Schöne Bescherung – Streit unter dem Tannenbaum
"Weihnachten ist die absolute Extremsituation", sagt die Aachener Pädagogin und Bildungsreferentin Judith Birx. Denn zum Fest der Liebe soll alles perfekt sein. Unterschiedliche Erwartungen, Emotionen und Kindheitserinnerungen prallen aufeinander und können Konflikte auslösen. "Der Eklat ist da geradezu vorprogrammiert", stellt die 40-Jährige fest.
Erst in diesem Jahr hat Birx kurz vor Weihnachten mehrere Wokshops zur Streit-Prävention angeboten. In den Kursen ging es weniger darum, zu lernen, wie man Streit vermeidet, sondern eine andere Haltung dazu zu entwickeln, so die Referentin. Anhand des Modells der Gewaltfreien Kommunikation (GfK) nach dem US-Psychologen Marshall B. Rosenberg nahm sie mit Kursteilnehmern konkrete Situationen in den Blick, um zu schauen, warum diese einen Konflikt ausgelöst haben und wie man beim nächsten Mal damit anders umgehen könnte. Dabei stellte sie Fragen wie: "Wo gab es eine Situation an Weihnachten, wo ich am liebsten aus der Haut gefahren wäre? Warum regt mich ein bestimmtes Verhalten von einer Person so auf? Warum empfinde ich das Verhalten dieser Person als übergriffig und bei der anderen fällt es mir gar nicht auf?"
Als Mutter von einem Kleinkind und "als Tochter einer Familie mit viel Streitpotential", wie sie es selbst beschreibt, hat Judith Birx die Methode der Gewaltfreien Kommunikation vor Jahren kennen gelernt und als sehr hilfreich für sich selbst entdeckt. "Ich war kein gefühlsorientierter Mensch. Doch diese gewaltfreie Haltung in Gesprächen hat mir geholfen, meine eigenen Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen und sie in einer Konfliktsituation benennen zu können", sagt sie. Und darum geht es bei dieser Gesprächsmedthode: bei einem Konflikt, die eigenen Gefühle und Bedürfnisse auszusprechen und dann als Folge davon eine Bitte oder einen Wunsch zu formulieren. So könne man im Konflikt eine neue Haltung gewinnen und im besten Fall eine friedliche Lösung finden.
Birx nennt ein typisches Konfliktbeispiel: "Nehmen wir an, die Schwiegermutter backt jedes Jahr Marzipanstollen und lädt immer schon im Oktober die ganze Familie zum Schnitzelessen am ersten Weihnachtsfeiertag im Dezember ein. Für alle Beteiligen ist es eine Pflicht, dabei zu sein. Die Schwiegertochter allerdings hasst Marzipan und mag auch kein Schnitzelfleisch. Was nun? Ehrlich sein oder hinunterschlucken?" Die Referentin rät dazu, den Konflikt offen anzusprechen, denn auch die Schwiegertochter möchte mit ihrem Bedürfnis gesehen werden, genauso wie die Schwiegermutter, die an diesen Feiertagen alle aus der Familie um sich herum haben möchte.
Hinter jedem Konflikt stecken Gefühle und Bedürfnisse
"Die Wut der Schwiegertochter ist ein wichtiger Indikator," so Birx. Hinter jeder Konfliktsituationen stecken grundsätzlich mindestens zwei Bedürfnisse und jede Menge Gefühle. "Auf der einen Seite sind es die eigenen Bedürfnisse, die durch mein Gegenüber ausgelöst werden und auf der anderen Seite die, die ich bei meinem Gegenüber auslöse." Bei dem Beispiel mit der Schwiegermutter und der Schwiegertochter könnte es zum Beispiel das Bedürfnis nach Anerkennung und Gesehenwerden sein. Eine einfache Gesprächsregel verrät die Expertin daher gerne: "Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es zurück". Eine angenehme Kommunikationsatmosphäre überträgt sich. Daher sind Verallgemeinerungen besser zu vermeiden. "Bitte nicht nur in Du-Botschaften verfallen und der Schwiegermutter etwa sagen: Jedes Jahr machst du Schnitzel. Ich kann das nicht mehr sehen." Dann wäre der Konflikt vorprogrammiert. "Sprechen Sie stattdessen lieber von sich", so Birx und darüber, was das Verhalten der Schwiegermutter "konkret bei Ihnen auslöst".
So könnte ein möglicher Satz an die Schwiegermutter im Sinne der Gewaltfreien Kommunikation folgendermaßen lauten: "An Weihnachten essen wir Stollen und Schnitzel. Ich sehe, du machst dir so viel Mühe und ich danke dir dafür. Ich mag kein Schnitzel und ich mag keinen Stollen. Ich würde mir wünschen, im nächsten Jahr neue Variationen auszuprobieren. Wie klingt diese Idee für dich?" Das wäre nicht nur ein liebevoller Ton, sondern eine Anerkennung dessen, was die Schwiegermutter an Weihnachten leistet, betont Birx. Und die Schwiegertochter konnte ihr Bedürfnis äußern und eine Bitte formulieren. Trotzdem kann es passieren, dass die Schwiegermutter beleidigt ist und der Konflikt eskaliert. In diesem Fall hat die Referentin eine klare Meinung: "Ich bin dafür verantwortlich, was ich sage und nicht, was bei meinem Gegenüber ankommt".
Manchmal hilft es, einen "gefürchteten" Konflikt schon mal in Gedanken durchzuspielen und sich mögliche Antworten vorzubereiten. Hilfreich sind dabei Fragen wie: "Wie möchte ich reagieren? Wann wird es mir zu viel? Warum löst meine Schwiegermutter diese Gefühle in mir aus und bei Onkel Franz ist es mir egal, wenn es jedes Jahr Stollen gibt?" Eine Grenze im Gespräch zu ziehen, kann angebracht sein. Wichtig ist es, dabei respektvoll zu bleiben und bei sich. Begegnungen mit Konfliktpartnern grundsätzlich zu vermeiden, findet Birx keineswegs sinnvoll. Man solle miteinander reden und im Gespräch bleiben, rät sie und gibt zum Nachdenken: All das, was bei mir Emotionen hervor ruft, hat grundsätzlich etwas mit mir selbst zu tun.
Für schwierige Konflikte gibt es letztlich kein Patentrezept, so die Pädagogin. Ihr helfe es, zwischendurch den Raum zu verlassen, an die frische Luft zu gehen und durchzuatmen. Oder: Konfliktsituationen als Geschenk des Lebens zu sehen und als Einladung an sich selbst, genauer hin zu schauen, so die Gründerin der MindGift-Akademie. Die eigene Haltung dabei verändere schon ganz viel, so Birx. "Nur wenn ich selbst gut mit mir in Verbindung bin, dann funktioniert Gewaltfreie Kommunikation gut mit anderen". Letztlich sieht die Bildungsreferentin Konflikte als Chance, nicht nur die eigenen wunden Punkte genauer anzuschauen, sondern damit auch Verständnis für das Verhalten anderer zu gewinnen.
Birx erlebt es in ihren Kursen und Beratungen als sehr bereichernd, wenn Menschen offen über ihre Konflikte und "seelischen" Verletzungen sprechen. Das seien "Gedankengeschenke" für den anderen und eine Einladung, auch bei sich selbst genauer hinzuschauen. Es sei eine Riesenleistung, wenn einem in so einem Kurs oder in einem Gespräch selbst auffällt, was das Gegenüber bei einem ausgelöst hat und warum da so ist, meint Birx. Und sie gibt noch einen letzten Tipp: In Konflikte, die andere miteinander haben, darf man sich durchaus einmischen. Vielleicht mit der einfachen Frage: "Kann ich helfen?" Selbst eine humorvolle Bemerkung könne konfliktgeladene Situationen entschärfen. Vor Kindern in der Familie zu streiten, sei nicht verboten, so Birx, sondern im Gegenteil: "Nur so wachsen sie in eine offene Konfliktkultur hinein". Allerdings sollte der Umgangston miteinander so fair, respektvoll und wertschätzend wie möglich sein, empfiehlt Birx. "Denn jeder möchte in Konflikten gesehen und liebevoll behandelt sein, nicht nur an Weihnachten".