Schwester Charis Doepgen über das Sonntagsevangelium

Berufung – wie alles anfängt

Veröffentlicht am 13.01.2024 um 12:15 Uhr – Lesedauer: 
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Kellenried bei Ravensburg ‐ Kommt die Einladung Jesu nicht mehr in den Herzen an? Diese Frage stellt sich Schwester Charis Doepgen mit Blick auf das heutige Sonntagsevangelium. Unter der sichtbaren Oberfläche der Geschichte tut sich eine Tiefendimension auf, die jeder Berufung zu Grunde liegt.

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Eine schnörkellose Story. Was hätte man daraus für eine psychologisch spannende Geschichte machen können! Aber nichts davon – oder doch? Unter der sichtbaren Oberfläche tut sich eine Tiefendimension auf, die jeder Berufung zu Grunde liegt. Was erzählt wird, ist der sichtbare Vorgang. Was nicht erzählt wird, ist die Dramaturgie einer Love-Story – um sie geht es schließlich.

Liebesgeschichten beginnen mit dem Sehen und Hören. Ein Bild prägt sich ein, ein Wort setzt sich fest  du kommst nicht mehr los. Dranbleiben, festhalten, mehr erfahren wollen, treiben dich in der Folge um. Es sind diese drei Schritte, die der Hinweis des Johannes auslöst: Sehen – hören – folgen. Es ist das klassische Modell einer Berufung. Der Gründer der Christlichen Arbeiterjugend, CAJ, der belgische Priester Joseph Cardijn (1882-1967) hat dafür das Motto "Sehen – urteilen – handeln" formuliert für viele Generationen junger Christen, die so ihre Berufung in der Nachfolge Christi gefunden haben.

Aber zurück an den Jordan: Andreas und sein Kollege haben verstanden. Sie bewegen sich, gehen dem Impuls nach. Die Frage Jesu, der gespürt haben mag, was die beiden hinter seinem Rücken bewegt, beantworten sie fast ausweichend mit der Gegenfrage: Wo wohnst du? – Ist das jetzt wichtig? Natürlich sagt die Wohnung etwas über den Bewohner aus, aber nicht der soziale Status ist hier interessant, sondern wo Jesus beheimatet ist. Wo hat er seine Kraftquelle? – Der Tag und die Stunde bei ihm hat sich in ihre Biografie eingeprägt.

Die Einladung Jesu: "Kommt und seht!" bleibt ein gültiges Modell bis heute. Berufung ist eine Beziehungsgeschichte. Ohne zu spüren, ich bin gemeint, da ist jemand in höchstem Maß an mir und meinen Möglichkeiten interessiert, läuft da gar nichts. Von diesem Rufenden muss ich mir ein Bild machen können. Ein Johannes-Typ kann da hilfreich sein. Er hat einen Vorsprung an Erfahrung, hat kein Eigeninteresse, Konkurrenzkampf findet nicht statt…

Andreas ist am Beginn der Sammlung von Jüngern um Jesus ein Glücksfall. Er hat begriffen, hier geht es nicht nur um mich. Hier geht es um eine Botschaft, die Multiplikatoren braucht. Er hat einen Ruf gehört und wird selbst zum Rufenden. So baut sich Kirche auf.

Schauen wir auf die heutige Situation, ist das ernüchternd. Wir haben viele Einrichtungen für Berufungspastoral in den Diözesen, aber kaum noch Berufungen. Kommt die Einladung Jesu nicht mehr in den Herzen an?  

Dass Jesus beim Anblick des Petrus fast ins Schwärmen gerät, mag uns heute wundern. Selbst Felsen bieten nicht mehr die Stabilität für ein sicheres Fundament. "Klimawandel"? – Aber der liebende Blick auf einen Menschen hat die Kraft der Verwandlung in sich.

Evangelium nach Matthäus (Joh 1,35-42)

In jener Zeit stand Johannes am Jordan, wo er taufte,
und zwei seiner Jünger standen bei ihm.

Als Jesus vorüberging,
richtete Johannes seinen Blick auf ihn und sagte: Seht, das Lamm Gottes!

Die beiden Jünger hörten, was er sagte, und folgten Jesus.
Jesus aber wandte sich um, und als er sah, dass sie ihm folgten,
sagte er zu ihnen: Was sucht ihr?

Sie sagten zu ihm: Rabbi – das heißt übersetzt: Meister —,
wo wohnst du?
Er sagte zu ihnen: Kommt und seht!
Da kamen sie mit und sahen, wo er wohnte,
und blieben jenen Tag bei ihm; es war um die zehnte Stunde.

Andreas, der Bruder des Simon Petrus, war einer der beiden, die das Wort des Johannes gehört hatten und Jesus gefolgt waren.
Dieser traf zuerst seinen Bruder Simon und sagte zu ihm: Wir haben den Messias gefunden –
das heißt übersetzt: Christus – der Gesalbte.
Er führte ihn zu Jesus.
Jesus blickte ihn an und sagte: Du bist Simon, der Sohn des Johannes,
du sollst Kephas heißen, das bedeutet: Petrus, Fels.

Die Autorin

Schwester Charis Doepgen OSB ist Benediktinerin in der Abtei St. Erentraud in Kellenried bei Ravensburg.

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