Kürzer und umkämpft: Wie sich christliches Ehrenamt verändert
Kuchenbacken für das Pfarrfest, die nächste Sitzung des Kirchenvorstands vorbereiten, alleinstehende Senioren in der Nachbarschaft besuchen: Das kirchliche Leben vor Ort würde ohne ehrenamtliches Engagement nicht funktionieren. Doch gerade die genannten Klassiker des Ehrenamts zeigen, dass sich etwas verändert. Wie die gesamte Kirche ist auch das kirchliche Ehrenamt im Umbruch.
Im Gegensatz zu den immer höheren Kirchenaustrittszahlen ist das Ehrenamt allerdings nicht in so großem Umfang von akuten Abwanderungen betroffen. "Für das Bistum Münster kann man von einer sehr vielfältigen Engagementlandschaft sprechen", sagt Martin Schroer, der sich im Bistum Münster um die Engagementförderung kümmert. Sein Rottenburger Kollege Martin Fischer fügt hinzu: "Die Situation ist sehr komplex, je nachdem, welchen Bereich man betrachtet. Wir haben Leute, die sich sehr massiv in Leitungsaufgaben engagieren. Aber es gibt auch Lücken."
Mit Blick auf Erhebungen des Instituts für Demoskopie in Allensbach kann sich die Ehrenamtsbranche in Deutschland kaum beschweren: Knapp 16 Millionen Bundesbürger engagieren sich, bis 2020 stieg diese Zahl auf etwas über 17 Millionen, seitdem ist sie etwas abgeflacht. Doch vor allem bei den Über-50-Jährigen ist gut jeder Fünfte ehrenamtlich aktiv. Laut einer Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hervor sind Kirchenmitglieder sogar besonders engagiert.
Unterschied zwischen Stadt und Land
Dass das Urteil mit Blick auf die Kirche durchaus zweigeteilt ausfällt, liegt unter anderem am Unterschied zwischen Stadt und Land. "In ländlichen Gebieten ist Kirche im Sozialraum ein wichtiger Player und es fällt leichter, Engagementbereiche aufzumachen, in denen zum Beispiel Kirchen und Kommunen kooperieren", sagt Fischer. Sie ist mit anderen Akteuren gut vernetzt und nicht selten eine selbstverständliche Ansprechpartnerin, wenn es etwa darum gehe, für einen bestimmten Bereich eine Initiative zu gründen. Dort sei die Kirche oft beteiligt und so bei Interessierten für das Ehrenamt schnell im Fokus. Anders sieht das in der Stadt aus. Dort gibt es viele verschiedene Netzwerke, in die die Kirche nicht notwendigerweise eingebunden ist. "Es entscheidet mehr das Individuum, welches Engagement und für wen es sein soll", so Fischer. Dementsprechend ist Kirche hier weniger präsent und reicht weniger in die Lebenswelten von Menschen hinein, die nicht sowieso schon mit ihr zu tun haben.
Das hat Folgen für das Ehrenamt: Wer auf dem Land etwas für die Gemeinschaft tun will, landet schnell bei der Kirche. Denn sei es eine Jugendgruppe, der Seniorenkaffee oder ein Frauenkreis – nicht selten findet vieles davon buchstäblich unter dem Dach der Kirche statt. In der Stadt dagegen können diese Angebote eher auch von anderen, säkularen Anbietern kommen. Viele Ehrenamtliche haben also keine direkte Verbindung mehr zur Institution. Wie ausgeprägt das Engagement ist, hängt also auch vom Wohnort ab.
Es geht aber auch darum, was das Ehrenamt inhaltlich bedeutet. "Ich höre immer wieder, dass sich Menschen engagieren, weil sie dadurch eine Selbstwirksamkeit erfahren", sagt Fischer. Etwas Eigenes auf die Beine stellen, Menschen helfen, etwas bewegen, direkt und unmittelbar am eigenen Wohnort. Diese Formen des Ehrenamts sind weiterhin beliebt. "Wir haben eine Architektin im Ruhestand hier, die macht Stadt- und Kirchenführungen und engagiert sich so", erzählt er. Die eigene Persönlichkeit, die eigene Vorstellung von Ehrenamt und von Kirche in das eigene Engagament einfließen zu lassen, ist immer mehr Menschen wichtig. "Es geht auch darum, anderen Menschen zu helfen", sagt Schroer. Das merke er etwa bei der Notfallseelsorge, Begräbnisdiensten oder im karitativen Bereich wie dem Engagement für Geflüchtete. "Hier erfahren Engagierte ganz direkt durch persönliche Erlebnisse und in der gesamtgesellschaftlichen Wahrnehmung, dass ihr Engagement Menschen zugutekommt und sie so etwas bewegen."
Weniger Begeisterung für Gremienarbeit
Das gilt auch für liturgische Dienste wie Lektoren, Kommunionhelfer oder Messdiener. Diese kirchenspezifischen Dienste kann keine andere Organisation bieten. Hier ist es laut aktuellen Zahlen eher die schwindende Kirchenbindung und der nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie verlorengegangene Kontakt zu den Pfarreien, der Probleme bereitet.
Bei Gremiensitzungen ist das Problem ein anderes: Deren direkte praktische Folgen bleiben oft eher überschaubar, sie passen nicht in ein von Selbstwirksamkeit und direkter Hilfe geprägten Ehrenamts-Selbstverständnis. Die Folgen davon sind landauf, landab zu spüren: Die Kandidaturlisten für viele Pfarrgemeinderatswahlen füllen sich – wenn überhaupt – nur sehr zaghaft, Nachfolger für ausscheidende Mitglieder zu finden ist oft schwierig.
Das liegt aber auch an den weniger vorhersehbaren Lebensläufen, sagt Schroer. "Nicht wenige denken sich: 'Die Amtszeit dauert vier Jahre, ob ich dann noch in der Kirche bin?' Die Institution hat ja nicht den besten Stand. Die Frage ist, ob sie sich als Organisation so verändern möchte, dass sich Menschen in ihr noch engagieren wollen." Doch auch abseits davon macht die moderne Lebenswelt viel aus für die Art des Engagements: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind im Gegensatz zu früheren Zeiten eher bereit, für einen neuen Job die Stadt oder sogar das Land zu wechseln. Da passt es oft nicht, sich auf Jahre zu binden. "Zu erkennen ist, dass ein projektbezogenes Ehrenamt sich einer größeren Beliebtheit erfreut", sagt er. "Die Intensität des Engagements ändert sich dabei nicht, nur der zeitliche Horizont."
Konkurrenz für die Kirche
Doch auf solche Ideen kommt nicht nur die Kirche. Besonders im karitativen Sektor steht sie mittlerweile in Konkurrenz zu Sozialorganisationen, die oft sehr ähnliche, wenn nicht die gleichen Angebote machen – nur ohne das Label "Kirche". Das kann durchaus attraktiv sein, insbesondere für jene, die zwar christliche Werte leben und ausdrücken wollen, aber allzu oft das Gefühl haben, das diese in der Kirche nicht gegenüber jeder und jedem gleichermaßen gelebt werden. Da kann es also sein, dass sich auch Gläubige lieber einen anderen Einsatzort aussuchen. Diese Bewegung gibt es allerdings auch in die andere Richtung. "Wenn es um soziales Engagement geht, steht für Viele das Engagementfeld an sich und das Auftreten der Organisation Kirche im Vordergrund, auch wenn der Glaube im eigenen Leben momentan keine vordere Rolle spielt", sagt Schroer.
Was also tun, um potenzielle Ehrenamtliche für die Kirche zu interessieren? Vor allem weg aus dem Strukturendenken, sagen die beiden Experten. "Wir müssen weniger in zu erledigenden Aufgaben denken und uns mehr mit den Individuen beschäftigen, die da zu uns kommen", sagt Fischer. Es müsse darum gehen, diejenigen, die da sind, zum Handeln zu ermächtigen, etwa mit Kursen oder Coachings. Die Frage dürfe nicht sein, wer welches Amt als nächstes ausfüllen kann, sondern die Interessen müssten in der Suche nach einem Platz in der Gemeinschaft eine Rolle spielen. Zu diesem Blick auf den Einzelnen zählt auch mehr Wertschätzung. "Das heißt nicht, am Geburtstag mal eine Karte zu schicken, sondern wirklich zeigen, dass es einen Unterschied macht, ob jemand da ist oder nicht." Es komme ebenso darauf an, Arbeitsabläufe an das Leben der Ehrenamtlichen anzupassen. "Ich hole die Pfarrbriefe am Pfarrbüro ab und lege Sie einer Nachbarin vor die Tür, die trägt sie dann aus. Beides zusammen wäre mir zu viel, so kommt es aber hin", erzählt Fischer aus seiner eigenen Erfahrung. Es gehe um eine Mischung aus Aufgabenfülle und dem Zuschnitt auf den persönlichen Alltag.
Kirchliches Ehrenamt ist also noch lange nicht tot. Es muss sich aber den veränderten Lebensbedingungen anpassen und sich gegen Mitbewerber behaupten. Die gute Nachricht: Trotz Austritten und Versäumnissen von Amtsträgern scheinen die christlichen Werte weiterhin für viele Menschen relevant zu bleiben.