Neuer Taizé-Prior: Es ist eine besondere Zeit für die Gemeinschaft
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In Taizé gibt es am ersten Advent einen Wechsel: Frère Matthew wird neuer Prior der ökumenischen Gemeinschaft in Frankreich. Tritt er in die Fußstapfen von Frère Roger und Frère Alois? Und was hat ihn überhaupt nach Taizé geführt? Er erklärt, was sich ändern wird und was bleibt – und was Taizé bei Papst Franziskus' Vigilfeier auf dem Petersplatz zum Auftakt der Weltsynode zu suchen hatte.
Frage: Seitdem Sie 21 Jahre alt sind, leben Sie in Taizé. Warum sind Sie an diesem Ort geblieben? Und sind Sie nach wie vor gerne da?
Frère Matthew: Ich glaube, beim ersten Besuch, als ich 20 Jahre alt war, in den Sommer-Semesterferien hat mich etwas sehr berührt. Das waren die Gebetszeiten, aber auch dieses Zusammensein mit anderen Jugendlichen. Für mich war es nie leicht, meinen Glauben zu Hause in der Kirche zu leben. Es gab dort nicht viele Jugendliche. In der Schule gab es fast niemanden. An der Uni habe ich aber Leute getroffen, die wirklich auf der Suche nach Christus waren. Einer von ihnen hat mich eingeladen und wir sind als eine Gruppe von fünf oder sechs Studenten aus Sheffield in Nordengland nach Taizé gefahren. Das war sehr schön.
Wenn ich ehrlich bin, hat mich bei diesem ersten Aufenthalt etwas so berührt, dass ich dachte: Es könnte sein, dass ich einen Ort für mich gefunden habe. Ich konnte das aber in diesem Moment nicht wirklich in Worte fassen. Sehr schön war diese Form von Gebet mit Bibellesung, Gesängen, Stille und Fürbitten. Das war für mich wirklich etwas ganz anderes als das, was man in dieser Zeit zu Hause in der Kirche fand. Ich spürte aber auch ein Verlangen, alles für Christus zu geben, den Ruf Jesu: "Komm und folge mir nach!" Ich war sehr radikal mit 20 oder 21 Jahren. Ich wollte alles verlassen, um ihm nachzufolgen. Man braucht so einen Idealismus. Das bringt uns auf den Weg. Interessant ist, wie wir diesen Idealismus mit der Realität versöhnen. Es gibt auch Momente, in denen wir bereit sein müssen, die eigene Menschlichkeit zu akzeptieren.
Ich erinnere mich auch an noch etwas. Ich bin in einer Stadt aufgewachsen, träumte als Jugendlicher ich aber immer davon, in einem großen Haus auf dem Land zu leben. Ich dachte, ich werde ein großes Haus in England kaufen oder irgendetwas in dieser Richtung. Ich dachte nie, dass ich mich eines Tages in einem so großen Haus auf dem Land mit einer großen Familie wiederfinden werde wie in Taizé.
Frankreich war für mich aber ein Ort, wo wir als Kinder und Jugendliche mit der Familie oft Ferien gemacht haben und auch mit der Schule. Ich sprach schon ein bisschen Französisch. Mein Blick ging immer rüber nach Frankreich.
Frage: Taizé gibt es seit den 1940er-Jahren. 40 Jahre später sind Sie zur Gemeinschaft dazugekommen und selbst jetzt seit beinahe 40 Jahren dabei. Was hat sich verändert? Was hat sich für Sie verändert?
Frère Matthew: Ich glaube, das Eigentliche des Lebens in Taizé bleibt dasselbe. Die Gebetszeiten dreimal am Tag – das ist das Herz des Lebens unserer Gemeinschaft. Es gibt sicherlich neue Gesänge und neue Formen, aber das Wesentliche bleibt gleich. Ich denke, es ist heute eine Herausforderung, wirklich in Gemeinschaft zu leben. Ich habe oft den Eindruck, dass man heute viel mehr alleine ist.
Ich will nicht sagen, dass es viel mehr Individualismus gibt, das wäre zu negativ, aber früher, habe ich den Eindruck, war das Leben in Gemeinschaft einfacher. Man lebte mehr zusammen, mehr miteinander. Vielleicht hat dazu auch die Pandemie beigetragen. Trotz allem gibt es aber vor allem unter den Jugendlichen immer diesen Durst nach Gemeinschaft.
Man sieht, dass heute wegen des Klimawandels viel Angst herrscht. Aber es gibt auch eine Bewegung, sich zusammen mit anderen auf den Weg zu machen, um die Welt zu einem schöneren Ort zu machen und zu bewahren.
Frage: Würden Sie sagen, dass Sie heute noch genauso Idealist und radikal sind? Welches Gefühl haben Sie, wenn Sie jetzt ab dem ersten Advent Prior sein werden?
Frère Matthew: Ich glaube schon. Es gibt noch etwas, das sich nach dieser Radikalität sehnt, weil das Evangelium selbst etwas sehr Radikales ist: Es fordert uns auf, unsere Wurzeln in Gott, in Christus wachsen zu lassen. Es gibt gewisse Dinge, die wir immer wieder entdecken müssen. Gleichzeitig müssen wir unsere eigene Menschlichkeit annehmen und wissen, dass dieser Weg ein ganzes Leben dauert.
Ich glaube, ich habe jetzt mehr Geduld. Vielleicht ist es das einzige, was ich in den letzten Jahren gelernt habe: geduldiger zu sein. Geduld bedeutet aber nicht, passiv zu sein, sondern Zeit für den anderen und für den Geist Gottes zu haben, sodass Veränderungen, die nötig sind, stattfinden können.
Frage: Frère Alois hat mit jedem von den Brüdern gesprochen, es war ein langer Prozess, um seinen Nachfolger zu suchen. Es ist natürlich keine leichtfertige Entscheidung, wer der nächste Prior nach 18 Jahren wird. Haben Sie damals schon, als Sie Taizé-Bruder wurden, geahnt, dass es mal so kommen wird? Oder haben Sie das vielleicht vorgehabt?
Frère Matthew: Nein, und ich dachte, dass ein Bruder die Aufgabe von Frère Alois übernehmen wird, der jünger ist als ich. Ich glaube aber, wir sind als Gemeinschaft jetzt an einer Wegkreuzung: Wir haben 15 Brüder, die Frère Roger nicht mehr gekannt haben. Ich würde vielleicht nicht sagen, dass die Zeit der Gründung zu Ende gehe, weil eine Gemeinschaft sich immer neu gründen muss. Es ist aber eine besondere Zeit. Wir brauchen diese Erinnerung an Frère Roger, aber wir müssen uns auch an die heutige Zeit anpassen.
Wir werden immer dieses brüderliche, gemeinsame Leben suchen. Aber vielleicht brauchen wir auch etwas mehr Strukturen in unserem Leben, um erkennbar zu machen, wer die Entscheidungen trifft und um mehr Zuhörer zu finden. Das war immer da in unserem Leben. Frère Alois hat den Weg schon geöffnet und aufgebaut. Wir müssen diesen Weg jetzt aber auch weitergehen.
Frage: Ganz groß steht in Taizé über allem das Ökumenische oder das Christliche und nicht so sehr die einzelne Religion. Wir leben in Zeiten der Klimakrise und zahlreicher Kriege und Konflikte auf der Welt. Welche Bedeutung hat da diese Religiosität, die Vielfalt und die Internationalität in Taizé?
Frère Matthew: Wir empfangen in Taizé Jugendliche von überall auf der Welt. Viele von diesen verschiedenen Situationen erleben wir auch persönlich. Seit 1993 bin ich fast jedes Jahr nach Russland gefahren und habe Kontakte mit orthodoxen Freunden in Russland. Doch was heißt das jetzt? Wie soll ich reagieren? Wir sehen eine Situation, wo es eine Aggression Russlands gibt. Und Brüder haben während der Kriegszeit auch die Ukraine besucht. Wir sehen diese Situation, bei der wir nicht wissen, wie das zu Ende geht. Aber wir müssen unsere Freunde unterstützen, wir müssen in Kontakt bleiben.
Auch in Israel und Palästina. Wir haben im Sommer Christen aus Palästina in Taizé empfangen. Und wir haben gute Freunde, die in Jerusalem Rabbiner sind. Ich finde es immer sehr schön, aber nicht einfach, dass wir Leute von beiden Seiten der Konflikte kennen. Das heißt, dass viel Feingefühl und Zuhören nötig ist. Ich denke da an das Beispiel von Frère Roger während des Zweiten Weltkriegs. Er hat zuerst Leute beherbergt, die in großer Gefahr waren, auch Juden. Aber nach dem Zweiten Weltkrieg hat er deutsche Kriegsgefangene im Haus empfangen.
Wir müssen immer den Menschen im Blick haben. Wir sind alle nach Gottes Bild geschaffen. Für Frère Roger ging es, denke ich, immer um Versöhnung, um das gegenüber und um das Christsein. Wenn wir uns nach der Einheit der Christen sehnen, nach dem Gebet Jesu im Johannesevangelium, dann geht es nicht darum, als Christen stärker zu sein als andere, sondern um eine größere Chance für Frieden in der Menschheitsfamilie, sodass diese Liebe wirklich ausstrahlen kann.
Ich habe die letzten 18 Monate fast die ganze Zeit in Rom verbracht. Dort gab es im Oktober den ersten Teil der Weltsynode. Frère Alois war bei der Eröffnung dieser Synode im Oktober 2021. Er hat von einem Traum gesprochen: Von einer Versammlung vom Volk Gottes und dass Christen verschiedener Konfessionen in Rom auf dem Petersplatz zusammenkommen, um für die Synode zu beten.
Dieser Traum wurde sehr ernst genommen. Also haben wir dieses schöne gemeinsame Abendgebet, die Vigilfeier, am 30. September auf dem Petersplatz vorbereitet. Dieses Zusammensein von mehr als 20 Kirchenleitern aus verschiedenen Kirchen mit Papst Franziskus, Erzbischof Justin Welby von der Anglikanischen Kirche und auch Patriarch Bartholomäus I. aus der orthodoxen Kirche war ein deutliches Zeichen. Die Christen haben diese Einheitszeichen zusammen gesehen. Wie können wir nach diesem Moment weitergehen?
„Wir wollen ganz einfach, dass die, die zu uns kommen, etwas entdecken können, das ihnen hilft, sich im Alltag weiter auf den Weg zu machen“
Frage: Das zeigt ja ganz schön, dass Taizé auch eine große Rolle spielt abseits des Terrains in Frankreich. Sie sprechen vom Vorabend des Beginns der Bischofssynode in Rom in diesem Jahr, wo es diese Vigilfeier mit Papst Franziskus ganz im Zeichen von Taizé gab. – Sie schauen quasi von außen darauf: Wie viel Hoffnung setzen Sie in die Weltsynode?
Frère Matthew: Ich setze große Hoffnungen darauf, weil ich denke, dass das gegenseitige Zuhören sehr wichtig ist. Das ist nicht leicht, weil wir oft denken: Ja, ich habe meine Meinung und die anderen sollen zuhören. Sicher ist meine Meinung wichtig, aber bin ich auch bereit, den anderen zuzuhören? Es ist eine ganz andere Art, Kirche zu sein. Und Jesus ist gekommen, um allen zu dienen.
Ich glaube, dieses Zuhören steht mit dem Dienen in Verbindung. Wir wissen nicht, wohin diese Weltsynode führt. Man hört oft, der Protagonist sei der Heilige Geist. Wow! Wenn wir wirklich bereit sind, dem Heiligen Geist zuzuhören und das von der Gemeinschaft der Gläubigen bestätigt wird, dann sind wir wirklich auf dem Weg des Glaubens, denke ich.
Frage: Die Gemeinschaft in Taizé macht auch aus, dass da Alt und Jung zusammen leben. Das heißt, Sie werden als Prior ja nach wie vor trotzdem mit den jungen Menschen, mit den Jugendlichen, die zu Ihnen kommen und die auf der Suche sind, zusammen leben, zusammen beten und in Kontakt sein und sich weiter darüber unterhalten, was in der Welt los ist. Freuen Sie sich darauf?
Frère Matthew: Ja. Ich sage jeden Tag: Es ist ein Privileg für uns, in Taizé so viele Jugendliche zu empfangen. Es ist eine sehr große Verantwortung und wir müssen die Jugendlichen mit großem Respekt empfangen. In unserer Geschichte gibt es Fälle von Missbrauch. Das dürfen wir nicht vergessen! Wir müssen den Betroffenen zuhören und von ihnen lernen. Gleichzeitig ist das ein Aufruf, immer noch vorsichtiger zu sein und den Jugendlichen wirklich zuzuhören, ohne dass es zu Übergriffen kommen kann.
Als junger Bruder habe ich von Frère Roger immer gehört, dass er über Selbstlosigkeit gesprochen hat. Das ist für mich sehr wichtig. Wir empfangen die Jugendlichen nicht, um etwas für uns selbst zu bekommen. Es muss immer ein Loslassen sein. Sie kommen für eine Zeit nach Taizé und gehen dann wieder weg. Wir sind keine geistliche Bewegung. Wir wollen nicht überall Taizé-Gruppen gründen.
Wir wollen ganz einfach, dass die, die zu uns kommen, etwas entdecken können, das ihnen hilft, sich im Alltag weiter auf den Weg zu machen. Es gibt Jugendliche und auch Erwachsene, die zu uns kommen. Das ist interessant: Es gibt Treffen für die Erwachsenen und es gibt Treffen für die Jugendlichen. – Wir haben herausgefunden, wenn zu viele Erwachsene unter den Jugendlichen sind, dann dominieren die Erwachsenen. Deshalb ist es wichtig, den Jugendlichen Freiraum zu lassen. Ich hoffe, dass das alle verstehen.