Deutscher Martin Happe war mehr als 20 Jahre Oberhirte von Nouakchott

Bischof in Mauretanien: Europäische Migrationsdebatte unverständlich

Veröffentlicht am 17.02.2024 um 12:00 Uhr – Von Christoph Paul Hartmann – Lesedauer: 

Nouakchott ‐ Die europäischen Debatten über eine Begrenzung der Migration kann er nicht nachvollziehen, sagt der kürzlich emeritierte mauretanische Bischof Martin Happe im katholisch.de-Interview. Zur Fastenzeit spricht er über ein Zusammenleben der Religionen und das Teilen mit dem Nächsten.

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Christen in aller Welt begehen die Fastenzeit, doch die Umstände sind sehr verschieden: So sind katholische Christen in Mauretanien eine verschwindend kleine Minderheit. Von den vier Millionen Einwohnern des Landes sind nur etwas mehr als 4.000 Katholiken, im Land gibt es nur ein einziges Bistum, das seinen Sitz in der Hauptstadt Nouakchott hat. Was bedeutet es da, Christ zu sein und die Fastenzeit zu begehen? Der vergangene Woche emeritierte Bischof von Nouakchott, der gebürtige Deutsche Martin Happe, spricht im Interview über gemeinsames Fasten, interreligiöses Zusammenleben und seinen Blick auf die europäische Migrationsdebatte.

Frage: Herr Happe, 99,5 Prozent der Menschen in Mauretanien sind Muslime, es gibt nur etwas mehr als 4.000 Katholiken. Was bedeutet das für die Kirche im Land?

Happe: Da muss man sich zunächst einmal über die religiösen Verhältnisse hier im Klaren sein: Mauretanien ist seit dem 12. Jahrhundert zu 100 Prozent islamisiert. Das blieb auch während der Kolonialzeit so, denn da es für die Franzosen hier nichts zu holen gab, haben sie sich für die Region nicht interessiert: Es gab lediglich ein paar Militärgarnisonen, um die Leute ruhig zu halten. Doch investiert wurde hier nichts. Deshalb entwickelte sich auch kaum kirchliches Leben hier. Zweimal im Jahr kam ein Militärgeistlicher, um Kinder zu taufen und Hochzeiten zu feiern, sonst gab es nichts. Das änderte sich erst Anfang der 1960er Jahre, als hier Erz gefunden wurde und etwa 3.000 Franzosen mit ihren Familien hierherkamen, das waren damals noch alles praktizierende Katholiken. Das hat dann den Apostolischen Präfekten von Saint-Louis im Norden des Senegal motiviert, ein paar Priester hierher zu schicken. Der erste Priester, der nicht Militärgeistlicher war, feierte hier Weihnachten 1958 die Messe. Die Kirchengeschichte Mauretaniens ist also sehr jung.

Frage: Die Gläubigen waren aber von Anfang an zugewandert. Ist das auch heute noch so?

Happe: Bei unseren Gottesdiensten sind 90 Prozent der Gläubigen aus Schwarzafrika, unter anderem aus dem Senegal. In der Hafenstadt Nouadhibou ist die Gemeinde auch durch viele Nigerianer geprägt, die dorthin kommen, um in der Fischerei zu arbeiten. Es gibt hier zwar auch Europäer und Amerikaner, da ist die Kirchenbindung aber oft nicht mehr da, deshalb kommen sie auch hier nicht zum Gottesdienst oder schicken ihre Kinder zum Religionsunterricht.

Frage: Was bedeuten diese Umstände für die nun beginnende Fastenzeit?

Happe: Wir beginnen seit einigen Jahren mit Einkehrtagen für die Priester. Denn man kann nicht geben, was man selbst nicht hat. Durch die Fastenzeit beten wir mit den Gläubigen dann jede Woche den Kreuzweg, da kommen dann sogar mehr Besucher als die 300 bis 500 Gläubigen in der Sonntagsmesse. Nach dem Kreuzweg gibt es dann eine kleine theologische Einführung zu einem bestimmten religiösen Thema. Denn Glaubenswissen zu haben, ist in Mauretanien relevant. Die Muslime hier sind es nicht nur auf dem Papier, sondern sie sind wirklich bekennende Muslime, nicht fanatisch, aber tiefgläubig. Wenn die Christen sich dann etwa am Arbeitsplatz mit Kollegen über Religionsthemen unterhalten und zu wenig Ahnung haben, stehen sie schnell dumm da. Deshalb möchten sie da mehr wissen.

Frage: Wie ist denn das Verhältnis zur Mehrheitsgesellschaft?

Happe: Man ist hier muslimisch, wie man in meiner münsterländischen Heimat früher katholisch war. Es ist eine Selbstverständlichkeit. Aber für die Leute hier ist es überhaupt kein Problem, wenn Andersgläubige von anderswo herkommen und ihren Glauben praktizieren. Probleme und Unverständnis herrschen eher, wenn jemand mit Religion nichts am Hut hat.

Bild: ©picture alliance/AA/Annika Hammerschlag

Viele Menschen kommen nach Mauretanien, um dort etwa in der Fischereiwirtschaft zu arbeiten.

Frage: Es gibt also ein gemeinsames Glaubensempfinden? In diesem Jahr überschneiden sich mal wieder der Ramadan und die christliche Fastenzeit.

Happe: Am Arbeitsplatz und in der Schule befragen sich die Leute gegenseitig und da kann es schon zu Missverständnissen kommen. Es kam schon vor, dass Gemeindemitglieder zu mir kamen und auf einmal das muslimische Fastenverständnis hatten. Da musste ich dann Aufklärungsarbeit leisten und sagen, warum wir wie fasten und welchen Hintergrund das hat. Das sind aber Kleinigkeiten, im Großen und Ganzen ist das Zusammenleben sehr harmonisch. Ich bin jetzt 28 Jahre hier und laufe immer mit gut sichtbarem Brustkreuz durch die Stadt, liturgisch wie in zivil. In 28 Jahren hat einmal ein Schulmädchen vor mit auf den Boden gespuckt – sonst ist es nie zu Zwischenfällen gekommen. Religiöse Menschen werden hier respektiert, ganz egal, von welcher Religion die sind.

Frage: Gibt es in der Fastenzeit denn auch gegenseitige Besuche? Gehen Sie zum Beispiel in eine Moschee?

Happe: Das nicht, aber ich werde manchmal zum Fastenbrechen eingeladen. Das ist aber alles nicht institutionalisiert, sondern informell und hat viel mit persönlicher Wertschätzung zu tun. Durch meine lange Tätigkeit hier habe ich ja auch Vertrauensverhältnisse aufgebaut. Sie müssen sich das so vorstellen: In der mauretanischen Hauptstadt Nouakchott gibt es bei 1,2 Millionen Einwohnern eine einzige Kirche, nur 4.000 Katholiken landesweit – das sind weniger, als es Buddhisten in Deutschland gibt. Wir sind hier nicht der Hauptgesprächspartner für irgendetwas oder irgendwen.

Frage: Hat sich die Stellung der Kirche in Ihren zurückliegenden 28 Jahren verändert?

Happe: Als ich hierherkam, war die Kirche noch sehr französisch und kolonial geprägt. Heute haben wir ungefähr 50 Nationalitäten, die Gemeinden sind sehr international. Das merkt man natürlich auch in den Beziehungen zum Staat. Meine Beziehungen mit der Regierung sind ausgezeichnet. Vor etlichen Jahren haben wir es geschafft, dass es nun diplomatische Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Islamischen Republik Mauretanien gibt. Der Nuntius sitzt in Dakar und ist für vier Länder zuständig. Momentan wird an einer Art Konkordat gearbeitet, damit etwa unsere Liegenschaften und unser Personal rechtlich abgesichert sind. Das läuft aber schon seit mehreren Jahren, das ist ein komplexer Prozess.

Frage: Wenn die Gemeinden so verstreut sind, fällt es schwer, ein gemeinsames Glaubensleben zu gestalten?

Happe: Da muss man Kompromisse machen. Da wir hier in einer ehemaligen französischen Kolonie sind, haben wir uns auf Französisch als Gottesdienstsprache geeinigt. Allerdings müssen viele Mitarbeiter auch immer erst Französisch lernen, wenn sie ihre Stelle antreten. Denn viele kommen aus englischsprachigen Gebieten. Der liturgische Grundstock ist also auf Französisch, dazu kommen aber auch noch weitere Sprachen. Es gibt immer wieder Lesungen etwa auf Englisch oder Wolof, einer von vielen senegalesischen Gläubigen gesprochen Sprache. Dazu kommen Lieder in Sprachen aus aller Herren Länder. Wir haben hier vier Kirchenchöre und die singen Lieder in ganz vielen unterschiedlichen Sprachen.

Bild: ©Bistum Nouakchott

Die katholischen Gläubigen in Mauretanien sind unterschiedlicher Herkunft.

Frage: Was sind denn die Herausforderungen der Kirche in Mauretanien?

Happe: Die sind finanzieller Art. Es gibt 50 Mitarbeitende, die Essen, eine Wohnung, Fortbewegungsmittel und eine Versicherung brauchen. Wenn sie aus Asien kommen, wollen sie auch einmal im Jahr ihre Familie besuchen. Das muss alles finanziert werden – und hier im Land haben wir kaum Einkommen. Dazu kommt eine große Fluktuation: Die Gemeinde in Nouakchott erneuert sich jedes Jahr um 25 bis 30 Prozent, jene in Nouadhibou um 50 bis 60 Prozent. Die Menschen kommen, arbeiten ein paar Jahre hier und gehen wieder. Dazu arbeiten sie oft in schlecht bezahlten Branchen, die meisten sind wirklich arme Schlucker. Auch, wenn ich unsere Gläubigen in Sachen Spenden als sehr großzügig erlebe, wird es mit dem Geld oft eng.

Frage: Das Thema Migration spielt auch in Europa und in Deutschland eine Rolle – hier geht es oft um eine Begrenzung der Zuwanderung, wenn nicht noch mehr. Wie sehen Sie auf diese Diskussionen?

Happe: Ich habe da kein Verständnis für. Wieso diese große Angst, dass man irgendeinen Kuchen teilen müsste? Hier in Mauretanien ist es so: Dadurch, dass viele Nachbarländer politisch instabil sind oder Gewalt herrscht, kommen viele Menschen von dort hierher, das Land ist zu einem Zufluchtsort geworden. Es sind 200.000 Malier hier, in Nouadhibou gibt es statistisch gesehen mehr Ausländer als Einheimische. Trotzdem habe ich hier noch nie von jemandem, sei es im öffentlichen Diskurs oder in privaten Gesprächen, gehört: Jetzt langt's aber! Das gibt es hier nicht.

Frage: Woran liegt das?

Happe: Bis in die 1960er Jahre hinein waren die meisten Mauretanier Nomaden. Erst in den 1970er Jahren wuchsen nach einigen Dürreperioden die Städte und viele Menschen wurden sesshaft. Aber im Kopf sind viele noch Nomaden: Man wird nie eingeladen, aber wenn etwa ein Reisender bei einer Familie vorbeikommt, wird alles stehen und liegen gelassen und das Essen miteinander geteilt. Das ist die Mentalität hier.

Bild: ©picture alliance/AA/Cheyakhey Ali

In Mauretanien sind mehr als 99 Prozent der Menschen muslimischen Glaubens.

Frage: Nach fast 30 Jahren im Amt sind Sie nun emeritiert. Macht Sie das wehmütig?

Happe: Aber nein, ich bin dann doch nicht aus der Welt! Ich möchte nur den Bischofsstab abgeben, ansonsten fühle ich mich hier pudelwohl. Ich habe hier einen größeren Bekanntenkreis und gehöre mehr zur Gesellschaft dazu als in Deutschland. Was soll ich in Deutschland in einem Altenheim?

Frage: Bislang kommen ja schon Priester aus afrikanischen Ländern nach Europa. Könnte es passieren, dass es dann bald auch mal einen afrikanischstämmigen Bischof etwa in Deutschland gibt?

Happe: Eher mittelfristig. Denn während diese entsandten Priester etwa in Frankreich auch Pfarreien leiten, sind sie in Deutschland oft noch eher Hilfskräfte. Wenn sich das noch ändert und sich ein solcher Priester als Pfarrer bewährt – warum sollte er dann nicht auch Bischof werden?

Von Christoph Paul Hartmann