Einsame Kirche mitten im Hamburger Hafen
Wer genau hinschaut, kann sie von der A7 aus sehen. Zwischen Bahngleisen und Hafenkränen ragt ihr Turm hervor. Die Sankt-Gertrudkirche ist das das letzte Überbleibsel eines Dorfs, das vor mehreren Jahrzehnten einer Erweiterung des Hamburger Hafens weichen musste. "Die Kirche ist ein echtes Kleinod und hat historischen Wert", sagt Bernd Meyer, Vorsitzender des Fördervereins der Kirche. Seine Mission: das Gotteshaus und seine Geschichte lebendig erhalten.
Das Dorf Altenwerder war eine Bauern- und Fischersiedlung. Im Zuge der Hafenerweiterung wurden die Bewohner ab 1964 schrittweise umgesiedelt. Viele leisteten zunächst Widerstand. Denn wer will schon Containerbrücken, Gleisen und Lagerhallen weichen. Dennoch: Das Dorf fiel der blühenden Hafenwirtschaft zum Opfer. 2002 wurde das Containerterminal Altenwerder eröffnet.
Typisch norddeutsches Gotteshaus
Der 66-jährige Meyer ist in Altenwerder aufgewachsen. Seine Familie verließ den Ort 1977 und bekam ein Ersatzgrundstück in einem anderen Hamburger Stadtteil. Damals war er 20 Jahre alt. In der Sankt-Gertrudkirche wurde er getauft und konfirmiert. Wer den Weg zu ihr sucht, durchquert ein weitläufiges Industriegelände. Die Straße wird immer schmaler. Die Kirche ist umgeben von Bäumen. Verglichen mit den beiden Windrädern, die in unmittelbarer Nachbarschaft stehen, wirkt ihr Turm winzig. 62 Meter misst er, und damit fast 140 Meter weniger als jede der beiden Anlagen.
Das 1831 errichtete Gotteshaus mit seinen roten Backsteinen mutet typisch norddeutsch an. Die Innenausstattung mit Kanzel, Altar, Taufstein und Orgel ist klassisch. Auf dem Friedhof nebenan liegen Meyers Urgroßeltern. Einige Gräber sind gut gepflegt, andere von Grün überwuchert. Schon seit vielen Jahren finden hier keine Beerdigungen mehr statt. Eine Ausnahme gab es 2018, als die langjährige Küsterin Elisabeth Schwartau starb. Sie wurde als bislang letzter Mensch an diesem Ort bestattet.
Ihr ist es unter anderem zu verdanken, dass die Kirche noch steht. Im Zuge der Umsiedlungen verkaufte die Landeskirche das Gebäude an die Stadt Hamburg. Gemeinsam mit weiteren früheren Einwohnern kämpfte Schwartau für den Erhalt. Sie verhandelten mit der Stadt und suchten Unterstützung bei den umliegenden Kirchengemeinden.
Heute wird Sankt Gertrud von der evangelisch-lutherischen Thomasgemeinde im Stadtteil Hausbruch betreut. Die städtische Hafenbehörde HPA vermietet das Gebäude an die Gemeinde. Der Vertrag läuft noch bis 2027 und könnte dann um weitere fünf Jahre verlängert werden. Laut Meyer hat die HPA kürzlich angekündigt, eine sechsstellige Summe in eine Dach- und Fassadensanierung sowie eine neue Heizung zu investieren. "Die Zukunft der Kirche ist erst einmal sicher", meint er. Die Arbeiten sollen im Frühjahr nächsten Jahres beginnen.
Das Leben in Sankt Gertrud geht vorerst weiter
So geht das Leben in Sankt Gertrud vorerst weiter. An jedem zweiten und vierten Sonntag und an hohen Feiertagen findet ein Gottesdienst statt. Normalerweise kommen 20 bis 40 Menschen, überwiegend frühere Dorfbewohner, wie Meyer berichtet. An Weihnachten seien es über 200. "Im Anschluss sitzen wir zusammen, trinken Kaffee und reden über die alten Zeiten." Der Kaffee wird direkt im Kirchenschiff serviert, in dessen hinteren Teil die Gemeinde einige Bänke entfernt und durch Tische und Stühle ersetzt hat. Eine kleine Küche gibt es auch.
Der Weg zur Kirche, die in den Sommermonaten nach den Gottesdiensten für Besucher geöffnet ist, ist ausgeschildert und öffentlich zugänglich. Eine Ausstellung dokumentiert mit Bildern, Karten und Büchern die Geschichte von Altenwerder. Stündlich schlägt die Turmuhr der Kirche. Einmal in der Woche kommt der Küster vorbei, um sie aufzuziehen und nach den Falken zu sehen, die im Turm nisten. Das ungewöhnliche Gotteshaus ist beliebter Ort für Hochzeiten und Taufen. Gelegentlich finden Konzerte statt. Vom Lärm des umliegenden Hafengeländes ist im Innern kaum etwas zu hören. Eine Oase mitten in Deutschlands größtem Seehafen.