Benediktinerin: Undenkbar, was Ordensfrauen früher hingenommen haben
Uns ist Macht gegeben, damit wir gestalten. Keine Leitung kann ihre Aufgabe ohne Macht erfüllen. Doch wie Macht gebrauchen, ohne sie zu missbrauchen? Was Ordensfrauen früher mehr oder weniger klaglos hingenommen haben, ist heute undenkbar. Menschen werden Ordensleute, weil sie Nachfolge Christi in Gemeinschaft leben möchten. Welche fachliche Qualifikation sie mitbringen, ist erst einmal zweitrangig. Ist die Gemeinschaft Trägerin von Einrichtungen, so können die jungen Ordensleute ihre Kompetenzen im Idealfall hier einbringen. Was aber, wenn das nicht der Fall ist? Werden die jungen Ordensmitglieder entsprechend den in den Institutionen benötigten Aufgaben ausgebildet oder dürfen sie ihre Begabungen auch anderweitig entfalten? Es ist eine hohe Kunst, ein Gleichgewicht zu erreichen, das den vielfältigen Aspekten gerecht wird. Unbedachter Machteinsatz kann sicher nicht weiterhelfen, sondern es muss gemeinsam gesucht werden, was möglich und sinnvoll ist.
Hier hat sich in den letzten Jahren manches gewandelt und hierarchische Strukturen sind mehr einem Miteinander gewichen – erleichtert auch durch Veränderungen im Kirchenbild. Lange Jahrzehnte herrschte ein stark hierarchisches Kirchenbild vor. In einer Ordensgemeinschaft kam das zum Beispiel zum Ausdruck, wenn Leitungspersonen mit "Vater" oder "Mutter" angesprochen werden mussten. Bei aller gerechtfertigten christologischen Deutung bringt dies Gefahren mit sich. Früher wurde diesen "Vätern" und "Müttern" gegenüber ein "kindlicher Gehorsam" eingefordert. Es kann in spiritueller Deutung dieses Verhältnisses ein großes Gefälle in der Erkenntnis des göttlichen Willens unterstellt werden, was wiederum zu einem gefährlichen Machtmissbrauch führen kann. Dazu eine mehr humorvolle Erfahrung aus meinem eigenen Erleben: Wenn mich jemand mit "Mutter Priorin" anredete, dann habe ich oft scherzhaft in der Weise reagiert, dass ich der Schwester mit "Tochter N. N." antwortete. Ich habe nie erlebt, dass jemand die Anrede "Tochter" akzeptiert hat.
Gefahr: Wenn die Leitung vorgibt, Gottes Willen erkannt zu haben
Leiten im kirchlichen Bereich impliziert immer auch eine geistliche Komponente. Das birgt aber eine Gefahr: Geistliches Leitungsamt kann so ausgeübt werden, dass die Leitung vorgibt, Gottes Willen und damit eine nicht hinterfragbare Wahrheit erkannt zu haben. So macht sich Leitung unantastbar, niemand kann ihr widersprechen. So wird die Rede von Gott für die eigene Machtausübung instrumentalisiert. Ich schätze es sehr, dass die Regel des heiligen Benedikts zum Gottsuchen auffordert. Sich bewusst zu sein, dass Gott und die Wahrheit immer größer und weiter sind, als wir es uns ausmalen können, verschafft innere Freiheit in der Entscheidungsfindung.
Schmerzvoll haben wir in der Diskussion um die Priesterweihe der Frau erfahren, wie sehr Suchprozesse blockiert werden und wie sehr sich Leitung selbst gefährdet, wenn wir nicht in großer Offenheit bereit sind, auf den Heiligen Geist zu hören und uns auf neue Bahnen einzulassen. Vieles wird im Lauf der Geschichte unterschiedlich gesehen, und dem sollten und dürfen wir uns auch immer wieder aussetzen. Denk- und Redeverbote zum Schutz einer angeblich erkannten Wahrheit helfen nicht weiter.
Ein Blick in die Kirchengeschichte tut immer wieder gut, denn sie zeigt, welche Vielfalt es schon immer gegeben hat und wie sich Ansichten und Meinungen zu Themen doch verändern dürfen. Geht man davon aus, dass der Heilige Geist aus allen spricht, dann bringt dies unter dem Gesichtspunkt der Macht vielerlei Herausforderungen mit sich. Denn es ist in einer Gemeinschaft nicht gewährleistet, dass die potenzielle Geistbegabung auch faktisch zum Tragen kommt. Voraussetzungen sind eine vertrauensvolle und offene Gesprächskultur, die in der Kirche derzeit mit der synodalen Weise wiederentdeckt und neu geübt wird.
Bei uns Missions-Benediktinerinnen ist im Konvent in Tutzing aus einer Not eine Tugend geworden: Im Konventgespräch, zu dem rund 40 Mitschwestern kommen, verstehen einige Schwestern das Gesagte oft akustisch nicht. So sind wir dazu übergegangen, dass die eine Schwester den Redebeitrag der anderen zunächst wiederholt, bevor sie selbst etwas beiträgt. Die Sprecherin kann überprüfen, ob sie akustisch und inhaltlich verstanden worden ist. Schließlich bleibt jede Aussage erst einmal im Raum stehen und niemand erwidert etwas darauf. Die anfangs eher nur akustisch gedachte Hilfe hat uns geholfen, wirklich besser zuzuhören. Dadurch, dass auf das Gesprochene nicht gleich eine Erwiderung gekommen ist, haben sich auch immer mehr Schwestern eingebracht. Das erscheint mir auch unter Machtgesichtspunkten sehr wichtig. Wenn immer nur dieselben einen Beitrag leisten, erhalten sie ein zu großes Gewicht in der Diskussion.
Aus Konflikten herauszukommen, gelingt nicht durch Machtspiele und Tricks
Heute stehen viele Gemeinschaften vor großen Entscheidungen, wenn sie Institutionen abgeben und oder Konvente schließen müssen. Fachlich fundierte Begründungen treffen auf emotionale Begründungen, es entstehen Konflikte. Das Aufgeben eines Werkes oder Konventes wird die Schwestern ganz verschieden betreffen und berühren. Wer ein Leben lang seine Energie in eine Aufgabe gesteckt hat, wird sich nicht nur mit fachlichen Argumenten davon überzeugen lassen, dass sie künftig aufgegeben wird. Das ganze Leben liegt mit in der Waagschale. Aus diesen Konflikten gemeinsam versöhnlich herauszukommen, gelingt sicher nicht durch Machtspiele und Tricks. Es braucht zum einen Zeit, viele Gespräche und gemeinsames Beten, zum anderen können oft unerwartete Lösungen eine Wende bringen.
Macht hat viel mit Beteiligung und Transparenz zu tun. In Ordensgemeinschaften gibt es klare Strukturen, es gibt Gremien, die beraten und entscheiden. Bei uns wird man in manche dieser Gremien gewählt, in andere berufen, bei einigen können alle Schwestern teilnehmen. Wer nicht gewählt wird, kann seine Anliegen nicht selbst einbringen, sondern allenfalls über eine Mitschwester oder eine schriftliche Eingabe. Viele Mitschwestern fühlen sich durch diese Strukturen verständlicherweise ausgeschlossen, was insofern schmerzhaft ist, weil in den Gremien Themen beraten werden, die die Ausgeschlossenen betreffen.
„Macht hat viel mit dem Menschenbild zu tun. Wie ich den Menschen sehe und einschätze, so werde ich mit ihm umgehen.“
Wir haben versucht, einen Ausgleich dadurch zu schaffen, dass wir Kommissionen zu verschiedenen Bereichen unseres Lebens gebildet haben etwa zu Liturgie, Umweltschutz, Weiterbildung, Mission, prophetische Kirche etc. Auf diese Weise können sich viel mehr Schwestern mit ihren Ideen und Begabungen einbringen, und es arbeiten nicht nur kleine, gewählte Gremien, die zudem früher nur vertraulich tagten. Alles in allem werden so Arbeit und Macht auf verschiedene Schultern verteilt – auch wenn die Leitung die Letztverantwortung hat. Zum anderen haben wir die sogenannten Prioratstreffen neu ins Leben gerufen. Dabei treffen sich die Schwestern aller Gemeinschaften unseres Priorats an einem Wochenende. Da geht es dann zum einen darum, dass alle darüber informiert werden, was sich in den Gemeinschaften ereignet hat. Zum anderen überlegen wir gemeinsam, welche Themen uns für die nächste Zukunft wichtig sind und wie wir sie angehen wollen. Mitunter bildet sich dann auch ein Arbeitskreis, der ein Thema aufgreift und sich um die Umsetzung kümmert. Somit sind alle Schwestern gemeinsam auf dem Weg und können ihn mitgestalten.
Gefahr: Gehorsam versprechen
Hinzu kommt, dass bei uns alle Leitungsämter zeitlich befristet sind. In einige wird man gewählt, für andere nach Befragung der Schwestern ernannt, einige werden berufen. Wer ein Amt beendet hat, tritt wieder zurück ins Glied. Es entstehen dadurch vielfältige Zuordnungsverhältnisse; so kann zum Beispiel eine Schwester die Noviziatsleiterin einer jungen Schwester sein, später aber ist die damals junge Schwester ihre Oberin. Das Wissen, dass man einen Posten wieder abgeben muss und darf, hilft, ihn so auszuführen, dass jede andere sehen kann, wie man ihn ausführt. Kürzere Amtsdauern können neben ausreichenden Kontrollmechanismen hilfreich sein, Machtmissbrauch zu verhindern. Hilfreich sind die Erfahrungen und Einsichten durch Perspektivwechsel immer auch dann, wenn es gilt, Leitungsämter neu zu besetzen. Einer Mitschwester ein Amt anzuvertrauen, dem sie sich nicht gewachsen fühlt, kann und darf nicht durchgesetzt werden unter dem Hinweis, man habe ja Gehorsam gelobt.
Der Heilige Benedikt schreibt es dem Abt und damit uns allen ins Stammbuch, wirklich auf alles zu hören, bevor Entscheidungen getroffen werden. Er hat auch ein eigenes Kapitel über einen Prozess geschrieben, wenn sich jemand von einer Aufgabe überfordert fühlt. Die Schwester soll das klar äußern und in einen Anhörungs- und Entscheidungsprozess eintreten. Im Laufe dieses Prozesses bringen beide Seiten ihre Sichtweise und ihre vielleicht auch sehr persönlichen Gründe ein. So kann man miteinander zu einer reifen Entscheidung kommen, die letztlich vielleicht bedeuten kann, dass man etwas wagt, was man sich zuvor nicht zugetraut hat. Sie kann aber auch bedeuten, dass man Nein sagt und das akzeptiert wird. Macht hat viel mit dem Menschenbild zu tun. Wie ich den Menschen sehe und einschätze, so werde ich mit ihm umgehen. Macht ist uns gegeben, damit wir gestalten. Es ist eine sehr kreative Aufgabe, die uns Gott, der uns nach seinem Abbild geschaffen hat, zutraut, die reizvoll und sehr verantwortungsvoll ist. Dazu gehört, dass wir lernen, unsere Grenzen zu kennen und Fehler einzugestehen.
"Uns ist Macht gegeben, damit wir gestalten" aus dem Buch "Selbstverlust und Gottentfremdung"
Gastbeitrag gekürzt aus: B. Haslbeck / U. Leimgruber / R. Nagel / P. Rath (Hg.): Selbstverlust und Gottentfremdung. Spiritueller Missbrauch an Frauen in der katholischen Kirche © Patmos Verlag, Ostfildern 2023.