Uwe Grau findet es richtig, gleichgeschlechtliche Paare zu segnen

Pfarrvikar: Möchte meine Homosexualität nicht mehr verstecken

Veröffentlicht am 30.11.2023 um 00:01 Uhr – Von Madeleine Spendier – Lesedauer: 

Bonn ‐ Uwe Grau ist Priester und arbeitet als Wallfahrtsseelsorger im oberschwäbischen Biberach. Vor zwei Jahren hat sich der Seelsorger an der Aktion #OutInChurch beteiligt. Wie dies in seiner Kirchengemeinde ankam, berichtet er im Interview mit katholisch.de.

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Seit langem engagiert sich Pfarrvikar Uwe Grau für homosexuelle Christen in der Kirche. Vor zwei Jahren hat er bei der Aktion #OutInChurch mitgemacht. Manche Menschen aus seiner Kirchengemeinde reagierten nicht so positiv darauf. Wie der 56-jährige Seelsorger damit umgegangen ist und warum er es richtig findet, gleichgeschlechtliche Paare zu segnen, davon berichtet er im Interview mit katholisch.de.    

Frage: Herr Pfarrer Grau, war es schwer, damals bei der Aktion #OutInChurch vor der Kamera zu sitzen und zu sagen: Ich bin schwul?

Uwe Grau: Für mich war es anfangs schon eine Überwindung. Doch im Nachhinein bin ich froh darüber. Ich engagiere mich schon seit vielen Jahren für queere Christen. Mir selbst ist mit 35 Jahren klar geworden, dass ich schwul bin. Erst in diesem Alter konnte ich es mir eingestehen. Dann habe ich mir einen therapeutischen Begleiter gesucht, das war damals Wunibald Müller in Münsterschwarzach, der mich auf diesem Weg begleitet hat. Ich habe dabei gelernt, auf mich selbst barmherzig zu schauen. Ich darf schwul sein, das ist gut so und von Gott so gewollt. Später habe ich dann einen Stammtisch für queere Christen in Ulm mitbegründet. Ich will dadurch anderen helfen, mit diesem Thema offener umzugehen - auch in der Kirche. Seit acht Jahren gestalte ich zum Beispiel mit dem Stammtisch zusammen einen Gottesdienst beim Christopher Street Day in Ulm. Ich möchte das Thema einfach präsent halten, auch in der Kirche, sonst bleibt der ganze Einsatz nicht nachhaltig. 

Frage: Das heißt, die Teilnahme bei #OutInChurch haben Sie persönlich als befreiend erlebt?

Grau: Ja, das war sehr befreiend. Denn jetzt kann ich in meiner Arbeit als Seelsorger in der Kirchengemeinde klar und offen darüber sprechen. Ich habe es in meinem Dienst öfters erlebt, dass Menschen mit dem Thema "Homosexualität und Kirche" nicht umgehen konnten, es abwerteten. Vielleicht auch, weil es ihnen Angst machte.

Frage: Sie arbeiten in einer eher ländlich geprägten Gemeinde. Wie haben die Menschen dort auf Ihren Auftritt bei #OutInChurch im Fernsehen reagiert?

Grau: Im Großen und Ganzen wurde das sehr positiv angenommen. Mein Chef, also der Leitende Pfarrer unserer Seelsorgeeinheit Bussen, zu der neun Kirchengemeinden gehören, hat schon hin und wieder Anrufer gehabt, die sich bei ihm darüber aufgeregt haben. Aber die haben sich nie bei mir persönlich gemeldet, was ich schade finde. Gerne hätte ich mit ihnen auch selbst darüber gesprochen. Es gab auch welche, die gesagt haben, wenn das so ist, dann würden sie nicht mehr zu mir in den Gottesdienst kommen. Ich weiß aber nicht, ob sie das dann wirklich getan habe; also ich habe niemanden davonlaufen sehen. Ältere Kollegen haben mir schon gesagt, dass sie es nicht gut fanden, dass ich mit dem Thema im Fernsehen war. Sie meinten, schwul sein sei okay, aber das solle man lieber für sich behalten und nicht öffentlich machen. Das sehe ich aber nicht so. Sie haben tatsächlich eine Weile den Kontakt zu mir gemieden. In der Zwischenzeit reden wir aber wieder miteinander, auch wenn sie dieses Thema nicht mehr anschneiden. Ich erinnere mich noch an zwei anonyme Briefe, in denen ich beschimpft wurde. Beide Briefe habe ich zur Polizei gebracht und angezeigt. Ich wurde sogar einmal bei einer kirchlichen Stelle verleumdet.

Frage: Gab es positiven Rückhalt für Sie? 

Grau: Positiven Rückhalt bekam ich von vielen Gemeindemitglieder aus früheren Gemeinden, mit denen ich gemeinsam Jugendarbeit gestalten durfte. Vor allem für queere junge Christen möchte ich ein Vorbild sein. Sie sollen Kirche als einen Raum erleben, wo man Dinge offen anspricht und normal darüber redet. Ich denke schon, dass ich manche mit meiner Teilnahme bei #OutInChurch geschockt habe. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass manche deshalb nicht mehr mit mir zusammenarbeiten wollen. Darunter leider ich aber nicht. Ich leide mehr darunter, dass wir in meiner Kirche nicht offen mit dem Thema Sexualität umgehen.

Bild: ©Pastoralteam Seelsorgeeinheit Bussen

Pfarrvikar Uwe Grau feiert regelmäßig Wallfahrtsgottesdienste auf dem schwäbischen Bussen. Auch dort trägt er eine Stola in Regenbogenfarben.

Frage: Wie gehen Sie mit diesem Thema als Wallfahrtsseelsorger um?

Grau: Ich höre viel Beichte auf unserem Wallfahrtsberg Bussen. Mir fällt dabei auf, wie viele Menschen unter der Sexualmoral unserer Kirche leiden. Ich erlebe Senioren, die ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie im hohen Alter noch Sex haben. Darüber erschrecke ich, weil ich merke, wie sehr wir als kirchliche Institution den Menschen das Leben vermiesen. Ich versuche dann etwas Befreiendes zu sagen.

Frage: Was wären denn solch befreienden Worte?

Grau: Ich sage dann, Gott hat uns die Sexualität als gute Gabe geschenkt, dass sie unser Leben bereichert und erfüllt. Gott ist die Liebe und wenn Menschen sich lieben, ist das schön und gut in jedem Alter ob hetero oder queer. In unserer Kirche scheint alles, was mit Sexualität zu tun hat, gleich ein Problem. Aber Sexualität ist in all ihren Formen Gottesgeschenk. Sexualität soll und darf etwas Schönes und Erfüllendes sein. Die Bibel ist voll von schönen Bildern für die Liebe zwischen zwei Menschen. Diese werden auch immer wieder als Bilder für die Liebe zwischen Gott und uns Menschen gebraucht. Auch Homosexualität ist, wenn wir heutige Bibelauslegung und Erkentnisse der Humanwissenschaften ernstnehmen, keine merkwürdige Entwicklung eines Menschen, nicht Sünde oder gar Krankheit. Wenn wir offen als Institution Kirche damit umgehen würden, dass wir viele queere kirchliche Mitarbeiter in unseren Reihen haben, auch unter uns Priestern, würden wir wieder mehr an Glaubwürdigkeit zurückgewinnen. Ich jedenfalls möchte meine Homosexualität nicht mehr verstecken müssen. Sie ist für mich ein Gottesgeschenk gerade auch in meiner priesterlichen Berufung.

Frage: Bekommen Sie auch Rückmeldungen von anderen Priestern aus dem Bistum, über Ihre Teilnahme bei #OutInChurch?

Grau: Ja. Inzwischen sind wir vier Priester aus dem Bistum, die bei #OutInChurch mitmachen. Aber es gibt ja noch viel mehr schwule Priester. Die Aktion #OutInChurch ist bestimmt bei manchen davon nicht gut angekommen. Sie haben sich in ihrem Leben eingerichtet, wollen die eigene Homosexualität nicht wahrhaben. Oder andere wollen ihre Partnerschaft weiterhin unbehelligt leben können. Jeder muss das selber entscheiden, wie sein Weg aussehen soll.

Frage: Was fordern Sie daher?

Grau: Ich würde mir einen offeneren Umgang mit Sexualität und queeren Lebensformen wünschen. Ich bin schwul, lebe aber in keiner Beziehung. Das passt jetzt für mich. Aber ich würde es für gut finden wenn Priester sich aussuchen könnten, ob sie heiraten möchten oder nicht.

Frage: Segnen Sie gleichgeschlechtliche Paare, die vor Gott zueinander Ja sagen wollen?

Grau: Ja, das mache ich. Und ich finde das auch richtig. Gott macht keine Ausnahmen. Unser queerer Stammtisch in Ulm feiert Gottesdienste, in denen wir auch Einzelne oder Paare segnen. Das Angebot wird sehr gut angenommen. Das freut mich sehr. Ich freue mich auch im nächsten Jahr wieder ein schwules Paar segnen zu dürfen. Die beiden bereiten sich intensiv auf die Feier vor und setzen sich sehr mit ihrem Glauben auseinander. Das ist wirklich schön.

Frage: Welche liturgischen Vorlagen für die Segnung eines gleichgeschlechtlichen Paares verwenden Sie?

Grau: Ich hoffe, auf die Vorlage, die die Bischofskonferenz erarbeitet, wie es im Synodalen Weg beschlossen wurde. Bisher verwende ich unterschiedliche Texte, auch aus einem Rituale der altkatholischen Kirche. Ich weiß auch, dass andere Kolleginnen und Kollegen gleichgeschlechtliche Paare segnen, es aber nicht öffentlich machen. Ich denke, es wird Zeit, dass wir dazu stehen. Es ist so eine große Angst vor Veränderungen zu spüren - und vor Machtverlust. Aber es sollte uns immer zuerst um die Menschen gehen. Wir haben in der Verkündigung einen Auftrag für die Menschen, die uns anvertraut sind. Und wie sollen wir glaubwürdig sein, wenn wir nicht offen mit den Themen umgehen, die uns genauso als Menschen beschäftigen. 

Von Madeleine Spendier