Bischof Kohlgraf: Studie zeigt ungeschminkt Probleme der Kirchen
Für den Mainzer Bischof Peter Kohlgraf zeigt die neue Studie zur Kirchenmitgliedschaft ein "ungeschminktes und sehr facettenreiches Bild der aktuellen Lage von Religion und Kirche in Deutschland". Dadurch werde auch eine ehrliche Bestandsaufnahme der großen Probleme möglich. Die Bischöfe wollten auf Basis der ernüchternden Ergebnisse zu Debatten über Konsequenzen einladen, erklärte der Vorsitzende der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) am Dienstag bei einer Online-Pressekonferenz.
Aus seiner Sicht darf sich Kirche nicht als "heiliger Rest" verstehen, "der sich schmollend zurückzieht und abschottet". Auch eine massiv schrumpfende Kirche müsse ein wichtiger Faktor in gesellschaftlicher wie religiöser Hinsicht bleiben. In einer Zeit, in der sich für immer mehr Menschen die Gottesfrage gar nicht mehr stelle, müsse die Kirche ihre Rolle neu bestimmen: "Die Diskussion darüber, was Kern der Kirche und ihres Auftrags ist (und was vielleicht wegfallen kann oder muss), muss ernsthaft geführt und weiter vertieft werden."
Neben der Familie hätten laut der Studie Angebote wie Erstkommunion- und Firmvorbereitung sowie Jugendverbände und Messdienerarbeit einen nachweisbar positiven Einfluss auf die spätere Einstellung zu Religion und Kirche, so Kohlgraf weiter: "Kirchliche Angebote sind also nicht wirkungslos. Wer an kirchlichen Angeboten teilnimmt, erlebt diese meistens als positiv und wirksam."
Große Erwartungen an Kirche und keine Gleichgültigkeit
Zudem habe Kirche bei der Kindererziehung und in Krisen und schwierigen Lebenssituationen eine hohe Relevanz für das Leben aller Befragten. Außerdem gebe es große Erwartungen an die Kirche und keine Gleichgültigkeit: "Die Reformerwartungen, auch hinsichtlich der Themen des Synodalen Weges, werden mit übergroßer Mehrheit geäußert. Reformbemühungen können sich durch die Daten gestärkt wissen."
Dabei erinnerte Kohlgraf auch an den Missbrauchsskandal als Ausgangspunkt des Synodalen Weges: Wenn 82 Prozent derjenigen, die einen Austritt erwägten, sagten, sie würden nicht austreten, wenn Kirche deutlicher ihre Schuld bekennen würde, habe die Kirche ihr Versagen offensichtlich nicht ehrlich genug bekannt: "Wir haben noch keinen glaubwürdigen Weg gefunden, mit unserer Schuld, aber auch der Heilung und Versöhnung (persönlichen wie institutionellen) umzugehen."
Die Kirchen hätten immer noch eine hohe zivilgesellschaftliche Bedeutung, fügte der Bischof hinzu: "Sie verbürgen ein überdurchschnittliches Maß an ehrenamtlichem Engagement. Sie haben eine höhere Reichweite in die Gesellschaft als von Experten prognostiziert; es bestehen nach wie vor zahlreiche Kontakte der Bevölkerung zu kirchlichen Einrichtungen und kirchlichem Personal, die als hilfreich für das eigene Leben angesehen werden."
Der Würzburger Bischof Franz Jung sieht die KMU-Ergebnisse mit gemischten Gefühlen. Einerseits seien bekannte Probleme bestätigt worden, anderseits hätten die Gläubigen nach wie vor hohe Erwartungen an die katholische Kirche, sagte er auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Die Kirche sei den Menschen nicht gleichgültig. Die Reichweite der Kirche in die Gesellschaft hinein bleibe hoch, gerade auch unter Kinder und Jugendlichen.
"Seit Jahren wissen wir, an welchen Problemstellungen wir arbeiten", fügte Jung hinzu. Er erinnerte daran, dass erst jüngst in Rom die Weltsynode über aktuelle Herausforderungen diskutiert habe. In Deutschland setze man auf die Fortsetzung des Reformprojekts Synodaler Weg. Gerade habe man dazu einen Synodalen Ausschuss zur Vorbereitung eines Synodalen Rates ins Leben gerufen. Der Bischof wörtlich: "Wir arbeiten an der Erneuerung unserer Kirche. Wir bleiben dran. Bleiben Sie drin!"
Überdurchschnittliche Bereitschaft zu ehrenamtlichen Engagement
Auch die überdurchschnittliche Bereitschaft von Katholikinnen und Katholiken, sich ehrenamtlich einzubringen, sei eine wichtige Erkenntnis der Studie, ergänzte Jung. Das gelte nicht nur innerkirchlich, sondern auch in der Gesellschaft. Es gebe ein hohes Potenzial von Menschen, die aus ihrer Glaubensüberzeugung heraus bereit seien, sich einzubringen für andere. Die Studie zeige, dass viele dies als sinnstiftend und positiv empfänden.
Die evangelische Kirche legt seit 1972 alle zehn Jahre eine KMU vor. An der repräsentativen und umfangreichen Studie hatte sich erstmals auch die katholische Kirche beteiligt.
Die wichtigsten Ergebnisse der neuen Studie: Die Deutschen sind immer weniger religiös und setzen wenig Vertrauen in die Kirchen. Viele Kirchenmitglieder denken über einen Austritt nach, so dass sich der Mitgliederschwund noch beschleunigen könnte. Auf der anderen Seite engagieren sich kirchennahe Gläubige besonders stark für die Gesellschaft. (cbr/KNA)
14.11.2023, 18.10 Uhr: Ergänzt um Statement von Bischof Jung.