Die Begleitung Schwerkranker und Sterbender: Tod – und was kommt dann?
Die Frage in der Überschrift ist nicht nur im sogenannten Totenmonat November von größerem Interesse, diese Frage scheint gesellschaftlich wieder ein Thema geworden zu sein, wenn man sich das Buchangebot der vergangenen Jahre ansieht. Die Themen "Sterben, Tod, Trauer und was dann?" werden journalistisch, juristisch, medizinisch oder aus der Hospiz- und Palliativbewegung heraus beleuchtet. Einzelne Bücher wurden sogar zu Spiegel-Bestsellern.
Die Frage aber, was nach dem Tod kommt, wird oft aus- oder weggelassen, weil man darüber ja nichts Genaues weiß und sich lieber an Fakten und zumindest an Nachvollziehbares hält. "Den Himmel überlassen wir den Engeln und den Spatzen", dichtete schon vor langer Zeit spöttisch Heinrich Heine – und man könnte hinzufügen: "… und den Pfaffen". Was die sagen, interessiert die Menschen aber immer weniger. Woran das wohl liegen mag? Die Kirche(n) haben es sich vor allem durch die aufgedeckten Skandale der letzten Jahre bei ganz vielen Menschen verscherzt. Damit wird leider auch das wirklich Gute im Gepäck der Religion mit dem Bade ausgeschüttet. So ein Gutes wäre die Auferstehungshoffnung und ein echter und belastbarer Glaube an ein Leben nach dem Tode.
Kein Danach, keine Auferstehung
Der heutige Mensch und leider auch immer mehr der heutige Christ hält sich an das Diesseits, weil das Jenseits so nebulös geworden ist. Für nicht wenige gibt es kein Danach, keine Auferstehung – und ewiges Leben schon gar nicht. Heute wird man bestenfalls 90 plus nichts mehr, in früheren Zeiten wurden die Menschen 50 plus die Ewigkeit. Alles muss ins Diesseits hineingepackt werden, deswegen ist unsere Zeit auch so schnelllebig und flüchtig geworden. Und wer nur das Diesseits kennt und unter dem Diktat der Flüchtigkeit (vanitas) lebt, der wird mit sich, mit anderen und dem Leben ungeduldiger und auch härter umgehen.
Ganz anders Menschen, die über den Tellerrand der Endlichkeit hinaus-ahnen, hinaus-spüren und hinaus-glauben. In früheren Zeiten wurde eine "ars moriendi", eine Sterbekunst vor allem in der alltäglichen Frömmigkeit eingeübt, um die "ars vivendi", die Lebenskunst wirklich und gut ausschöpfen zu können. In der modernen Palliativ-, Hospiz- und auch Spiritual-Care-Bewegung gibt es moderne Updates dieser beiden Künste, der Lebens- und der Sterbekunst.
Seit 2017 bin ich als Klinikseelsorger und Geistlicher im Klinikum Ingolstadt in einem Team von Kollegen und Kolleginnen tätig. In einem Haus mit über 1.200 Betten und gut 3.400 Angestellten, vom Reinigungspersonal bis hin zu den Chefärzten, habe ich mich neben den normalen Krankenbesuchen auf die menschliche und priesterliche Begleitung von Schwer(st)kranken, Sterbenden und deren Angehörigen "spezialisiert". Ich erlebe in meinen Dienstzeiten, die wöchentlich fünf Tage und Nächte mit Rufbereitschaft am Stück ausmachen, nicht nur das Wertschätzen meines Tuns, sondern auch die tiefe Sinnhaftigkeit von menschlich-spiritueller Begleitung. Die Menschen in Krankheit und Not spüren sofort, ob ihr Gegenüber bodenständig und lebensnah oder abgehoben und weltfremd ist. In Zeiten der großen Kirchenkrise darf ich erleben, wie dankbar Menschen für mich und meine KollegInnen sind. Wir dürfen nicht nur trösten, sondern auch über das vermeintlich Bekannte hinausweisen.
"Was kommt nach dem Tod?" Dieser Frage muss sich jeder in der Seelsorge im Krankenhaus gestellt und dabei im Laufe der Zeit sinnvolle und hilfreiche Antworten gefunden haben. Neben meinem im Laufe von vielen Jahren gereiften christlichen Glauben ließ und lasse ich mich gerne von anderen Glaubensrichtungen inspirieren. Das tibetische Totenbuch, Teile des Islam, buddhistische Erkenntnisse, Traditionen anderer Kulturen, Ahnenkult oder das Wissen von Sensitiven und Medien, also von Menschen, die einen Kontakt zur geistigen Welt und zu den sogenannten Toten haben, bereichern mein Denken, Fühlen und Handeln. In allen Bereichen – auch im christlichen Glauben – gibt es viel Unsinn, auch Scharlatanerie, es gibt aber auch viel Gutes und Inspirierendes. Wie heißt es so schön bei Paulus: "Prüft alles und behaltet das Gute!" (1 Thess 5, 21).
Nicht selten sind es aber die Begegnungen mit den Kranken selbst, die mich als Begleiter von Patienten zum Lernenden werden lassen. So eine Patientenbegegnung möchte ich nun gerne teilen.
Eines Morgens rief meine Kollegin vom Klinikum Eichstätt an und teilte mir mit, dass ein 19-jähriger Mann einen sehr schweren Autounfall hatte und wegen der Komplikationen zu uns nach Ingolstadt verlegt werden würde. Ich möge mich doch bitte um ihn kümmern. Noch am selben Tag "fand" ich ihn dann in einer unserer Intensivstationen. Ein wirkliches Bild des Jammers, schwer verletzt, vor allem Knochenbrüche in den Armen, Beinen und der Hüfte.
Tür zu einer anderen Wahrheit
Wochenlang besuchte ich ihn immer wieder dort, dann vor allem auf der "Normalstation", und schließlich die längste Zeit auf der Station, wo dann nach dem Heilen der Knochenbrüche die Frühreha begann. Nach den schweren ersten Wochen begegnete mir mehr und mehr ein lebenslustiger junger Mann, der – und das wunderte mich wirklich – offen und dankbar für eine spirituell-menschliche Begleitung war. Als wir eines Morgens – er war zu dem Zeitpunkt ohne Zimmernachbarn für ein paar Tage alleine auf dem Krankenzimmer – wieder einmal über den Unfall sprachen, öffnete er eine Tür zu einer anderen Wahrheit.
Er sprach von seiner Mutter, die drei Jahre zuvor – und ich erinnerte mich während seines Erzählens, dass ich sie damals begleiten durfte (welch ein "Zufall") – im Klinikum Ingolstadt nach wochenlangem Leiden an Krebs verstorben war. In seiner Unfallnacht – und davon war er überzeugt, weil er es erfahren hatte – schob sich während der Kollision mit dem anderen Auto seine Mutter Christa sich zwischen ihn und dem Blech, das ihn sonst zerquetscht hätte. Seine inneren Organe waren auf wunderbare Weise nicht verletzt worden. Mit Tränen in den Augen erzählte er mir das und wartete auf eine Reaktion von mir. Als ich ihm sagte, dass ich ihm das nicht nur glaubte, sondern dass ich davon überzeugt bin, dass eine liebende Mutter sogar von der geistigen Welt aus so etwas tun kann, war er nicht nur erleichtert, sondern weinte herzerweichend. Während dieser besonders wertvollen kurzen Zeit hielt ich eine kurze Stille, spürte in mich, in ihn und die Situation hinein und sagte dann zu ihm, dass ich jetzt gerade seine Mutter spüre. Seine dankbaren Augen werde ich nie vergessen.
Es ergab sich dann, dass ich aufgrund von Abwesenheit und anderen Gründen gut zehn Tage ihn nicht besuchen konnte. Als ich bei einer erneuten Begegnung nach einem kurzen "Warming up" den Namen seiner Mutter einfach nicht mehr wusste, erlebte ich in seinem Blick eine Enttäuschung. Ich entschuldigte mich bei ihm und lernte daraus. Bei solch wertvollen und bewegenden Begegnungen muss und will ich mir solche Details in Zukunft merken, weil sie wichtig sind.
Ich persönlich glaube nicht nur an ein Leben nach dem Tod, ich bin davon überzeugt. Nicht nur, weil ich im christlichen Glauben daran aufgewachsen und durch Theologiestudium und Kloster- und Priesterleben darin trainiert wurde. Das sagt erst mal gar nichts, so ist meine Erfahrung. Es gibt viele "traditionelle Christen", hinter deren Glauben in Krisenzeiten sich heiße Luft und Leere verbergen. Der Glaube muss ein Glaube sein, der aufgrund von Erfahrungen genährt wurde. Für mich hilfreich waren dabei vor allem ein schwerer Fahrradunfall mit 16 Jahren und mehrere Tage Komaerfahrung. Dabei habe ich etwas erlebt, was heute gerne als Nahtoderfahrung umschrieben wird. Im Laufe meines nun mittlerweile 61-jährigen Lebens musste ich einige schwere und leider auch schwerste Krankheitserfahrungen machen, die mich in meiner geistig-seelischen Widerstandskraft (Resilienz) herausforderten und Gott sei Dank auch weiterbrachten. Irgendwie ist es folgerichtig, dass mich mein persönlicher und mein beruflicher Weg in die Seelsorge am kranken und leidenden Menschen geführt hat. "Nur Menschen, welche die Härte des Lebens am eigenen Körper erlebt haben, können verstehen, was andere in schweren Zeiten durchmachen": Diese Aussage der Autorin Nicole Oesterwind kann ich voll unterstreichen.
Durch Leiden zum Tröster
Im Laufe der Zeit durfte ich im Krankenhaus Mitmenschen erleben, von denen der große Psychiater und Sinnprophet Viktor Emil Frankl einmal als "Leucht-Türmen" sprach. Sie stehen fest verankert auf den Boden der meist harten Tatsachen, haben sich in die Höhe entwickelt und senden ihr Licht hinaus in die Nacht und den Nebel, um andere vor gefährlichen Klippen, Felsen oder Untiefen zu warnen. Meine Arbeit mit diesen Menschen fordert mich heraus, denn sie ist auch anstrengend. Sie ist aber auch sehr bereichernd und hilft mir in meinem geistig-seelischen Wachstum. Ich durfte Mitmenschen erleben, die durch schweres Leiden hindurch weich, liebevoll und weise wurden. Selbst sterbens- und todkrank, durften sie ihren Angehörigen zum Tröster und zur Trösterin werden. Diese "Selbsttranszendenz" (Viktor E. Frankl), dieses Über-sich-selbst-hinaus-schauen-können ist eine der wunderschönen geistigen Fähigkeiten, die das Wertvolle im Menschen zum Leuchten bringen.
Der Tod verliert dann seinen Schrecken, weil so jemand nicht nur glaubt, sondern weiß, dass er nur ein Durchgang zu einem neuen Leben ist. Es ist wie bei einer Geburt, wo wir durch Geburtswehen hindurch durch einen dunklen Kanal gepresst werden. Das tut weh! Danach aber zeigt sich eine ganz andere Welt im Licht und in der Liebe. Von der alten Welt wird man abgenabelt und darf so nach und nach Schritte neuen Lebens tun.
Ach ja, welche Rolle spielt für mich Jesus Christus bei all dem? Eine ganz wichtige! Er hat durch seinen Leidens- und Erlösungsweg dem, der an ihn glaubt, ganz viel vorweg genommen und getragen. Der gläubige Christ darf auf seine Geburtshilfe und seine Wegbegleitung im Leben, Leiden, Sterben und vor allem im neuen Leben hoffen, vertrauen und darauf aufbauen. Er fühlt sich getragen, begleitet, getröstet und geführt.
Buchtipp
Christoph Kreitmeir: Welche Farbe hat der Tod? Erfahrungen eines Klinikseelsorgers mit Leben und Sterben, Gütersloher Verlagshaus, 2023, 256 Seiten, ISBN: 978-3-579-06231-0, 22 Euro.