Untersuchungen zu den Gründen sind angelaufen

Kircheneinsturz in Kassel: Hätte das Unglück verhindert werden können?

Veröffentlicht am 25.11.2023 um 12:10 Uhr – Von Volker Hasenauer (KNA) – Lesedauer: 

Kassel ‐ Beim Dacheinsturz der Kunstkirche Sankt Elisabeth in Kassel wurde wie durch ein Wunder niemand ernsthaft verletzt. Experten suchen nun nach den Unglücksursachen. Müssen die Kirchen bundesweit ihre Sicherheitsanstrengungen und Kontrollen verstärken?

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Die katholische Kirche ist am 6. November in Kassel nur knapp einer Katastrophe entkommen. Während am Sonntag noch Dutzende Gläubige zum Gottesdienst in der Elisabethkirche saßen, war das Gotteshaus zum Zeitpunkt des Einsturzes am Montagmittag fast leer: Nur ein Kirchenmitarbeiter war vor Ort und konnte sich rechtzeitig vor der herunterbrechenden, tonnenschweren Dachkonstruktion in Sicherheit bringen – er wurde nur leicht verletzt.

Jetzt sind die Untersuchungen zu den Gründen des Unglücks angelaufen. Dabei stellt sich die Frage, ob der Dacheinsturz der überregional bekannten Kulturkirche hätte verhindert werden können.

Notdach wird gebaut

Die Kirchengemeinde und das Bistum Fulda haben das Kasseler Ingenieurbüro HAZ mit der Ursachenforschung beauftragt – in Zusammenarbeit mit Experten der Technischen Universität München. Um das Gebäude vor Regen zu schützen, hat der Aufbau eines Gerüsts für ein Notdach begonnen. Eine Konstruktion, die völlig selbsttragend ist.

Auf den Fotografien der Rettungskräfte vom Unglückstag ist zu erkennen, dass alle tragenden Holzelemente der Decke in der Mitte gebrochen sind, genau über dem Mittelgang des Kirchenraums. Die aus Leimholz bestehenden Sparren waren in der Mitte verbunden. Entlang dieser Verbindungen gab das Dach nach. Aufgelegt waren die Balken auf Ziegel-Beton-Wänden, die nach bisherigem Kenntnisstand rundherum intakt stehenblieben.

Das eingestürzte Dach der Elisabethkirche in Kassel
Bild: ©KNA/Marcus Leitschuh (Archivbild)

Das eingestürzte Dach der Kasseler Elisabethkirche: Alle tragenden Holzelemente der Decke in der Mitte sind gebrochen.

Das Dach der in den 1950er Jahren gebauten Kirche sei regelmäßig statisch untersucht worden, hieß es. Zuletzt erst im vergangenen Jahr in Vorbereitung einer Kunstinstallation. Dabei seien keine Mängel oder Schäden aufgefallen.

Nach Recherchen der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) betreiben die evangelischen Landeskirchen und katholischen Bistümer bundesweit einen hohen Aufwand, um die Sicherheit von Sakralbauten zu gewährleisten. Auch die in den Baugesetzen verankerten Auflagen sind streng.

Müssen geltende Regeln geändert werden?

Die Landeskirche Kurhessen-Waldeck und das Erzbistum München-Freising lassen beispielsweise jährlich die tragenden Elemente und die Gebäudehülle prüfen. Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz peilt einen zwei-jährlichen Kontrollrhythmus an. Im katholischen Bistum Rottenburg-Stuttgart gilt alle fünf Jahre die Pflicht zu einer "umfassenden Bauschau".

Bundesweit warten Kirchenbau-Experten nun gespannt auf die Ergebnisse der Ursachenforschung in Kassel. Erst danach wollen sie entscheiden, ob die geltenden Regeln verändert werden müssen. "Es wird dazu einen über-diözesanen Austausch geben", heißt es aus dem Erzbistum Köln.

Bild: ©picture alliance/Hauke-Christian Dittrich (Symbolbild)

Der Erhalt und sichere Betrieb von bundesweit geschätzten 45.000 Kirchen bringt einen enormen organisatorischen und finanziellen Aufwand mit sich.

Von dort und auch aus München kommt ein ernstzunehmender Hinweis. Die Bauexperten verweisen auf eine Konstruktionsschwäche von bestimmten Leimbinder-Konstruktionen, wie sie in den 1950er bis 1970er Jahren verwendet wurden. Eine solche Konstruktion war das Dach der Eissporthalle von Bad Reichenhall, das im Januar 2006 einstürzte. Damals starben 15 Menschen. Die dortige Konstruktionsweise ist nicht mit der Elisabethkirche vergleichbar. Aber auch in Kassel gaben Leimbinder – also die aus mehreren Schichten Holz zusammengeleimten Deckenelemente – nach. Das Erzbistum München erklärte auf Anfrage, nach der Katastrophe von Bad Reichenhall habe es umfassende Prüfungen ähnlich konstruierter Kirchendächer und Nachbesserungen gegeben.

Das Erzbistum Köln gibt an, dass nach 2006 mindestens ein Kirchendach in Köln statisch ertüchtigt wurde, also Tragfähigkeit und Sicherheit erhöht wurden. Das Bistum Fulda teilte mit, es gebe aktuell keine Hinweise darauf, dass Gebäude einer bestimmten Entstehungszeit besonders gefährdet wären. Die "sorgfältigen und gründlichen" Untersuchungen brauchten nun Zeit, danach werde man über neue Erkenntnisse informieren.

Zeichen in Kassel stehen auf Wiederaufbau

Klar ist, dass der Erhalt und sichere Betrieb von bundesweit geschätzten 45.000 Kirchen eine enorme organisatorische und finanzielle Herausforderung bedeutet. Weil die Zahl der Gläubigen dramatisch sinkt, werden künftig viele Kirchen nicht mehr für Gottesdienste gebraucht. Einen Überblick über Planungen und konkrete Zahlen zu erhalten, ist allerdings nicht einfach. Die Frage nach Aufgabe oder Verkauf von Kirchen ist emotional besetzt. So teilt beispielsweise das Bistum Rottenburg-Stuttgart lapidar mit: "Wir erhalten alle Kirchen in der Diözese."

In Kassel stehen alle Zeichen derzeit eindeutig auf Wiederaufbau. Zu prominent ist das Gebäude, das dank des Engagements der Christen vor Ort – nicht zuletzt in Begleitung der Kunstschau documenta – für einen bundesweit beachteten Austausch von Kirche, Gesellschaft und Kunst steht.

Von Volker Hasenauer (KNA)