Fleischverzicht für die Schöpfung: Mein vegetarisches Jahr
Kein Fleisch, kein Fisch, keine Wurst – das Jahr 2023 war für mich ein ganz besonderes, weil ich von Neujahr bis zum heutigen Silvestertag vegetarisch gelebt habe. Beim Grillen mit Freunden musste ich mit Bratlingen oder Gemüse Vorlieb nehmen, im Spanien-Urlaub auf Chorizo verzichten und beim Weihnachtsessen lag neben Rotkohl und Klößen kein Gänsebraten. Ich habe tatsächlich das ganze Jahr durchgehalten und nicht mit meinen Vorsätzen gebrochen. Allerdings muss ich zugeben, dass ein paar Mal aus Versehen Fleisch in meinem Magen gelandet ist, etwa weil ich beim gemeinschaftlichen Pizza-Essen nicht gemerkt habe, dass etwas Schinken auf meinem Stück war. Bei Gummibärchen habe ich zudem ein Auge zugedrückt und außen vor gelassen, dass sie Gelatine enthalten. Für mich war das in Ordnung, denn auch wenn mein vegetarisches Jahr nur 365 Tage gedauert hat, wollte ich nicht zu streng mit mir sein.
Eine große Umstellung war mein vegetarisches Jahr für mich nicht, denn schon seit einigen Jahren ernähre ich mich weitgehend fleischlos – auch wenn ich nicht ganz auf Wurst, Braten und Co. verzichtet habe. Warum? Fleisch schmeckt mir einfach gut! Sein Konsum gehört für mich zu dem Lebensstil, mit dem ich aufgewachsen bin, was für den größten Teil der Menschen in Deutschland gilt. Doch es liegt auf der Hand, dass es viele Vorteile hat, wenig oder gar kein Fleisch zu sich zu nehmen: Man lebt als Vegetarier gesünder, weil man mehr Obst und Gemüse sowie Getreideprodukte isst. Der positive Effekt fleischloser Ernährung ist durch wissenschaftliche Studien belegt. Auch Übergewicht und Herz-Kreislauf-Probleme treten bei Veganern und Vegetariern eindeutig weniger auf.
Zudem hat eine Studie aus diesem Jahr ergeben, dass Vegetarier etwa zweieinhalb Mal weniger Treibhausgase emittieren als Menschen, die einen hohen Fleischkonsum haben, wovon man ab 100 Gramm Fleisch pro Tag spricht. Fleischverzicht ist also eine gute Möglichkeit, um persönlich etwas gegen den Klimawandel zu tun – auch wenn es aufs große Ganze gesehen natürlich nur ein geringer Beitrag ist. Hier kommt mein christlicher Glaube ins Spiel: Ich habe mich unter anderem deshalb für mein vegetarisches Jahr entschieden, weil ich etwas zur Bewahrung der Schöpfung beitragen wollte, das ich mit einer kleinen Änderung meines Lebenswandels tun konnte.
Auch wenn die Bibel klipp und klar sagt, dass der Verzehr von Lebewesen keine Sünde ist, gibt es doch Passagen in der Heiligen Schrift, die mich an diesen Aussagen haben zweifeln lassen. So wird im biblischen Buch Genesis berichtet, dass vor dem Sündenfall die Ernährung im Paradies vegan war, erst nach der Sintflut erlaubt Gott den Menschen den Fleischverzehr – und schränkt diesen etwa durch dieses Gebot ein: "Nur Fleisch mit seinem Leben, seinem Blut, dürft ihr nicht essen." (Gen 9,4) Doch welches Fleisch enthält kein Blut? Ich habe diese Bibelstelle immer als ironischen Aufruf zu einem vegetarischen Leben verstanden.
Alle diese Gründe haben bei meiner Entscheidung, ein vegetarisches Leben auszuprobieren eine Rolle gespielt. Doch vor allem zwei persönliche Entwicklungen in den vergangenen Jahren haben den Ausschlag gegeben, damit ernst zu machen: Vor einiger Zeit bin ich Vater geworden und frage mich seitdem sehr intensiv, in welcher Welt mein Kind in Zukunft leben wird. Auch wenn ich nichts von apokalyptischen Untergangsszenarien für die Zukunft der Menschheit auf der Erde halte, so ist die Situation doch in der Tat dramatisch. Der menschengemachte Klimawandel hat schon längst angefangen, die Lebensbedingungen auf der Erde drastisch zu verändern. Mein kleiner Beitrag durch Fleischverzicht kann daran natürlich nichts ändern – aber es ist immerhin ein Anfang. Und schließlich bin ich mit meinem Engagement nicht allein.
Überwiegend positive Rückmeldungen
Außerdem haben wir vor einigen Jahren eine Hündin aus dem Tierschutz in unsere Familie aufgenommen. Das tagtägliche Zusammenleben mit ihr hat meinen Blick auf Tiere verändert. Ich nehme heute bewusster wahr, dass jedes Schnitzel, das ich verspeise, zu einem Tier gehört hat, das für meinen Wunsch nach Fleisch getötet wurde. Dieses Schwein, dieses Rind oder dieses Hühnchen ist mir zwar nicht so nah, wie meine Hündin. Doch fast jedes Säugetier trägt das Potential in sich, eine Persönlichkeit zu entfalten, da es einen eigenen Charakter mit individuellen Abneigungen und Vorlieben besitzt. Kurz gesagt: Was auf meinem Teller liegt, ist eigentlich kaum von meinem Haustier zu unterscheiden.
Während meines vegetarischen Jahres habe ich überwiegend positive Rückmeldungen erhalten: Viele Menschen in meiner Familie, im Freundeskreis und meinem engeren Umfeld haben mit Wohlwollen und Verständnis auf meinen Fleischverzicht reagiert. Negative Reaktionen habe ich nicht erhalten, auch nicht von Fremden. Doch gelegentlich begegnete mir Unverständnis für meinen Vegetarismus, besonders in kirchlichen Kreisen. Scherzhaft wurde mein vegetarisches Jahr dort einmal ein "Jahr der Buße" genannt – eine Bezeichnung, die vielleicht gar nicht so falsch ist. Denn Buße für die strukturelle Sünde, die sich im System der Massentierhaltung verbergen kann und Tiere – sowie oft auch die dort arbeitenden Menschen – zu Opfern macht, tut mehr als Not.
Ich konnte ein Jahr lang erfahren, dass mir der Verzicht auf Fleisch und Fisch leichtgefallen ist, auch wenn es mich manchmal doch in den Fingern gejuckt hat, bei einem vermutlich leckeren Stück Fleisch zuzugreifen. Beim Umgang damit haben mir die sehr guten Fleischersatzprodukte geholfen, die geschmacklich teilweise nicht vom Original zu unterscheiden sind. Auch das Ausweichen auf eine Küche, die Fleisch nicht ins Zentrum der Speisekarte stellt, war für mich ein großer Gewinn. Werde ich künftig also dauerhaft vegetarisch leben? Ich denke nicht – leider. Denn auch wenn ich gut durch mein fleischloses Jahr gekommen bin und es meine Beziehung zum Essen von Fleisch verändert hat, habe ich es doch auch als Einschränkung erlebt. Der Konsum von Fleisch ist in unserer Gesellschaft immer noch stark verbreitet und ich möchte mir ab und zu die Freiheit nehmen, eine Bratwurst zu essen oder beim Festtagsbraten nicht zu verzichten.
Ich habe allerdings eine Faustregel gefunden, die mich bei meinem künftigen Umgang mit dem Konsum von Fleisch leiten wird: Kein Fleisch zu essen, ist für mich der neue Normalzustand, aber ich verbiete mir selbst nicht, punktuell oder zu besonderen Gelegenheiten doch zuzugreifen. Natürlich sehe ich, wie widersprüchlich es ist, etwas zu feiern, wie etwa Weihnachten oder einen Geburtstag, und dieser Freude über das Leben dadurch Ausdruck zu verleihen, ein totes Tier zu verspeisen. Darin drückt sich für mich ein Suchen und Ringen aus, dem sich jeder Christ stellen sollte – und bei dem rigoroser Moralismus nicht weiterhilft.
Bei dieser Suche würde ich mir allerdings noch mehr Hilfe und ein stärkeres Zeichen für vegetarische Ernährung von meiner Kirche wünschen. Und es stellen sich mir mehrere Fragen: Gibt es eigentlich in einem deutschen Bistum eine Pastoral für vegetarisch oder vegan lebende Menschen? Warum kommt in kirchlichen Bildungshäusern weiterhin viel Fleisch auf den Tisch und bei Pfarrfesten immer noch überall die Bratwurst auf den Grill? Wäre nicht auch die Förderung und Begleitung eines vegetarischen Jahres oder einer solchen dauerhaften Lebensweise durch die Kirche möglich, etwa durch ein Gelübde, das man (zeitlich begrenzt) ablegen kann? Ich wünsche mir bei meinem persönlichen Umgang mit dem Konsum von Fleisch mehr Begleitung durch die Kirche, denn ich bin immer noch auf der Suche, wie ich mit meiner Lebensweise besser zur Bewahrung der Schöpfung und zum Schutz des Lebens beitragen kann. Mit Blick auf 2024 habe ich einen Kompromiss gefunden: Im kommenden Jahr werde ich Fleisch essen – aber mit Gottes Hilfe nur sehr wenig.