Ehrenamt in der Kirche: Nicht rekrutieren, sondern fördern
In der Erzdiözese Freiburg engagieren sich über 300.000 Menschen ehrenamtlich. Das ist nicht selbstverständlich – deshalb will das Erzbistum für alle Engagierten einen guten Rahmen schaffen. Geregelt ist das in einem "Statut für ehrenamtliches Engagement", das von Erzbischof Stefan Burger jüngst in Kraft gesetzt wurde. Das Statut schreibt fest, dass die Förderung von Engagement ein Grundauftrag aller kirchlichen Stellen ist. Über das Bistum verstreut gibt es Ehrenamtskoordinatorinnen, im Ordinariat kümmert sich ein Referat um Ehrenamt und Engagementförderung. Im Interview mit katholisch.de erläutern die Leiterin des Ehrenamtsreferats Katharina Denger und die Ehrenamtskoordinatorin Kristina Göb, wie sie die Kirche zu einem guten Ort für Engagement machen – und warum sie dazu bewusst die üblichen Kirchenkreise verlassen.
Frage: Es herrscht Krisenstimmung in der Kirche. Und trotzdem engagieren sich immer noch viele Menschen ehrenamtlich. Warum?
Denger: Weil sie gemeinsam mit anderen etwas bewegen wollen. Weil sie etwas suchen, was ihnen Freude macht und was Sinn gibt. Und das finden sie in der Kirche, in den vielfältigen Handlungsfeldern vom karitativen Bereich bis zum liturgischen Dienst. Das zieht Menschen nach wie vor an. Aber natürlich macht sich die Krise auch beim Ehrenamt bemerkbar.
Frage: Wie tut sie das?
Göb: Gerade bei langjährig Engagierten wächst der Frust. Sie stellen vieles in Frage, sie hadern, auch mit sich selbst, ob sie da noch mitwirken wollen. Bei manchen steigt die Motivation auch, sich jetzt erst recht zu engagieren und der Kirche ein anderes, positives Gesicht zu geben. Und manche brauchen eine Pause und ziehen sich zurück.
Es gibt aber nicht nur die Kirchenkrise. Wir erleben gerade viele Krisen gleichzeitig: Die Klimakrise, Krieg in der Ukraine, Krieg in Israel. Das beschäftigt viele Menschen. Natürlich kann man diese Weltprobleme nicht selbst lösen. Engagement hilft aber dabei, dort etwas zu tun, wo man etwas erreichen kann. Hier vor Ort ein soziales Projekt zu gestalten, stärkt nicht nur die Menschen, denen geholfen wird, sondern auch die, die helfen. Das motiviert viele Menschen – egal ob sie sich in der Kirche oder anderswo engagieren.
Frage: Wie können Sie als Ehrenamtskoordinatorin dabei unterstützen?
Göb: Ich bin Ansprechperson für alle Probleme und Anliegen. Ich begleite verschiedene Teams, mal mehr, mal weniger, je nach Bedarf. Außerdem unterstütze ich meine Kolleginnen und Kollegen, die viel mit Ehrenamtlichen arbeiten, und ich sorge dafür, dass die Rahmenbedingungen in unserer Kirchengemeinde so gut sind, dass sich Leute gerne engagieren.
Frage: Was brauchen denn Ehrenamtliche?
Göb: Ein ganz einfaches Beispiel ist die selbstverständliche Erstattung von Auslagen. Viele kommen gar nicht auf die Idee, Fahrtkosten abzurechnen. Aber das kann auch vom Engagement abhalten, wenn das Geld ohnehin knapp ist und man glaubt, für das Ehrenamt auch noch etwas draufzulegen, obwohl man doch schon Zeit spendet.
Frage: Früher hat man noch Leute gefunden, die sich jahrzehntelang engagieren, heute geht der Trend mehr zu Projekten.
Denger: Ja, Projekte sind attraktiv. Vor allem, da sie überschaubar sind und man ein Ziel hat, auf das man hinarbeiten kann. Viele Menschen möchten sich nicht mehr in vorgegebenen Strukturen engagieren, sondern etwas Neues auf die Beine stellen. Zum Beispiel ein mobiles Friedhofscafé – als niederschwelliges Angebot für trauernde Menschen, die einsam sind. Oder ein Beispiel aus einem örtlichen Caritasverband: Da treffen sich Jugendliche einmal in der Woche, um zusammen Hip-Hop zu tanzen und eigene Choreografien zu entwickeln. Unterstützt werden sie von älteren Jugendlichen, die sich in diesem Projekt ehrenamtlich als Tanzcoaches engagieren.
Göb: Auch bei den klassischen Ehrenämtern sehen wir Veränderungen: Menschen sagen sehr klar, wieviel Zeit sie investieren können, sie nehmen Auszeiten und sind auch mal nicht erreichbar. Viele haben ja einen ganzen Strauß von Ehrenämtern. Da besteht schnell die Gefahr, dass man diesen Hochengagierten immer mehr auflädt, bis sie nicht mehr können. Deshalb ist es eine gute Entwicklung, dass viele Ehrenamtliche mittlerweile gelernt haben, Nein zu sagen.
Frage: Für klassische Verbandsstrukturen ist das eine Herausforderung. Wie arbeiten Sie mit katholischen Verbänden zusammen?
Denger: Auf diözesaner Ebene sind wir sehr gut vernetzt, und es gibt einen regelmäßigen Austausch mit dem BDKJ (Bund der Deutschen Katholischen Jugend) und der AKE (Arbeitsgemeinschaft Katholischer Erwachsenenverbände). Dabei suchen wir Möglichkeiten, um uns gegenseitig zu unterstützen. Bürokratie ist zum Beispiel ein großes Thema. Da könnte man einige Hürden abbauen, um Engagement zu vereinfachen. Gleichzeitig braucht es natürlich bestimmte Vorgaben, um sich in einem sicheren Rahmen zu bewegen – beispielsweise in der Prävention gegen sexualisierte Gewalt.
Göb: Wir lernen auch viel von den Verbänden. Vor allem die Jugendverbände sind gut aufgestellt in der Engagementförderung. Es gibt gute Schulungsangebote für Jugendleiterinnen und Jugendleiter, man hält Kontakt mit Ehemaligen. Dadurch, dass Jugendliche in den Verbänden selbst Verantwortung übernehmen, kommt es auch ganz selbstverständlich regelmäßig zum Wechsel: Gruppenkinder werden Jugendliche und wachsen in die Verantwortung hinein. Das ist bei Erwachsenenverbänden etwas anders. Dort sind Menschen oft sehr lange, teilweise Jahrzehnte in Leitungsverantwortung. Das ist ein ehrenwerter Einsatz. Es besteht aber die Gefahr einer Überalterung, manchmal fehlen ganze Generationen und dann droht ein Abbruch, wenn diese Hochengagierten aufhören. Es ist dann sehr schwer, Jüngere zum Engagement in Erwachsenenverbänden zu ermutigen, die überaltert sind.
Frage: Wie hat sich da die Corona-Krise ausgewirkt?
Göb: Da nehme ich ein ähnliches Bild wahr: Die Jugendverbände haben natürlich viel selbstverständlicher digitale Kommunikationsmittel genutzt, dort wurde schnell sehr spontan Neues ausprobiert und der Kontakt zu den Mitgliedern gehalten. Bei den Erwachsenenverbänden hat das nicht überall so gut funktioniert, da ist einiges an Tradition abgebrochen. Vielleicht war es auch für einige eine gute Gelegenheit, nach Jahrzehnten das eigene Engagement zu reduzieren. Besonders einschneidend war es überall da, wo sich Verbände um Traditionsveranstaltungen herum organisiert haben: Wo das große Frühlingsfest die wichtigste Aktivität der Pfarreigruppe war, führte der erzwungene Abbruch der Tradition durch Corona dann zum Wegbrechen von noch mehr in diesem Verband.
Frage: Im Ehrenamt ist vieles im Umbruch. Auf welche Strukturen und Konzepte setzen Sie?
Denger: Wir suchen an unseren Modellstandorten, in denen es Ehrenamtskoordinator*innen gibt, immer Kooperationspartner außerhalb der Kirchengemeinde. Es gibt zum Beispiel Kooperationen mit dem örtlichen Caritasverband, der politischen Gemeinde oder dem Kinderschutzbund. Damit öffnet sich die Kirchengemeinde in den Sozialraum hinein, und wir vernetzen uns stärker in Richtung bürgerschaftliches Engagement. So entstehen neue, attraktive Möglichkeiten, sich zu engagieren.
Frage: … und außerdem hat der Kinderschutzbund einen besseren Ruf als die skandalgeschüttelte Kirche.
Denger: Es geht hier nicht um Imagepolitur, sondern um den kirchlichen Sendungsauftrag. Wenn wir nur um unseren Kirchturm kreisen, können wir unseren Auftrag nicht erfüllen. Dann erreichen wir immer nur denselben inneren Kreis. Wir müssen aber raus in die Gesellschaft, um relevant zu bleiben. Deshalb setzen wir darauf, aktiv und aus eigener Initiative rauszugehen und zu schauen, mit wem wir zusammenarbeiten und wie wir unsere Stärken in die Gesellschaft einbringen können.
Frage: Wie verstehen sich Ehrenamtliche in solchen Projekten? Sind das bewusst sozial engagierte Christinnen und Christen? Oder sind das Menschen, die zufällig die Kirche als Ort ihres Ehrenamts gefunden haben und dadurch vielleicht erst zur Kirche kommen?
Göb: Da gibt es beides. Am Anfang muss stehen, dass man etwas gern macht. Das führt dazu, dass wir Menschen gewinnen, die vorher eher kirchendistanziert waren. Die erreicht man vor allem mit Projekten abseits der ganz klassischen kirchlichen Ehrenämter. Trotzdem führt das oft dazu, dass diese Menschen dann wieder in Berührung mit Spiritualität kommen oder etwas aus ihrer Kindheit und Jugend wiederentdecken, das sie an der Kirche geschätzt haben.
Frage: Projektorientierung geht nicht überall. Man braucht auch weiter Menschen für klassische Ehrenämter wie Vorstands- und Pfarrgemeinderatsposten oder für liturgische Dienste. Wie entwickelt sich das?
Denger: Die liturgischen Dienste haben den Vorteil, dass sie von vornherein klar umgrenzt sind. Lektorinnen und Lektoren, Kommunionhelferinnen und -helfer haben eine definierte und überschaubare Aufgabe. Das Engagement kann auch jederzeit wieder beendet werden. Bei der Gremienarbeit sieht es anders aus. Hier in der Erzdiözese Freiburg dauert die Amtsperiode der Pfarrgemeinderäte fünf Jahre. Viele schrecken davor zurück, sich für einen so langen Zeitraum zu verpflichten. Da müssen wir schon einiges unternehmen, um weiterhin Menschen für die Mitarbeit in den Gremien zu gewinnen.
Frage: Welche Ideen haben Sie?
Denger: Auch da setzen wir auf eine klare Aufgabenbeschreibung. Und es braucht die Zusage, dass Menschen nur das einbringen müssen, was sie leisten können und wollen. Bildlich gesprochen: Es darf nicht passieren, dass uns jemand den kleinen Finger reicht und wir die ganze Hand nehmen. Außerdem muss sich die Gremienarbeit mit Beruf und Familie vereinbaren lassen. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass die Kirchengemeinde die Kosten für den Babysitter erstattet.
Göb: Im Zuge unserer Kirchenentwicklung 2030 ist gerade viel im Fluss. Das ist eine gute Gelegenheit, Gremien daraufhin zu überprüfen, was Menschen vor Ort brauchen, um Dinge umsetzen zu können. Bei den Gremien müssen wir auch ganz stark machen, dass es nicht nur um Verwaltung und Pflichtaufgaben geht. Mitarbeit ist auch eine Chance, sich zu beteiligen und Kirche mitzugestalten. Damit stärken wir das demokratische Element in der Kirche.
Frage: In Freiburg gibt es seit kurzem ein Statut für ehrenamtliches Engagement. Warum braucht das Ehrenamt einen rechtlichen Rahmen?
Denger: Damit sichern wir gute Bedingungen für Menschen, die sich bei uns engagieren. Als Diözese haben wir uns zum Ziel gesetzt, offen und attraktiv zu sein – mit einem Wort: engagementfreundlich. Dafür braucht es gewisse Standards. Vieles, was im Statut steht, klingt selbstverständlich. Etwa, dass den Ehrenamtlichen verlässliche Ansprechpersonen zur Seite stehen, die sie fachlich begleiten und in Verwaltungsangelegenheiten unterstützen. Oder der Anspruch auf Fort- und Weiterbildung. Auch das Recht auf Mitbestimmung im jeweiligen Tätigkeitsfeld gehört dazu. Zwar gab es bereits seit 2013 entsprechende Rahmenrichtlinien, mit dem neuen Statut hat dieser Rahmen aber eine höhere Verbindlichkeit.
Frage: Was hat sich im Vergleich zu den Rahmenrichtlinien verändert?
Denger: Neu ist zum Beispiel ein Abschnitt zur Vielfalt im ehrenamtlichen Engagement. Vielfalt wird als Bereicherung gesehen. Das Statut schreibt außerdem fest: Der Kernbereich privater Lebensführung darf kein Ausschlusskriterium für ehrenamtliches Engagement sein. Das ist etwas, was in der Vergangenheit immer wieder für Verletzungen gesorgt hat.
Frage: Und was ändert ein Statut daran? Das ist erst einmal nur ein Text.
Denger: Es stärkt Ehrenamtliche, wenn sie sich auf ein verbindliches Statut berufen und damit im Konfliktfall ihre Rechte einfordern können. Immerhin hat der Erzbischof das Statut in Kraft gesetzt! Ich sehe auch eine Chance darin, den Text und die Wirklichkeit kritisch abzugleichen: Wir betonen Vielfalt. Aber was heißt das konkret bei uns? Sind unsere Gruppen und Gremien nicht oft noch sehr homogen? Vielleicht entwickeln sich dann neue Ideen, um Menschen aus unterschiedlichen Milieus und Kulturen einzuladen, sich bei uns einzubringen.
Frage: In Freiburg gibt es Ehrenamtskoordinatorinnen. Anderswo nicht. Was können andere von Ihnen lernen? Was sind Ihre Tipps für Pastoralteams, Gremien und Engagierte, die Ehrenamt fördern wollen?
Göb: Das wichtigste ist eine positive Haltung gegenüber den Engagierten: Nicht immer sagen "du musst" und "du sollst", sondern erst einmal "herzlich willkommen" und dann "danke". Es braucht eine Willkommens- und eine Anerkennungskultur.
Denger: Nicht so sehr darauf schauen, wie man Leute für Aufgaben rekrutieren kann, die erledigt werden müssen. Sondern darauf, wer die Menschen in der Gemeinde, im Dorf oder im Stadtteil sind, welche Interessen, Talente und Charismen sie mitbringen – und wie wir diese fördern können.