Flüche, Heilungen und Dämonen: Mehr als Magie im Neuen Testament
Dieser Beitrag geht den möglichen neutestamentlichen Spuren von Magie nach. Er fragt zunächst, welche Begriffe im Neuen Testament für Magie und Zauberei verwendet werden und in welchen Zusammenhängen sie vorkommen. Überdies untersucht er, ob sich magische Praktiken in neutestamentlichen Erzählungen spiegeln, etwa in den Dämonenaustreibungen Jesu. Der Durchgang durch die verschiedenen neutestamentlichen Texte macht schließlich auch die Tücken des Magiebegriffs deutlich.
Magier und Zauberer im Neuen Testamen
Schaut man sich an, wo im Neuen Testament die griechischen Begriffe mageia, das Wort wird gewöhnlich mit "Zauberei" übersetzt, und mageuō ("zaubern") verwendet werden und wo vom "Magier", "Wahrsager" oder "Zauberer" (magos oder goēs) die Rede ist, ist der Befund recht übersichtlich.
Vom "Wahrsager" oder "Zauberer" als goēs ist im Neuen Testament ausschließlich im Zweiten Timotheusbrief (2 Tim 3,13) die Rede, in dem es insbesondere um die Auseinandersetzung mit denjenigen geht, die eine falsche Lehre verbreiten. Der Text positioniert sich deutlich gegen diese Gruppe und verwendet den Begriff goēs dabei nicht etwa als Fachbegriff für einen Menschen, der eine bestimmte, von außen schwer zu durchschauende Ritualexpertise besitzt, sondern als negative Beschreibung: Der gegnerische goēs ist hier ein "Gaukler", "Betrüger" oder "Schwindler". Die Einheitsübersetzung (2016) übersetzt entsprechend: "Böse Menschen und Schwindler dagegen werden immer mehr in das Böse hineingeraten; sie sind betrogene Betrüger" (2 Tim 3,13).
"Magoi" im Matthäusevangelium
Der Begriff magos begegnet am Beginn des Matthäusevangeliums (Mt 2,1-12). Die Gruppe, die uns in der Übertragung der Einheitsübersetzung als "Sterndeuter aus dem Osten" bekannt ist, ist genau genommen eine Gruppe von Magiern, Wahrsagern oder Zauberern. Das passt insofern zum sprachgeschichtlichen Befund, als der Begriff magos wohl auf die Mager, einen medischen Stamm im heutigen irakisch-iranischen Grenzgebiet zurückgeht (Herodot, Historien I 101). Weil das Priestertum erblich war und Priester aus diesem Stamm am Königshof als Astrologen, Traumdeuter und Königsratgeber tätig waren, hat sich die Bedeutung in die Richtung von Menschen mit besonderer kultischer und ritueller Expertise verschoben.
Duell der Magier in der Apostelgeschichte
Die Apostelgeschichte stellt mit Simon einen Menschen vor, der durch sein Zaubern (mageuō) die Bevölkerung in Samarien in Staunen versetzt (Apg 8,9-13). Man nennt ihn daher sogar "die Kraft Gottes" (Apg 8,10). Ausgerechnet dieser Simon wird schließlich selbst gläubig, lässt sich taufen und durch die Zeichen und Machttaten des Philippus selbst in Staunen versetzen. Philippus hat Simon gewissermaßen übertrumpft. Möglicherweise hat Simon seine Zauberei als Geschäft betrieben, denn er bittet Petrus und Johannes, ihm gegen Geld den Trick der Geistvermittlung durch Handauflegung zu verraten (Apg 8, 14-25). Sie erwidern, die Gabe Gottes lasse sich gerade nicht mit Geld kaufen (Apg 8,20).
Einige Kapitel weiter ist davon die Rede, dass Barnabas und Paulus auf der Insel Zypern den jüdischen magos Barjesus treffen, der auch Elymas genannt wird (Apg 13,4-13). Barjesus tritt als Gegner des Paulus auf und versucht, die Bekehrung des Prokonsuls Sergius Paulus zu verhindern. In einer Art Duell der Magier erweist sich Paulus jedoch als überlegen und Sergius Paulus wird gläubig. Der Begriff magos ist hier deutlich negativ aufgeladen, wird doch Barjesus zugleich auch als "Lügenprophet" bezeichnet. Im Unterschied zu den Magiern und Zauberern werden die Apostel als eigentlich Mächtige dargestellt, die Gott hinter sich haben und gerade keine Zauberer sind.
Zauberei in Lasterkatalogen
Ebenfalls negativ gefärbt ist im Neuen Testament das Wortfeld rund um die Begriffe pharmakeia und pharmakos. Die Ausdrücke bezeichnen Zauberei oder Giftmischerei (pharmakeia) oder die Person, die genau das betreibt, also den Zauberer oder Giftmischer (pharmakos). In der Johannesoffenbarung stehen die Begriffe in einer Reihe mit Mord (Offb 9,21; 21,8), Prostitution/Unzucht (Offb 9,21; 21,8) oder Götzenverehrung (Offb 21,8).
Ein ähnlicher Lasterkatalog, in dem Zauberei eine von vielen Verhaltensweisen ist, die die "Werke des Fleisches" kennzeichnen, findet sich im Galaterbrief (Gal 5,19-21). Diese Laster werden der "Frucht des Geistes" gegenübergestellt, die sich durch Liebe, Freude, Friede,
Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Enthaltsamkeit auszeichnet (Gal 5,22- 23).
Was ist also Magie?
Der Blick auf diese Textpassagen zeigt bereits, dass das Neue Testament nicht unparteiisch auf "Magie" blickt. Die einschlägigen Begriffe haben in ihren jeweiligen Kontexten einen deutlich negativen Klang. Simon erscheint in der Apostelgeschichte als geschäftstüchtiger wie geldgieriger Zauberer, Barjesus/Elymas wird als "Lügenprophet" und Gegner der christlichen Botschaft gezeichnet.
Selbst Matthäus nutzt die negative Grundkonnotation der magoi als nicht-jüdische Fremde, um sie in seiner Geburtserzählung überraschend als diejenigen zu inszenieren, die genau das erkennen, was der jüdische König Herodes nicht erkannt hat. Es sind ausgerechnet die Fremden, die den Stern als Zeichen für die Geburt eines neuen Königs richtig deuten. Sie identifizieren das Kind Jesus als diesen König und verehren ihn entsprechend. Über historische Figuren und ihr Selbstverständnis sagt das wenig, aber sehr viel über die Strategien der Texte und diejenigen, die sie verfasst haben. Bereits der griechische Geschichtsschreiber Herodot (ca. 485-424 v. Chr.) schreibt den persischen magoi allerlei Besonderheiten zu (Historien 1 140): Nach Herodot sind die magoi irgendwie besonders, weil sie sich von anderen Menschen ebenso unterscheiden wie etwa auch von ägyptischen Priestern. Außerdem sagt er über sie, dass sie ungewöhnliche Speisegewohnheiten haben, da sie Ameisen genauso verzehrten wie Schlangen, Kriechtiere und Vögel. Laut Herodot spielten die magoi in der persischen Bestattungspraxis eine Rolle, von der wenig nach außen dringe. Herodot zeichnet damit ein Bild von fremden Ritualexperten, denen etwas Mysteriöses anhaftet.
Magie ist die Religion der anderen
Und tatsächlich sind "Magie" und "Zauberei" sowohl im Neuen Testament als auch in anderen antiken Texten keine Begriffe, die bestimmte Phänomene sachlich und unvoreingenommen beschreiben. Sie werden mit einer bestimmten Absicht verwendet. Mit solchen Begriffen grenzt man sich und seine Gruppe von anderen ab. Bestimmte rituelle Handlungsvollzüge und religiöse Kompetenzen werden gerade nicht als den eigenen Ritualen und Kompetenzen gleichwertig angesehen, sondern abqualifiziert, als entweder überhaupt nicht oder zumindest wenig wirksam.
Magier oder Heilige Drei Könige?
Der Kölner Erzbischof Rainald von Dassel war ein gewiefter Bursche. Im Jahr 1164 entführte der Kanzler Kaiser Friedrich Barbarossas die Reliquien der Heiligen Drei Könige aus dem eroberten Mailand an den Rhein. Bevor er in Mailand aufbrach, schrieb er einen Brief mit seiner Reiseroute an das Kölner Domkapitel.
Indem Praktiken anderer auf diese Weise als anders bezeichnet werden, werden andere überhaupt erst zu anderen gemacht. Man bezeichnet dieses Phänomen auch mit dem englischen Begriff "Othering". Mit Peter Schäfer lässt es sich so formulieren: "your magic is my religion" und "your religion is my magic". Magie, das ist die Religion der anderen. Wer von Magie spricht, der nimmt zugleich eine Bewertung vor, indem die eigene Religion als höherwertig, wirkungsvoller und besser qualifiziert wird, während der anderen Religion Gegenteiliges zugeschrieben wird.
Und doch: Vorstellungen von Magie
Und doch hat sich sowohl in unserer Alltagssprache als auch in der Wissenschaft eine vage Vorstellung von dem durchgesetzt, was "Magie" und "magische" Praktiken im Kern inhaltlich ausmacht. Dazu gehört der gefährliche, unerlaubte, verdächtige, aber potenziell mächtige Charakter bestimmter Handlungen, die von anderen durchgeführt werden oder deren Ausführung andersartig erscheint. Häufig geht damit die Vorstellung einher, dass eine bestimmte Handlung eine Wirkung gleichsam erzwingt. Die rituelle Handlung wirkt allein durch ihren Vollzug (ex opere operato).
Setzt man eine solche inhaltliche Bestimmung von Magie voraus und liest neutestamentliche Texte vor diesem Hintergrund, dann lassen sich Aspekte von Magie beispielsweise auch im Vergleich zwischen neutestamentlichen Wundererzählungen und antiken Texten aus dem Umfeld des Neuen Testaments entdecken.
Jesus — ein magischer Wunderheiler?
Die Beelzebulkontroverse (Mk 3,22-27 // Mt 12,22- 30 // Lk 11,14f.) zeigt, dass Jesus von außen durchaus als Magier gesehen werden konnte. Von den Schriftgelehrten wird Jesus nämlich vorgeworfen, er sei vom Beelzebul besessen, den man sich als "Herrscher der Dämonen" (Mk 3,22) und damit als satanische Macht vorstellte. Die Schriftgelehrten halten Jesus vor, er treibe die Dämonen ausgerechnet mit der Hilfe Beelzebuls aus. Jesus kontert, indem er erklärt, dass der Satan wohl kaum gegen seine eigene Partei vorgehen wird (Mk3,23-26).
Magische Motivik findet sich etwa in der Technik, die Jesus nach der Überlieferung der Evangelien für Dämonenaustreibungen anwendet. Auch für magische Praktiken ist typisch, die bösen Geister zu bedrohen, sie mit Ausfahrbefehlen zu traktieren oder sie mit ihrem persönlichen Namen anzusprechen. Die Kenntnis des Namens bedeutet Macht über den Dämon. Alle diese Techniken haben zum Ziel, Geister und Dämonen in ein anderes Objekt zu bewegen und ihnen schließlich die Rückkehr in den Menschen zu verbieten.
„Magie, das ist die Religion der anderen.“
Auch Jesus bedroht einen Geist, der einen Jungen in Besitz genommen hat (Mk 1,25 // Lk 4,35; Mk 9,25 // Mt 17,18 // Lk 9,42). Ebenso verwendet er Ausfahrbefehle, wie etwa "geh heraus" (exelthe; Mk 1,25; 5,8; 9,25). Dieser Befehl ist sogar mehrfach in den graeco-ägyptischen magischen Papyri als sprachliche Technik zur Austreibung von Dämonen belegt (PGM IV 1242.3013; V 158). In der Erzählung über den Besessenen von Gerasa (Mk 5,1—20) fragt Jesus den Dämon nach seinem Namen (Mk 5,9), den der Dämon Jesus sogar verrät. Und auch ein Rückkehrverbot wird von Jesus ausgesprochen (Mk 9 , 25).
War Jesus also ein Magier? Interessanterweise werden die Wunder Jesu in den Evangelien an keiner Stelle mit dem Begriff »Magie« bezeichnet, sondern entweder "Krafttaten" (dynameis; vgl. etwa Mk 6 ,2) oder "Zeichen" (sēmeia; vgl. etwa Joh 2,11) genannt. Außerdem bietet er mit Dämonenaustreibungen und Heilungen ein eher eingeschränktes Portfolio an "magischen Dienstleistungen an, während ihn sein prophetisches Auftreten andererseits von anderen Magiern unterscheidet.
Plädoyer: Alltagsrituale statt Magie
Ist Magie also eine hilfreiche Kategorie, um Phänomene antiker (und moderner) Kultur zu beschreiben? Sie verleitet jedenfalls häufig dazu, sich zwischen "Magie" und "Religion" entscheiden zu müssen. Zudem kann man fragen, ob der moderne Begriff den Phänomenen der antiken griechisch-römischen Mittelmeerwelt überhaupt gerecht wird und ob man sich mit dem Begriff nicht auch letztlich in eine lange Abwertungspraxis mit Blick auf die religiösen Überzeugungen anderer einreiht.
Wenn man den Magiebegriff vermeidet und stattdessen allgemeiner von religiösen Alltagsritualen spricht, dann ist die Frage, ob der Jesus der Evangelien nun ein Magier war oder nicht, gar nicht mehr entscheidend. Es geht dann darum, wie sich neutestamentliche Texte zu bestimmten Ritualen verhalten, welche Aspekte sie aufnehmen und welche nicht, wie bestimmte Praktiken von den Texten bewertet werden. Es geht dann weniger um wissenschaftlich-beschreibende Zuschreibungen im Sinne von "dieses Phänomen ist Magie", als vielmehr um ein dynamisches Kontinuum von rituellen Praktiken.
Fluchtafeln, Zauberpuppen und das Neue Testament
Welche neuen Perspektiven sich auch für das Verständnis neutestamentlicher Texte ergeben, wenn man scheinbar "magische" Praktiken als Alltagsrituale versteht, zeigt der Blick auf antike Zeugnisse wie Fluchtafeln und Zauberpuppen, die häufig als "Magie" klassifiziert wurden, darüber hinaus aber auch Einblicke in den Alltag antiker Menschen geben, mit all den Problemen, die sie beschäftigt haben.
Von den antiken Fluchtafeln sind rund 1.700 bis heute erhalten. Sie bestehen überwiegend aus dünnen Bleiblechen. Auf ihnen ritzte man Verfluchungstexte ein, um Gegner vor Gericht oder Konkurrentinnen und Konkurrenten in anderen alltäglichen Situationen auszuschalten. Fluchtafeln und die damit verbundenen Rituale verbreiteten sich mit der Ausdehnung des Römischen Reiches und finden sich heute in Ausgrabungen von Ägypten bis Britannien.
Nicht nur das Beschreiben der Bleibleche gehörte zum Ritual der Fluchtafeln, sondern zuweilen auch das Durchbohren des Bleis mit Nägeln und das Deponieren an besonderen Orten. Dazu zählen Gräber oder Heiligtümer. Eng verwandt mit den Fluchtafeln sind insofern die sogenannten Zauberpuppen, die häufig aus Lehm gefertigt und ebenfalls mit Nägeln manipuliert wurden. So wie Fluchtafeln oder Zauberpuppen durchbohrt wurden, so sollten die gegnerischen Zielpersonen geschädigt werden.
Das Korpus der Fluchtafeln gibt damit Einblicke in antike Lebenswelten. Im Unterschied zu anderen Quellen überliefern die Fluchtafeln sogar noch die persönliche Handschrift ihrer Urheberinnen und Urheber, die aus ganz unterschiedlichen Bildungsniveaus stammten. Man erfährt darüber hinaus etwas über Konfliktsituationen im Alltag, über den Wert von Gegenständen, über das Wirtschaftsleben, die Götterwelt und – überraschenderweise die Freizeitgestaltung. Denn in sogenannten Wettkampfflüchen ging es darum, beim Pferderennen, die gegnerischen Pferde verunfallen zu lassen.
Mehr als Magie – und zwar im doppelten Sinne
In der Welt des Neuen Testaments war es nicht ungewöhnlich und schon gar nicht unvernünftig, übernatürliche Kräfte oder Heilungspraktiken für real und wirksam zu halten. Viel entscheidender war es, in wessen Namen sie gewirkt wurden. Steht dahinter eine satanisch-dämonische Macht oder Gott selbst? Die neutestamentlichen Texte sind parteiisch und zeigen, dass der Gott, der hinter Jesus und den Aposteln steht, die eigentlich mächtige Größe ist, eben mehr als Magie.
Dieser Beitrag versteht sich als Plädoyer, sogenannte "magische" Traditionen wie die Fluchtafeln nicht vorschnell als Magie zu klassifizieren, um sie damit zu etwas Fremdem zu machen, sondern ihren Wert als relevante religions- und sozialgeschichtliche Quelle für den Alltag antiker Menschen und als Teil der neutestamentlichen Welt zu erkennen. Insofern ist auch dieser Fundus sehr viel mehr als einfach nur Magie.
Der Autor
Dr. Michael Hölscher ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fach Neues Testament an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Mainz. Neben dem Matthäusevangelium und der Johannes- Offenbarung interessiert ihn, wie die neutestamentlichen Texte auf die alltäglichen Herausforderungen der ersten Christinnen und Christen reagieren. Dieser Frage geht er derzeit in seinem Forschungsprojekt "Entzauberte Rituale. Spuren der Fluchtafeln und ihre Funktion in der Offenbarung des Johannes" nach.
Hinweis
Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift "Bibel und Kirche" (Ausgabe 4/2023).