Theologe: Kirche und Vernunft verurteilen esoterischen Okkultismus
Ist Esoterik gefährlich? Die Kirche setzt sich immer wieder mit alternativen Heilmethoden und Weltbildern auseinander. So auch Wolfgang Vogl. Der Professor für Theologie des geistlichen Lebens an der Universität Augsburg spricht im Interview über Gefahren und das Verhältnis der Esoterik zum christlichen Menschenbild.
Frage: Herr Vogl, viele Menschen haben wenigstens einmal in ihrem Leben Berührungspunkte mit etwas, das man als Esoterik bezeichnen könnte. Ist das eine Gefahr oder eher wohltuende Konkurrenz für die Kirche?
Vogl: Aus christlicher Sicht sind Esoterik, Okkultismus und damit auch Aberglaube etwas Gefährliches, weil sie sich einer rationalen Kontrolle entziehen, so dass man nicht die Ursprünge kennt, auf denen die manchmal beobachtbaren körperlichen Heilungseffekte beruhen. Diese Unkenntnis ist das Gefährliche, weil sich nicht ausschließen lässt, dass auch bösgeistige, also dämonische Mächte mit im Spiel sind, die für die Wirkung verantwortlich sind. Deshalb ist es für Christen ein Grundprinzip, dass man, wenn man Heilung sucht, immer zuerst die wissenschaftliche Erwiesenheit bestimmter Praktiken überprüft, damit diese nicht mehr okkult, sondern eben medizinisch offenbar sind, so dass dann auch keine Gefahr bestehen kann, sich dämonische Belastungen einzufangen. Die bis auf das Alte Testament zurückgehende Verurteilung des esoterischen Okkultismus durch die Kirche besteht also in der Sorge um das Seelenheil der Menschen, die manchmal ahnungslos bei ihrer Suche nach Heilung in die Fallen des Okkultismus tappen und unter das Joch esoterischer Glaubenssätze oder in die Abhängigkeit elitärer Führer geraten. Die Sorge der Kirche nimmt in diesem Bereich immer mehr zu, da auch durch den derzeit zu beklagenden Glaubensschwund die Bereitschaft größer wird, sich auf Aberglauben und esoterischen Okkultismus einzulassen.
Frage: Wo würden Sie denn die Grenze ziehen?
Vogl: Die Grenze besteht dort, wo eine wissenschaftliche Nachprüfbarkeit besteht oder eben nicht möglich ist. Ich würde für mich selbst nur Praktiken oder Medikamentierungen zulassen, die auch naturwissenschaftlich und medizinisch geklärt sind. Wo ich noch nicht weiß, woher eine bestimmte Wirkung herkommt, würde ich die Finger davonlassen.
Frage: Was ist denn genau daran gefährlich?
Vogl: Das Gefährliche besteht für einen Christen in der esoterischen Mentalität, am Glauben an den schöpferischen und erlösenden Gott vorbeizugehen, indem man verborgene Kräfte in der Natur kontrollieren und manipulieren will, um sich diese im Sinne einer Alternative zu Gott nutzbar zu machen. Während der christliche Glaube auf den Erlöser Jesus Christus vertraut, geht es in der Esoterik um Selbsterlösung durch die Beherrschung okkulter Praktiken, oftmals begleitet von einem elitären Führerkult. Es geht also um den Versuch, verborgene Mächte zwingen und manipulieren zu können. Es geht darum, Gott zu ersetzen und selbst über Natur und Mitmenschen zu herrschen, bis dahin, dass man eben nicht mehr Gott, sondern die verborgenen Mächte und Kräfte verehrt. Die esoterische Mentalität ist auch von großer Ichbezogenheit geprägt, und sagt nicht wie im Vaterunser: „Gott, dein Wille geschehe“, sondern: „Mein Wille geschehe, und zwar sofort und mit der von mir geforderten Wirkung!“ Eine solche Mentalität führt einen Christen von Gott weg. Wenn wir Probleme haben oder krank sind, ist es gerade die Stärke des geoffenbarten Gottesglaubens, innerliche Kraft und Gelassenheit zu gewinnen. Jesus sagt im Evangelium (Mt 16,26): "Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben einbüßt?" Was nützt es also, wenn jemand durch irgendwelche okkulten Kräfte die gewünschte körperliche Wirkung erlangt hat, aber seine Seele verloren hat, indem er sich ganz weit von jedem Glauben und jedem Vertrauen auf Gott entfernt hat? In dieser Grundhaltung liegt die große Gefahr. Im christlichen Sinne sollten alle Bemühungen auf Gottes Hilfe und Gnade ausgerichtet sein. Gefährlich ist in der heutigen Zeit auch die verharmlosende Banalisierung des Okkulten in Medien und neuheidnischen Praktiken, der vor allem unsere Kinder ausgesetzt sind, wenn sie in "Harry Potter" einer scheinbar normalen Welt voller Magie begegnen oder an "Halloween" andere Menschen verwünschen dürfen. Eine ganz neue Gefahr besteht in den Tendenzen zur Schaffung einer biozentrischen Ersatzreligion, die teilweise die Natur im esoterischen Sinn als "Mutter Erde" zu einem emotional-geistigen Wesen hochstilisiert, die wie eine Rachegöttin zurückschlagen kann.
Frage: Esoterik geht auf viele Fragen ein, die die Kirche aus Sicht vieler Menschen vernachlässigt, also etwa Erziehung oder Ernährung. Wie sollte die Kirche darauf reagieren?
Vogl: Im Blick auf die Ernährung sind für Christen schlichtweg die Erkenntnisse der Naturwissenschaft maßgebend, und im Blick auf die Erziehung hat die Kirche von Anfang die in der griechischen Philosophie entwickelte Askese hochgeschätzt, um durch Selbstbeherrschung und Enthaltsamkeit den Weg für Christus zu bereiten. Eine gewisse Vernachlässigung der Auseinandersetzung mit dem Esoterischen kann man in den 1970er Jahren in der Kirche feststellen, bis aber dann massive psychische Störungen bei Menschen beobachtet wurden, die mit esoterisch-okkulten Praktiken in Berührung gekommen waren. Dann hat sich auch die Kirche mehr damit auseinandergesetzt, bis hin zu der 1993 von Gabriele Amorth gegründeten "Internationalen Exorzistenvereinigung". Auch in meinem priesterlichen Seelsorgealltag muss ich feststellen, dass immer mehr Menschen Rat und Hilfe suchen, die sich durch okkulte Praktiken seelische Belastungen zugezogen haben. Sicherlich gibt es eine Grauzone bei der Frage, wo Esoterik bereits vorliegt oder noch nicht. Deshalb gilt nach Paulus (1 Thess 5,21–22) das Grundprinzip: "Prüft alles und behaltet das Gute! Meidet das Böse in jeder Gestalt!" Bei dieser Prüfarbeit sind die Vernunft und die Wissenschaft immer schon die größten Verbündeten der Kirche gewesen. Auf dieser Grundlage kann es aber dann auch sein, dass manche Phänomene, die man lange nicht erklären konnte, mittlerweile naturwissenschaftlich nachgewiesen sind und deshalb auch praktiziert werden können, wie beispielsweise die Akupunktur.
Frage: Es gibt auch die braune Esoterik, in der es vor allem um Verschwörungserzählungen geht. Auch viele Christen glauben daran. Muss die Kirche aktiver dagegen vorgehen?
Vogl: In ihrem Versuch, die Welt zu erklären, können sich Verschwörungserzählungen und Esoterik durchaus miteinander verbinden. Bei Verschwörungstheorien wähnt man sich im Besitz von geheimen Geschichts- und Weltdeutungen. Dann ist es die historisch-kritische Aufklärungsarbeit, die an die Seite der naturwissenschaftlich-medizinischen Aufklärung tritt. In beiden Fällen geht es um die große Gefahr, hinter die Einsichten der Vernunft und des geoffenbarten christlichen Gottes- und Menschenbildes zurückzufallen. Die Kirche muss hier aufklärerisch wirken und sagen: Der geoffenbarte Gottesglaube steht an der Seite des Naturgesetzes und der Vernunft, denn Glauben und Vernunft bilden immer eine Einheit. Deshalb verurteilen sowohl die Kirche als auch die Vernunft einhellig den esoterischen Okkultismus, weil es sich dabei um Kräfte handelt, die sich außerhalb einer rationalen und wissenschaftlichen Kontrolle befinden. Wie sehr die geoffenbarte und mit der Vernunft in Einklang stehende Gottesverehrung immer auch eine aufklärerische Wirkung besitzt, hat treffend bereits der heilige Pfarrer von Ars im frühen 19. Jahrhundert erkannt: "Entfernt man den Priester aus einer Gemeinde, dann werden die Menschen innerhalb von zehn Jahren die Tiere anbeten."
Frage: Müsste die Kirche da nicht erstmal bei sich selbst anfangen? Dinge wie Teufelsaustreibungen kommen doch reichlich okkult daher.
Vogl: Das scheinbar Okkulte im Zusammenhang mit dem christlichen Befreiungsdienst darf man nicht der Kirche anlasten, die immer den Weg der vom Glauben erleuchteten Vernunft geht, sondern es liegt vielmehr im Bösen selbst, das sich raffiniert und verharmlosend verbirgt, um die Menschen in Versuchung zu führen und ins Verderben zu stürzen. Und während sich die Esoterik mit okkulten und womöglich auch dämonischen Mächten verbündet, will der kirchliche Befreiungsdienst das Böse gerade aus seinem okkulten Versteck herausholen, damit es am Licht Christi zugrundegeht und die Menschen von ihren dämonischen Belastungen befreit werden. Wie das Evangelium und die Sakramente, so hat Christus seiner Kirche auch den Dienst anvertraut, Menschen in seinem Namen vom Bösen zu befreien. Im Befreiungsdienst, der im Extremfall einer echten Besessenheit auch den großen Exorzismus erforderlich macht, müsste die Kirche noch mehr die ihr von Christus anvertrauten Kompetenzen annehmen und darf sich hier gerade nicht wegducken, zumal die Zahl dämonisch belasteter Menschen eher zunimmt. Es kann wohl nichts Schlimmeres geben, als wenn derart belastete Menschen gerade von der Kirche, zu der sie ihre letzte Zuflucht nehmen, nicht ernstgenommen werden. Normalerweise ist im kirchlichen Befreiungsdienst immer ein Arzt oder ein Psychologe involviert, um festzustellen, inwieweit auch eine krankhafte Erscheinung vorliegt. Erst auf dieser natürlichen Grundlage kommt dann das bevollmächtigte Beten im geistlichen Sinne ins Spiel, denn die Gnade Gottes baut immer auf der Natur auf, um diese zu vervollkommnen (gratia supponit naturam et perficit eam). Zudem ist der kirchliche Befreiungsdienst nicht von Selbstherrlichkeit geprägt, sondern von demütigem Beten und Bitten. Im Gegensatz zu esoterischen Führern, die sich ihre Dienste oftmals bezahlen lassen, vertrauen die im Befreiungsdienst wirkenden Christen mehr auf Gott als auf sich selbst. Die Wirksamkeit der Erhörung kommt gerade daher, Christus allen Raum zu geben, der schon über das Böse gesiegt hat.