Lyon, Laurence Robert, am Dienstag die Maßnahmen der Diözese. Kunstwerke im Besitz des Erzbistums seien bereits Anfang 2022 entfernt oder verhüllt worden. Die Entfernung von Kirchenfenstern habe länger gedauert, da sich die Kirchengebäude in staatlichem Besitz befinden. Die Kosten für die Entfernung trägt das Erzbistum. "Uns ist sehr bewusst, dass die Entfernung auf dem langen Weg einer Wiedergutmachung für die Opfer wichtig ist", sagte Robert: "Die Opfer sind noch am Leben und können zu Recht verletzt sein, wenn sie diese Werke weiter ausgestellt sehen. An den Werken festhalten hieße, ihre Ausstellung  für wichtiger zu halten als den Schmerz der Opfer." Die Kunstwerke stünden in einem untrennbaren Zusammenhang mit dem Missbrauch. "Auf seinen Werken sind fast immer Kinder zu sehen, und oft stehen die Kinder Erwachsenen zu Füßen", erläuterte Gemet.

Vorwürfe wurden seit den 1970ern ignoriert

Seit Bekanntwerden der Vorwürfe fordern die Betroffenen die Zerstörung der Werke von Ribes, der auch als "Picasso der Kirchen" bekannt ist. Die nun in der Kirche Sainte-Catherine in der gleichnamigen Gemeinde im Departement Rhône entfernten Buntglasfenster waren über drei Meter hoch. Am Dienstag wurden nach gut einer Woche Arbeit die letzten von ursprünglich acht Fenstern entfernt. Mittlerweile haben mehrere Gemeinden Glaskunstwerke von Ribes entfernt, weitere kündigten entsprechende Pläne an. Die Erzdiözese sicherte den Betroffenen zu, sich in der einzigen Gemeinde, in der die Ribes-Kirchenfenster nach dem Willen des Bürgermeisters bleiben sollen, für die Entfernung einzusetzen.

Bereits Mitte der 1970er Jahre gab es erste Vorwürfe von Betroffenen, die allerdings ignoriert wurden. Nach dem Tod Ribes' wurden in seiner Wohnung im Priesterseminar von ihm angefertigte Missbrauchsdarstellungen gefunden, die von den Entdeckern vernichtet wurden. 2015 hatten sich Betroffene an das Bistum Grenoble gewandt, wo Ribes ebenfalls tätig war. Trotz einer Eingangsbestätigung hatte das Bistum damals jedoch keine Schritte zur Aufarbeitung unternommen. Dies geschah erst als Luc Gemet 2021 an die Öffentlichkeit ging. In einer gemeinsamen Presseerklärung räumten die Bistümer Grenoble-Vienne, Lyon und Saint-Etienne 2022 ein, dass die Vorwürfe lange verschwiegen und Meldungen von Betroffenen und Zeugen ignoriert wurden.

Die Kirche in Frankreich wird seit Jahren durch Missbrauchsvorwürfe erschüttert. Elf Bischöfe stehen im Visier staatlicher oder kirchlicher Untersuchungsbehörden. 2021 hatte der Abschlussbericht der unabhängigen Untersuchungskommission zu Missbrauch in der Kirche (Ciase) über Frankreich hinaus für Entsetzen und eine erneute Intensivierung der Debatte über Missbrauch in der Kirche geführt, Papst Franziskus sprach von "Scham" und "Schande". Der Bericht geht von bis zu 330.000 Betroffenen,  sexueller Übergriffe durch Priester, Diakone und Ordensleute seit 1950 aus, davon bis zu 216.000 minderjährige Betroffene. Die Dunkelfeldstudie beruht auf Hochrechnungen auf sexualwissenschaftlicher Basis. Die Methodik wurde kontrovers diskutiert. Eine Konsequenz der Enthüllungen war die Einrichtung eines nationalen kirchlichen Strafgerichtshofs. (fxn)