Pater Anselm Grün: "Die Fans stellen mich auf einen Sockel"
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Er ist einer der größten christlichen Verkünder unserer Zeit: Seine spirituellen Bücher verkaufen sich millionenfach, als Redner und Referent ist sein Terminplan mindestens ein Jahr im Voraus ausgebucht. Pater Anselm Grün ist eine Marke und ein echtes Phänomen in einer Zeit, in der Kirche verzweifelt ihr Image zu retten versucht. Der Benediktiner scheint von den Krisen der Institution unberührt, erkennt scheinbar mühelos den Zeitgeist und stillt bei Vielen ein tiefes Bedürfnis nach Spiritualität. Im Interview erklärt Pater Anselm Grün wie er mit Kritikern umgeht und wie es ihm gelingt sich abzugrenzen. Er ist sich sicher: Die Kirche täte gut daran den Menschen mehr zuzuhören und ihre Sehnsucht nach einer lebbaren Spiritualität ernst zu nehmen.
Frage: Die Zeit im Kloster ist sehr strukturiert. Jeden Morgen stehen Sie um halb fünf zum Morgengebet auf. Ziehen Sie Ihre innere Ruhe aus genau dieser Struktur?
Pater Anselm Grün: Ja, aus der Struktur und natürlich auch aus der Erfahrung. Wenn ich meditiere, ist für mich ganz wichtig, dass unterhalb der chaotischen Gedanken ein Raum der Stille ist. Wenn ich zum Beispiel auf der Buchmesse bin oder wenn viele Leute um mich herum sind, lasse mich darauf ein, aber da ist immer der innere Raum, wo die Menschen keinen Zutritt haben. Das gibt dann eine gewisse Ruhe und Gelassenheit, dass ich da nicht rausfalle aus meiner Mitte. Es ist sehr schön, wenn die Leute beispielsweise Bücher handsigniert haben wollen, aber ich kann nicht von dieser Zuwendung leben.
Frage: Macht Sie das trotzdem stolz, wenn Sie auf einer großen Bühne stehen und merken, dass Sie Menschen erreichen – viel mehr, als das andere tun?
Grün: Stolz nicht, aber dankbar. Ich bin dankbar, dass ich die Menschen erreichen kann. Ich habe aber am Anfang nie die Gewissheit. Ich versuche immer neu zuverlässig zu sein und zu sagen, es geht nicht darum, mich darzustellen und mich zu präsentieren, sondern die Botschaft zu vermitteln. Es geht darum, dass die den Menschen hilft, und nicht darum, dass sie von mir begeistert sind.
Frage: Stört es Sie, wenn Sie der Shootingstar der katholischen Kirche genannt werden? Sie stechen ja wahnsinnig heraus, auch zum Beispiel aus der Gemeinschaft mit ihren Mitbrüdern. Ist das ein Thema? Oder gehen Sie zurück ins Kloster und dann sind Sie der Pater Anselm, einer unter vielen?
Grün: Ja, doch. Im Kloster bin ich einer unter vielen, und dann steche ich nicht heraus. Ich bin auch in der Schola und habe da meinen Dienst, oder alle vier Wochen muss ich einen Aufgang putzen – und so weiter. Da bin ich einer unter vielen.
Frage: Sprechen wir über Ihre Bücher. Sie haben einfach ein Talent dafür, den Zeitgeist zu erkennen und Sie sind schnell. Corona kam und Sie hatten gefühlt schon ein Buch dazu auf dem Markt. Dann war das Thema Engel auf einmal in aller Munde. Und Sie schreiben "50 Engel für das Jahr" oder "Ich wünsch dir einen Engel". Diese ganzen Themen, die Sie da bedienen, sind das Themen, die Sie setzen, oder greifen Sie die auf von dem, was Menschen Ihnen zurückmelden?
Grün: Gute Themen entstehen aus dem Dialog mit den Menschen, wo ich spüre, da müsste ich jetzt eigentlich was schreiben, da sind Menschen auf der Suche. Und ich spreche natürlich auch mit der Lektorin und dem Lektor vom Herder-Verlag und Vier-Türme-Verlag. Was ist gerade die Situation der Menschen? Was brauchen die für Bücher? Da muss ich immer schauen, ob es für mich stimmt oder nicht. Manche Themen kommen von mir allein, von mir selber her aus dem Gefühl, da ist jetzt was dran. Und manche Themen kommen aus dem Dialog mit den Lektorinnen, da gilt es zu spüren: Was brauchen die Menschen heute?
Frage: Schreiben hat ja ganz oft auch etwas Meditatives. Geht es Ihnen auch so, dass das auch eine Zeit ist, die Sie für sich selbst nutzen, wenn Sie schreiben?
Grün: Das Schreiben hält mich lebendig. Ich stehe nicht unter Leistungsdruck, sondern beim Schreiben entwickeln sich auch die Gedanken. Ich weiß am Anfang noch nicht ganz genau, wie das Buch wird. Ich habe da nichts im Kopf. Ich fange einfach an und dann entwickelt sich das.
Frage: Wann schreiben Sie?
Grün: Normalerweise am Dienstag- und Donnerstagmorgen zwischen sechs und acht Uhr und am Sonntagnachmittag. Manchmal habe ich auch sonst in der Woche am Nachmittag Zeit, aber nicht sehr viel. Vormittags bin ich immer in der Verwaltung.
Frage: Das bedeutet Sie können auf Knopfdruck Schreiben und sind dann voll da?
Grün: Gut, ich freue mich natürlich darauf. Ich schaue die Woche an, wann ich dann Zeit habe und was gerade momentan das Thema ist. Ich schreibe nicht nur die Bücher, sondern auch alle möglichen Artikel und so weiter. Da freue ich mich dann darauf. Natürlich ist es nicht immer gleich, aber wenn mir nichts einfällt, dann gehe ich noch mal in die Bibliothek und schaue: Was ist da? Oder ich versuche dann, Brainstorming zu machen, was für Gedanken da dann hochkommen. Manche Themen lehne ich auch ab und sage: Nein, da habe ich jetzt keine Lust.
Frage: Was ist zum Beispiel ein Thema, bei dem Sie sagen, das machen Sie nicht?
Grün: Typisch kirchliche Themen, wenn es darum geht, wie die Kirche sein soll. Ich versuche, dem einzelnen eine Botschaft zu geben, aber nicht das Besserwisserische "ich weiß genau, was die Kirche sein soll".
Frage: Es gibt Kritiker, die Ihnen vorwerfen Sie mogeln sich an der Kirche vorbei und bedienen so eine Art "Kuschel-Theologie". Wie gehen Sie damit um?
Grün: Ich versuche dann immer, genau hinzuhören. Was meinen die? Wenn die meinen, ich lebe so bequem, wenn ich jeden Tag um halb fünf aufstehe, leben diejenigen, die mir das vorwerfen, vermutlich bequemer. Und ich denke: Was ist die Botschaft Jesu? Jesus kann auch harte Worte sagen, aber sie sind immer so, um uns die Augen zu öffnen. Ich denke schon, dass ich auch die harten Worte Jesu ernst nehme. Aber immer so, dass sie lebbar sind. Zum Beispiel dieses Wort: "Segnet die, die euch verfluchen" (Lk 6,28). Manche meinen, das ist unrealistisch. Aber ich mache da eine ganz konkrete Übung, sich einfach jemanden auszusuchen, der mich verletzt hat und den zu segnen.
Eine Frau sagte mir mal, das könne sie nicht, der habe sie so tief verletzt. Ich sagte: Probieren Sie es einfach mal. Und dann hat sie eine gute Erfahrung gemacht. Der Segen war wie ein Schutzschild, der sie schützte vor der Verletzung des anderen, und sie ist ausgestiegen aus der Opferrolle. Für mich ist wichtig: Auch die harten Worte Jesu sind Worte des Lebens. Augustinus sagt schon: "Das Wort Gottes ist der Gegner deines Willens, bis es der Urheber deines Heils wird. Solange du dein eigener Feind bist, ist auch das Wort Gottes dein Feind. Sei dein eigener Freund, dann ist auch das Wort Gottes mit dir im Einklang." Das sagt schon Augustinus, dem man ja auch viel Strenge vorwirft. Wenn ich aber mit mir im Einklang bin, ist auch das Wort Gottes mit mir im Einklang. Das will mich also zu meinem wahren Wesen führen und nicht irgendwas überstülpen.
„Manche Themen lehne ich auch ab und sage: Nein, da habe ich jetzt keine Lust.“
Frage: Ist das etwas, was die Kirche von Ihnen lernen kann?
Grün: Ich denke schon. Die Kirche reagiert manchmal sehr empfindlich auf Kritik. Und sich selbst zu rechtfertigen hat auch keinen Sinn. Es ist einfach wahrzunehmen, dass die Leute manchmal auch etwas auf uns projizieren. Auf mich projizieren sie auch etwas. Die Fans stellen mich auf einen Sockel. Für die anderen bin ich dann das Gegenteil. Da muss man immer schauen: Wer bin ich und was ist die Projektion von anderen.
Frage: Was gibt Ihnen persönlich Hoffnung?
Grün: Mir gibt Hoffnung, dass es in der Kirchengeschichte trotz aller Krisen immer neue Aufbrüche gab. Und ich glaube, dass Gott die Kirche nicht verlässt und auch die Welt nicht verlässt. Das ist nicht nur Hoffnung für die Kirche, sondern auch für die Welt, dass die Welt in den Händen Gottes ist und der auch durch Krisen und Kriege hindurch doch die Möglichkeit hat, immer wieder einen neuen Aufbruch zu bewirken.
Frage: Am Ende Ihrer Veranstaltungen beten Sie oft mit den Teilnehmenden. Haben Sie auch für uns hier in Himmelklar ein kurzes Gebet?
Grün: Gerne. Barmherziger und guter Gott, segne alle, die jetzt zuhören (oder lesen), dass sie mit deinem Segen umgeben sind wie von einem schützenden Mantel, dass der Segen sie durchdringt, dass sie ganz in Berührung kommen mit ihrem wahren Wesen, mit ihrem ursprünglichen Bild. Und lass all die Gaben, die du jedem von uns geschenkt hast, in uns aufblühen, damit wir mit unseren Gaben zum Segen werden für andere. Der Segen Gottes begleite euch alle und führe euch auf Wege, die euch in immer größere Lebendigkeit und Freiheit, Liebe und Frieden führen. So segne euch der gütige, barmherzige Gott – der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Amen.