Christenverfolgung: Ein Blick auf konkrete Schicksale von Gläubigen
Als Stephanus in Jerusalem der Gotteslästerung beschuldigt, verhaftet und schließlich gesteinigt wurde, ging er als erster christlicher Märtyrer in die Geschichte ein. Knapp 2000 Jahre sind seitdem vergangen, in denen er mehr und mehr zum Sinnbild für bedrängte Christinnen und Christen weltweit geworden ist. Sein Gedenktag, der 26. Dezember, wird in der katholischen Kirche in Deutschland entsprechend als "Gebetstag für verfolgte und bedrängte Christen" begangen. Je mehr man jedoch Stephanus als "Prototyp des Märtyrers" stilisiert, desto mehr verblasst er als konkrete Person mit ihrer individuellen Geschichte. Das ist die Crux solcher Titel und Begriffe – wir gewinnen sie oft um den Preis der Abstraktion von der konkreten Lebenswirklichkeit. Gerade um diese sollte es uns aber gehen, wenn wir über Diskriminierung und Gewalt gegen religiöse Minderheiten sprechen.
Dieser Punkt wurde mir vor wenigen Wochen nochmals klar, als ich mit einer kleinen Gruppe aus Deutschland in Pakistan unterwegs war. In dem mehrheitlich islamisch geprägten Land lebt nur eine sehr kleine christliche Minderheit, die knapp zwei Prozent der Bevölkerung ausmacht. Die Situation der Christinnen und Christen im Land rückte erst im Sommer wieder ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit. In Jaranwala, einer Stadt in der Provinz Punjab, hatten im August mehrere tausend radikalisierte Muslime mehr als 25 Kirchen niedergebrannt und etwa 400 Häuser christlicher Familien innerhalb eines Tages geplündert oder zerstört. Anlass war die öffentlich kursierende Behauptung, dass zwei junge Christen den Koran geschändet hätten.
Nur drei Monate nach diesen Ereignissen standen wir bei der Menschenrechtsorganisation CLAAS einigen der Familien gegenüber, welche von den Ausschreitungen direkt betroffen waren. Den Kindern sah man den Schrecken der vergangenen Monate nicht auf den ersten Blick an. Sie spielten abseits, während ihre Eltern von dem berichteten, was geschehen war. Nicht nur, dass ihre Häuser durch den wütenden Mob niedergebrannt wurden und sie in Todesangst fliehen mussten – einige schilderten, wie sie nach den Ausschreitungen von der Polizei willkürlich festgenommen und in der Haft schwer misshandelt wurden. Bis heute sind diese Menschen zutiefst verstört und traumatisiert angesichts des Unrechts und der Grausamkeit, die sie in jenen Tagen erlitten haben. Sie wissen, dass derartige Ausschreitungen jederzeit wieder passieren können und die staatlichen Institutionen sie davor kaum schützen. Vielen in unserer Gruppe standen Tränen in den Augen, als uns die Betroffenen von den Ereignissen berichteten. Auch sie waren sichtbar bemüht, die Fassung zu bewahren.
Konversionsdruck auf Christinnen in muslimischen Familien
Auf unserer Reise trafen wir auch eine Frauen- und Mädchengruppe, die für uns ein Theaterstück aufführte, in dem es um die verschiedenen Formen von Diskriminierung ging, denen gerade Christinnen in Pakistan ausgesetzt sind: als Frauen unterliegen sie den Regeln einer in weiten Teilen patriarchalen Gesellschaft und gehören zudem einer religiösen Minderheit an. Viele Christinnen stammen aus armen Verhältnissen und finden Arbeit etwa als Hausangestellte bei wohlhabenderen, muslimischen Familien, in denen sie dann unter Druck geraten, zum Islam zu konvertieren. In anderen Fällen wird eine nicht geringe Anzahl von Mädchen und jungen Frauen entführt, missbraucht, mit dem oft wesentlich älteren Täter verheiratet und im Zuge dessen zwangskonvertiert. Das Martyrium endet damit allerdings nicht, und als ehemaligen Christinnen haftet den Frauen und Mädchen auch in dem neuen Umfeld ein Stigma an. Selbst wem es gelingt, sich aus diesen Verhältnissen zu befreien, dem ist keineswegs eine Rückkehr zum Christentum möglich, denn ein Übertritt vom Islam zum christlichen Glauben gilt in der islamischen Republik Pakistan als ein schweres Verbrechen.
Religionszugehörigkeit, so wird uns während des Theaterstücks klar, bestimmt in Pakistan den Alltag. In der Schule oder bei der Arbeitssuche ist sie entscheidender als berufliche Qualifikation oder die individuelle Leistung; ähnliches gilt bei der Vergabe von Stipendien an Studierende. Im Krankenhaus kann es passieren, dass man als Christ oder Christin nicht behandelt wird, einfach weil man der "falschen" Religion angehört. Selbst an ausländischen Botschaften in Pakistan haben junge Christinnen oft den Eindruck, vom einheimischen Personal benachteiligt zu werden. Das Theaterstück endete zum einen mit der unverblümten Frage: Warum müssen wir leiden? Zum anderen wurden wir als Zuschauer mit der Forderung konfrontiert, christliche Schulen im Land stärker zu unterstützen oder auch Studienaufenthalte im Ausland zu ermöglichen, damit christliche Mädchen und junge Frauen die Chancen bekommen, die ihnen zustehen.
Zu all diesen Diskriminierungen und Bedrohungen kommt hinzu, dass der pakistanische Staat mit seinen Gesetzen den Angehörigen religiöser Minderheiten kaum effektiven Schutz bietet. Im Gegenteil, das Blasphemie-Gesetz des Landes, welches die Verunglimpfung des Propheten oder des Koran unter schwere Strafen stellt, schwebt wie ein Damoklesschwert über den Köpfen der christlichen Gemeinden. Das Beispiel der beiden angeklagten jungen Männer aus Jaranwala macht deutlich, dass es jeden und jede jederzeit treffen kann. Sie sitzen bis heute in Haft und warten auf ein Urteil. Oft reicht der bloße Blasphemie-Vorwurf aus, damit Angehörige einer religiösen Minderheit festgenommen und ins Gefängnis geworfen werden. Es ist nicht verwunderlich, dass dieses Gesetz missbraucht und dafür eingesetzt wird, persönliche Widersacher aus dem Weg zu räumen. Wird ein solcher Vorwurf zudem publik inklusive der Veröffentlichung von Fotos der betreffenden Personen in den Sozialen Medien, ist selbst im Falle eines Freispruchs die Gefahr groß, dass Anhänger islamistischer Kreise Selbstjustiz üben. Wer in Pakistan einmal der Blasphemie beschuldigt wurde, muss in jedem Fall um sein Leben fürchten. Ob Personen, denen dieses Stigma anhaftet, überhaupt noch eine Zukunft in Pakistan haben, ist mehr als fraglich.
Freilich haben wir auf unserer Reise auch die andere Seite gesehen: Freude, Dankbarkeit, fröhliche Gottesdienste. Auch gibt es einen interreligiösen Dialog sowie hochrangige muslimische Geistliche, die sich für die religiösen Minderheiten im Land einsetzen. Und es gibt Beteuerungen der Regierung, Minderheiten zu schützen – besonders nach den Ausschreitungen in Jaranwala. Dennoch liegt eine Art Mehltau über dem Lebensgefühl der Christen in Pakistan. Sie wissen: Selbst wenn das Recht auf ihrer Seite ist, am Ende werden sie den Kürzeren ziehen. Denn der Druck radikal-islamistischer Kreise und Parteien ist enorm, und die Situation für Christen und andere religiöse Minderheiten ist über die vergangenen Jahre nicht besser, sondern im Gegenteil schlechter geworden.
Religionsfreiheit braucht Konkretion
Die berechtigte Forderung nach Religionsfreiheit als universellem Menschenrecht, die Rede von verfolgten und bedrängten Christinnen und Christen – es sind abstrakte, zum Teil sperrige Begriffe, die an der Oberfläche bleiben und allzu schnell ein Verstehen suggerieren, das nicht zur Lebenswirklichkeit der Betroffenen vordringt. Vielleicht muss man in der Tat konkret auf die Menschen und deren Situation schauen, um die Formen der Diskriminierung zu begreifen, denen die Angehörigen religiöser Minderheiten in vielen Ländern der Welt ausgesetzt sind. Gerade das zeigt uns – richtig verstanden – der Gedenktag des Heiligen Stephanus, der eben nicht abstrakt "den bedrängten Christen" gilt, sondern einer konkreten Person mit ihrer Lebensgeschichte.