Philippa Rath: Sehe es als Aufgabe, Fürsprecherin für Frauen zu sein
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Dass man es als Frau ganz nach oben schaffen kann, war der heutigen Ordensschwester Philippa Rath schon als Kind klar. Auf die Frage, was sie einmal werden wolle, erklärte sie: Bundeskanzlerin. Dafür handelte sie sich eine Ohrfeige ihrer Lehrerin ein. Heute, 60 Jahre später, kämpft die Benediktinerin aus der Abtei St. Hildegard in Rüdesheim-Eibingen für Geschlechtergerechtigkeit in der katholischen Kirche und fordert in zwei viel beachteten Büchern die Öffnung aller Weiheämter für Frauen. Dafür wurde sie erst kürzlich mit dem Edith-Stein-Preis ausgezeichnet. Im Interview erklärt sie, dass ihr tiefes Gottvertrauen und der Drang nach Gerechtigkeit sie darin bestärken, diesen Weg weiter zu gehen. Die Theologin und Politikwissenschaftlerin erzählt außerdem welche Rolle ihre Familie und die Gemeinschaft ihrer Mitschwestern bei alldem spielen.
Frage: Ehrlicherweise ist es ja kaum Teil unserer Vorstellung, dass viele Frauen einen Berufungsmoment erleben, der ihnen klar sagt Diakonin oder Priesterin zu werden. Aber natürlich erleben Frauen das. Genau wie Sie einen deutlichen Ruf gehört haben, in den Orden einzutreten.
Sr. Philippa: Das ist richtig. Ich wusste ab einem bestimmten Zeitpunkt, ich kann Ihnen heute noch den Tag und die Stunde nennen: Ich bin berufen in ein klösterliches Leben, in eine benediktinische Gemeinschaft. Da wusste ich noch gar nicht, in welche. Ich wusste aber, dass ich dieses Ordensleben für mich als Lebensentwurf wählen möchte.
Priesterin oder Diakonin kam für mich nie in Frage. In den letzten Jahren, seitdem ich diese vielen Frauen kennengelernt habe, habe ich mir immer wieder vorgestellt: Was hätte ich gemacht, wenn mir damals jemand gesagt hätte, "du kannst nicht Ordensfrau werden, hier werden keine Frauen genommen, hier können nur Männer Ordensmenschen werden"?
Das wäre für mich genauso ein Tiefschlag gewesen wie jetzt für die anderen Frauen, die sich zu priesterlichen und diakonischen Berufen berufen fühlen. Insofern kann ich diesen Schmerz tatsächlich nachvollziehen. Bei mir hat die Prüfung, wie das auch bei den Männern zum Priesteramt ist, stattgefunden. Fünf Jahre lang Noviziat. Das ist der klassische Weg im Kloster. Dann wird man zugelassen, wenn man selber die Entscheidung fürs Leben gefällt hat – und dann ist der Weg klar.
Für diese Frauen war es aber nie klar. Sie mussten sich Alternativen suchen, weil sie überall abgewimmelt wurden. Sie haben dann auch Alternativen gefunden. Sie sind Gemeindereferentin, Pastoralreferentin, Bildungsreferentin oder Religionslehrerin geworden. Alles, was es an Berufen gibt. Nur das Eigentliche, was sie in sich gespürt haben, konnten sie nicht.
Das ist etwas, was dann auch meinen Gerechtigkeitssinn anstachelt. Das war immer schon ein Thema für mich. Ich halte das einfach für ein Unrecht. Außerdem, glaube ich, schaden wir uns als Kirche damit enorm selbst. Wir schließen die Hälfte aller Menschen, aller Katholiken und Katholikinnen aus von den Berufen der Kirche. Das ist Selbstschädigung. Wir merken ja heute, wie stark der Priestermangel wirkt. Hätten wir schon vor 20 oder 30 Jahren Frauen geweiht, hätten wir heute ganz andere Themen.
Frage: Sie gehen dieses Thema politisch an. Und kommen ja auch aus einer politischen Familie, haben Politikwissenschaften studiert und Sie haben mal gesagt, Sie wollten Bundeskanzlerin werden. Ist das eine politische Arbeit?
Sr. Philippa: Also die Bundeskanzlerin, das ist ein Diktum aus meiner ersten Schulklasse. Da wurden wir nämlich von unserer Lehrerin gefragt, was wir gerne werden möchten. Und Sie haben recht. Unsere Familie war recht politisch. Ich war die Jüngste. Die älteren Geschwister waren auch an Politik interessiert. Unsere Mutter weniger, aber unser Vater war ein politischer Mensch. Wir haben oft bei Tisch über Tagespolitik gesprochen. Das lag irgendwie auf der Hand. Für den Berufswunsch Bundeskanzlerin habe ich mir eine saftige Ohrfeige eingehandelt ...
Frage: Im übertragenen Sinne?
Sr. Philippa: Nein, im ganz praktischen Sinne. Zu meiner Schulzeit zu Anfang der 1960er-Jahre wurde noch ziemlich viel sowohl mit dem Zeigestock als auch mit der Hand der Lehrer geschlagen. Ich kenne das gar nicht anders. Das war aber damals – und das ist genau der Punkt – es war jenseits jeder Vorstellung für diese Lehrerin, dass es irgendwann einmal eine Bundeskanzlerin geben würde.
Genauso ist es heute für viele Kirchenmänner oder Männer in der Kirche unvorstellbar, dass Frauen am Altar stehen. Da muss ein Bewusstseinswandel in Gang gebracht werden. Insofern ist das sicher auch eine politische Geschichte, aber nicht nur. Mich interessiert Politik per se und ich weiß natürlich wie alle auch, dass es Menschenrechtserklärungen gibt, wo Mann und Frau genau wie im Grundgesetz als gleich betrachtet werden. Das sind grundlegende Rechte im Staat und in der Gesellschaft. Und ich würde mir wünschen, dass das in der Kirche auch so ist.
Frage: Würden Sie sagen, es gibt jemanden, der Ihnen beigebracht hat, dass Frauen alles können, wenn sie nur wollen? Dieser Wunsch, Bundeskanzlerin zu werden, in der Zeit, in der sie groß geworden sind, ist ja schon ungewöhnlich.
Sr. Philippa: Beigebracht hat mir das, glaube ich, niemand. Man muss aber natürlich unsere Familienkonstellation sehen. Wir sind fünf Schwestern. Wir sind ein "Frauenhaus". Der arme Vater musste mit Ehefrau und fünf Töchtern leben. Unser Bruder war schon als Kind gestorben. Der war nicht mehr da. Insofern war bei uns in der Familie die Frauenpower immer einfach da. Das ist auch heute so. Wir alle fünf sind, glaube ich, sehr selbstständige und selbstbewusste Frauen geworden. Dazu haben uns auch unsere Eltern erzogen.
„Wir Ordensleute haben ja einen "gewissen Vorteil". Das haben wir beim Synodalen Weg gemerkt. Wir sind weniger abhängig von den Bischöfen.“
Frage: Welche Rolle spielt Gott in diesem Zusammenhang? Ich habe oft das Gefühl, wenn man mit einem liebenden Gott aufwächst, dann traut man sich mehr zu.
Sr. Philippa: Da habe ich ähnliche Erfahrungen wie Sie, obwohl ich ja einiges älter bin. Ich habe auch nie ein strafendes, angstmachendes Gottesbild vermittelt bekommen, sondern den liebenden Gott, aber auch den herausfordernden Gott. Gott stellt uns ins Leben und gibt uns bestimmte Aufgaben. Jeder Mensch, davon bin ich fest überzeugt, hat eine Lebensaufgabe, derer er sich erst einmal bewusst werden muss und die man dann auch möglichst freudig und engagiert angehen muss.
Frage: Will Gott, dass Sie Fürsprecherin für Frauen sind in der katholischen Kirche?
Sr. Philippa: Ich empfinde es als meine Aufgabe. Dieser Buch-Titel "Weil Gott es so will" war ja höchst umstritten. Das möchte ich auch ganz offen zugestehen. Ich war am Anfang auch nicht sehr glücklich damit. Mich hat aber damals der Lektor überzeugt, denn dieses Diktum, "Weil Gott es so will", ist ein Wort aus einem der Beiträge in dem Buch.
Die entsprechende berufene Frau hat geschrieben, ab einem bestimmten Zeitpunkt wusste sie dann, "dass Gott es so will". Daraus ist der Titel entstanden. Dann konnte ich mich wieder damit anfreunden, weil ich ja auch in meinem Leben so einen Tag und eine Stunde erlebt habe, wo ich genau wusste: Das ist für dich dein Lebensweg, den Gott dir aufträgt, zumutet oder was auch immer. Und das musst du jetzt tun. Das ist so gewesen und ich bin heute noch überzeugt, dass dieser Ruf mich auch trägt.
Frage: Das alles zu tun, erfordert natürlich wahnsinnig viel Mut. Als Delegierte beim Synodalen Weg haben Sie mal gesagt: "Die Leute haben Angst vor klerikaler Macht." Haben Sie manchmal Angst, dass Ihnen das gefährlich werden kann? Haben Sie je etwas aus Rom gehört?
Sr. Philippa: Ich bin eigentlich von Natur aus kein ängstlicher Mensch. Da sind wir auch wirklich gesegnet worden mit einem tiefen Gottvertrauen und dementsprechend auch einem Selbstbewusstsein. Unsere Eltern haben immer gesagt: Sagt, was ihr denkt. Das finde ich ungeheuer wichtig. Ich spreche aus, was ich denke.
Ich spreche auch oft das aus, was andere denken, aber nicht wagen zu sagen. Angst hat mich dabei nie getrieben. Im Gegenteil, ich denke, es muss einfach die Wahrheit gesagt werden. Wenn das mein Empfinden ist und das Empfinden vieler anderer, dann darf und muss das auch gesagt werden.
Wir Ordensleute haben ja einen "gewissen Vorteil". Das haben wir beim Synodalen Weg gemerkt. Wir sind weniger abhängig von den Bischöfen. Die Klöster sind großteils doch ziemlich unabhängig und hinter uns steht im besten Fall eine große Gemeinschaft. Das gibt einem auch Rückendeckung. Ich habe tatsächlich nie Angst gehabt und bin auch überzeugt, dass es notwendig ist, dass wir offen miteinander sprechen. Sonst hat das Ganze ja keinen Sinn.