Klinikseelsorgerin Sonya Schmid-Richardson über Diagnosen, Krankheiten und Tod

Klinikseelsorgerin: Glaube nicht an einen strafenden Gott

Veröffentlicht am 18.02.2024 um 12:00 Uhr – Von Madeleine Spendier – Lesedauer: 

Göppingen  ‐ Sie kümmert sich um Menschen, die eine schlimme Diagnose erhalten oder schwer erkrankt sind, begleitet Sterbende und spricht mit Angehörigen. Klinikseelsorgerin Sonya Schmid-Richardson berichtet im Interview mit katholisch.de, was ihr dabei hilft, das Schwere bei ihrer Arbeit auszuhalten.

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Neben ihrem Dienst an den Alb-Fils-Kliniken in Göppingen und in der Brustkrebsklinik in Bad Überkingen  begleitet Sonya Schmid-Richardson auch Sterbende im Hospiz in Göppingen. Die 48-jährige Seelsorgerin fühlt sich genau am richtigen Ort mit ihrer Arbeit. Auch wenn manche Situationen belastend sind. 

Frage: Frau Schmid-Richardson, wie sehr belastet Sie das, was Sie in den Gesprächen mit Patienten hören?

Schmid-Richardson: Es berührt mich intensiv, wenn mir Menschen erzählen, wie es ihnen nach einer Diagnose ergeht oder vor einer Operation. Oder wenn sie mir vom Tod eines Angehörigen erzählen. Manchmal leide ich mit. Wenn mich das Leid der anderen nicht berühren würde, dann hätte ich nicht den richtigen Beruf gewählt. Meine Arbeit in der Gemeinde hat mich lange Zeit erfüllt, doch hier in der Klinikseelsorge erfüllt es mich noch mehr als Seelsorgerin zu arbeiten. Ich spüre, dass die Menschen in all dem Klinikgetriebe jemanden brauchen, der Zeit hat und ihnen zuhört. Ich empfinde es als ein riesiges Geschenk, welch großes Vertrauen mir entgegengebracht wird. Manche wollen sich bei mir oft nur einmal auskotzen. Manche Menschen haben schweres seelisches Leid im Gepäck. Ihnen hilft es, wenn ich das mit aushalte.

Frage: Haben Sie ein Ritual, das Ihnen bei den Gesprächen mit Patienten hilft?

Schmid-Richardson: Ja. Nach einem Gespräch frage ich gerne nach, ob ich für den Patienten noch beten soll oder ob wir noch gemeinsam beten. Die meisten möchten das. Ich bin Christin, für mich gehört das Gebet zu einem Seelsorgegespräch dazu. Dort bringen wir dann alles, worüber wir miteinander gesprochen haben vor Gott. Ich habe das Gefühl, dass es den Patienten guttut, das Gespräch so abzuschließen. Wer mag, kann gesegnet werden oder besucht vielleicht einen der Klinikgottesdienste. Das sind alles Einladungen, offene Angebote.

Frage: Erleben Sie auch Widerstände, wenn es um das gemeinsame Gebet in der Klinik geht?

Richardson: Selten. Ich biete es nur an, wenn ich das Gefühl habe, es passt. Bei einer Patientin war ich einmal unsicher. Im Gespräch hat sie mir erzählt, dass sie Atheistin ist und nicht an Gott glaubt. Als wir uns voneinander verabschieden wollten, blieb sie noch eine Weile in meinem Büro. Ich fragte sie, ob ich noch etwas für sie tun könnte. Dann bat sie mich, dass ich für sie bete. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Ich bitte Gott dann immer, mich in solchen Momenten zu unterstützen und mir die richtigen Worte in den Mund zu legen. Es ist ein Geschenk, wenn es gelingt und ich andere trösten kann. Manche bedanken sich bei mir und sagen mir, dass noch nie jemand für sie gebetet hätte. Ich denke mir, dass ich manchmal etwas mutiger sein könnte, die Schätze meines Glaubens anzubieten. In solchen Momenten erfüllt mich mein Dienst in der Klinik sehr. Auch, weil wir darum bemüht sind, den Menschen ein anderes Bild von Gott weiterzugeben.

Frage: Was meinen Sie mit dem anderen Bild von Gott?

Richardson: Manche Patienten fragen sich: "Warum straft mich Gott mit dieser Krankheit? Was habe ich falsch gemacht?" An so einen strafenden Gott glaube ich nicht. Menschen sind nicht daran schuld, wenn sie erkranken oder sie ein Unglück trifft. Mir geht es darum, gemeinsam einen hoffnungsvollen Blick nach vorne zu richten. Dazu gehört für mich, sich Fragen zu stellen, wie: Welchen Sinn kann diese Erkrankung für mein Leben haben? Was kann ich nun in der Zukunft vielleicht anders machen oder verändern? Wie kann ich die Erkrankung akzeptieren und damit weiterleben? Die Auseinandersetzung mit der Krankheit, mit dem Sterben gehört zum Leben dazu. Und ich muss es auf der anderen Seite aushalten, wenn jemand das nicht möchte und kein Gespräch mit einem Seelsorger zu diesen Themen wünscht. Durch meine Arbeit in der Klinik bin ich selbst viel verletzlicher geworden. Erst vor wenigen Jahren ist mein Vater verstorben. Sein Tod hat mich mitgenommen, auch wenn mir manches dabei aus dem eigenen Beruf eine Hilfe war.

Bild: ©Klinikseelsorge Göppingen

Sonya Schmid-Richardson ist Klinikseelsorgern in Göppingen. Die ausgebildete Pastoralreferentin arbeitet auch in einem Hospiz und in einer Klinik für Brustkrebspatienten.

Frage: Inwiefern konnten Sie damit besser umgehen?

Richardson: Nach dem Tod meines Vaters haben meine Mutter und ich das Hausgebet für Verstorbene aus dem Gotteslob miteinander gebetet. Mir gab das Gebet Halt, genauso wie das Rosenkranzgebet danach. Wir haben meinen Papa noch einen Tag und eine weitere Nacht zu Hause im Kreis der Familie behalten, also recht lange, bevor er vom Bestatter abgeholt wurde. Die Zeit mit dem Verstorbenen war wie ein Geschenk für uns in der Familie. Jeder, der mochte, konnte sich in aller Ruhe von ihm verabschieden, Zwiegespräch mit ihm halten, ihn noch einmal festhalten oder umarmen. Für mich war es stimmig, es war ein langsames Loslassen. Auch wenn ich weiß, dass sich viele Menschen nicht so intensiv von anderen verabschieden können, manche vielleicht nicht wollen. Ich denke da an die Corona-Zeit, in der sich einige gar nicht mehr voneinander verabschieden konnten und allein gelassen fühlten. Manche Sterbenden möchten so ein intensives Verabschieden vielleicht auch nicht mehr.

Frage: Was ist in einem solchen Moment hilfreich, um trotzdem gut Abschied nehmen zu können, auch wenn man sich nicht mehr sehen kann?

Richardson: Ich finde es hilfreich, eine Art Zwiegespräch mit dem Menschen zu führen, den man verloren hat. Vielleicht schreibt man ihm einen Brief, zündet eine Kerze an, schaut sich ein gemeinsames Bild an oder geht an einen besonderen Ort, vielleicht in eine Kirche. Dort kann man versuchen auszusprechen, was einem am Herzen liegt. Ich kann aber auch verstehen, wenn jemand das nicht mehr möchte. Oder sogar im Angesicht eines Verstorbenen nichts sagen will, sondern schweigt und still ist. Das darf genauso sein.

Frage: Wenn Sie einen Sterbenden begleiten, würden Sie dann gerne die Krankensalbung spenden? Bislang geht das nicht für Laien.

Richardson: Ja, das ist richtig. Ich höre das auch oft von anderen Klinikseelsorgern, die das bedauern. Letztlich ist das Sakrament der Krankensalbung an das Sakrament der Beichte, also der Lossprechung gebunden, für das es einen Priester braucht. Wenn die beiden Sakramente voneinander entkoppelt werden könnten, würde ich die Salbung mit dem Chrisamöl gerne spenden. Aber es geht nicht und es kränkt mich auch nicht. Ich denke mir, wenn sich jemand auf seinem letzten Weg einen Priester wünscht, der ihm das Sakrament spendet, dann ist das doch in Ordnung, wenn er so glücklich sterben kann. Mein Anliegen ist es, den Patienten so viel Kraft wie möglich zu spenden und sie zu stärken. Der Patient selbst entscheidet, was er möchte. Sofern das noch möglich ist. Und wir haben in unseren Kliniken im Sterbesegen eine wunderbare Alternative. Es ist eine sehr schöne Feier, die ich mit Angehörigen und dem Sterbenden feiern darf. Die Menschen sind sehr berührt davon und nehmen diese Feier sehr gerne an. Ich nutze gerne den Sterbesegen, der wunderschön ist und auch aus der Klinikseelsorge heraus entstanden ist.

Frage: Die Klinikseelsorge gibt es schon seit 60 Jahren. Was hat sich aus Ihrer Sicht im Rückblick verbessert?

Richardson: Es war von Anfang an gut, dass es Klinikseelsorger gab und gibt. Bis heute. Mit den Jahren hat sich dabei das Berufsbild verändert. Anfangs waren es vor allem Priester und Ordensleute, die in der Klinik seelsorglich ansprechbar waren. Heute sind es auch Diakone, Pastoral- und Gemeindereferenten, Frauen wie Männer, die als Seelsorger dort arbeiten. Die heutige AG (Arbeitsgemeinschaft) der Klinikseesorgenden ist für mich ein wichtiger Ort des Austausches, der Ermutigung und der Bestärkung für meinen Dienst geworden. Selten habe ich eine so wohlwollende Gruppe wie dort erlebt. Doch der Nachwuchs fehlt auch hier. Die ökumenische Zusammenarbeit in den Kliniken ist sehr wichtig. Wir sind ja nicht nur für die Patienten da, sondern für alle Menschen, die in der Klinik tätig sind, genauso wie für die Angehörigen der Patienten. Ich spüre jeden Tag, wie nötig wir gebraucht werden. Trotz vieler belastenden Situationen in der Klinik erlebe ich immer wieder viele mutmachende Momente. Es ist das wertvollste Geschenk für mich, für andere mit Ruhe da zu sein und Zeit zu haben. Am Ende des Tages bin ich meist erschöpft und erfüllt gleichzeitig. Mein Glaube hat sich durch die Arbeit in der Klinik vertieft und geweitet. Mein Herz, meine Liebe für meine Mitmenschen ist größer geworden. Es ist so eine tiefe Gewissheit für mich, dass Gott in allen Lebenslagen mit jedem Menschen mitgeht.

Von Madeleine Spendier