Schwester Maria Christiane Hansen leitet die Zisterzienserinnenabtei Seligenthal

Äbtissin zur Machtfrage im Amt: Mehr helfen als herrschen

Veröffentlicht am 09.02.2024 um 00:01 Uhr – Von Madeleine Spendier – Lesedauer: 

Seligenthal ‐ Sie ist Äbtissin der Zisterzienserinnen von Seligenthal und damit Chefin von rund 35 Ordensfrauen: Im Interview mit katholisch.de blickt Schwester Maria Christiane Hansen auf ihr Leben zurück und die Entscheidung, ein Leben in einer Gemeinschaft zu führen.

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Schon mit 20 Jahren trat die gebürtige Dänin Maria Christiane Hansen in ein Kloster in Dänemark ein, das inzwischen aufgelöst ist. Später wechselte die Ordensfrau nach Deutschland und ist heute Äbtissin der Zisterzienserinnen von Seligenthal. Im Interview mit katholisch.de erklärt Schwester Maria Christiane Hansen, was es für sie bedeutet, eine Gemeinschaft zu leiten und warum es Klöster in der Gesellschaft braucht. 

Frage: Schwester Christiane, Sie sind mit 20 Jahren in ein Kloster in Dänemark eingetreten. Im Rückblick betrachtet war das sehr früh, oder?

Schwester Christiane: Ich war 20 Jahre alt und völlig unbekümmert. Mir war klar, ich muss es probieren. Ich bin nach der Schule eingetreten und habe nur gedacht: "Wenn es mir nicht gefällt, dann gehe ich eben wieder." Im Rückblick bin ich dankbar, dass ich es so gemacht habe, denn die ersten Jahre waren besonders bereichernd und prägend.

Frage: Können Sie sich noch an die Reaktion Ihrer Eltern damals erinnern, als Sie ins Kloster gingen?

Schwester Christiane: Ich glaube, es gibt kaum ein Ordensmitglied, das sich daran nicht würde erinnern können. Sogar Franz von Assisi soll vor seinem Tod auf die Frage, was das Schlimmste in seinem Leben gewesen sei, geantwortet haben: "Das mit dem Vater". Er meinte damit die Auseinandersetzung mit dem Vater, als er sich für ein so radikal anderes Leben entschied. Die Eltern bemühen sich, ihren Kindern eine Bahn zu einem soliden bürgerlichen Leben zu ebnen und empfinden es so, als würde das Kind diese Bemühungen verschmähen. Und die Großmutter meiner Mitnovizin hat sogar jeden Sonntag im Gottesdienst allgemein um Ordensnachwuchs gebetet, aber als ihre eigene Enkelin eingetreten ist, war sie entrüstet. Wenn die Familie dann später sieht, dass man im Kloster zufrieden ist, können sie sich meistens wieder beruhigen. Auch meine Eltern haben zunächst sehr unter meiner Entscheidung gelitten.  

Frage: Aber ist ein Leben im Kloster nicht oft auch zu strengen Regeln unterworfen?

Schwester Christiane: Ganz ohne Regeln kommt man im Kloster genauso wenig wie in der Gesellschaft aus. Aber der heilige Benedikt betont in seiner Ordensregel immer das Maß und sieht ein ausgewogenes Leben vor. Sonst ist es auf Dauer auch gar nicht zu verwirklichen. Beispielsweise schreibt er über die Mahlzeiten in der Gemeinschaft, dass es immer eine zweite gekochte Speise für diejenigen geben soll, die von der ersten, "eigentlichen" Speise nicht essen können – zugleich betont er ausdrücklich, dass Übersättigung zu vermeiden ist. Und man könnte viele weitere Beispiele anführen, die zeigen, dass nach unserer Ordensregel die Menschen mit ihrer je eigenen Geschichte und spirituellen Entwicklung und nicht das Einhalten irgendwelcher Regeln im Mittelpunkt stehen.

Frage: Worin sehen Sie die größte Herausforderung im klösterlichen Leben?

Schwester Christiane: Die gängigen Klischees vom kargen Leben voller Verzicht also etwa viel fasten, früh aufstehen und so weiter, spiegeln nicht die heutige Realität wider. Es sind nicht körperliche Entbehrungen, die das klösterliche Leben schwierig machen und waren es vielleicht auch nie. Wie in jeder Form von Gemeinschaftsleben, ist es das zwischenmenschliche Miteinander, das sowohl Herausforderung als auch Bereicherung ist. Der alte Mönchsvater Benedikt ermahnt seine Mitbrüder nicht von ungefähr, die körperlichen und seelischen Schwächen der anderen geduldigst zu ertragen. Die alte Weisheit der Mönche führt uns noch einen Schritt weiter, wenn sie sagt, dass wir Gott besonders für die schwierigen Mitbrüder und Mitschwestern danken sollen, weil eben diese uns dabei helfen zu erkennen, wo unsere Schwächen sind und woran wir arbeiten sollen.

Bild: ©Abtei Seligenthal

Schwester Maria Christiane Hansen (Mitte) bei ihrer Äbtissinnenweihe im August 2023 im Kloster Seligenthal neben dem Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer und dem Generalabt der Zisterzienser, Mauro-Giuseppe Lepori.

Frage: Was ist Ihrer Meinung nach die Voraussetzung für das Amt einer Äbtissin?

Schwester Christiane: Laut Kirchenrecht soll sie ein bestimmtes Alter und eine bestimmte Anzahl an Professjahren vorzeigen können, aber das ist das Wenigste. Die Regel des heiligen Benedikt verlangt mehr. Sie betont besonders, dass der Abt nur etwas lehren oder bestimmen darf, was der Weisung des Herrn entspricht und dass er eines Tages für jeden ihm anvertrauten Bruder und für sich selbst Rechenschaft ablegen muss und nachweisen muss, dass er mit seiner Aufgabe verantwortungsbewusst umgegangen ist. Wenn ich dazu etwas aus der Ordensregel zitieren soll, würde ich sagen: "Er soll mehr helfen als herrschen". Ein weiteres Zitat finde ich sehr tröstlich: "Er denke daran, dass man das geknickte Rohr nicht zerbrechen darf." Macht zu haben bedeutet für mich auch, auf die Mitschwestern zu achten, sie verantwortet zu leiten. 

Frage: Als Äbtissin tragen Sie Brustkreuz, Ring und Stab – haben Sie diese Insignien für sich neu anfertigen lassen?

Schwester Christiane: Nach der Wahl zur Äbtissin zeigte mir meine Vorgängerin eine Schublade mit Insignien "unserer Vorfahren" und ich suchte mir ein Pektorale aus, das mir am besten "tragbar" zu sein schien. Ich steckte einen Ring an meinen Finger, den ich nachher fast nicht mehr herunter bekommen habe, weswegen ich zum lokalen Juwelier gegangen bin und einen Ring in meiner Größe bestellt habe. Im Haus gibt es schon einen alten barocken Äbtissinnenstab aus dem 17. Jahrhundert, der heute noch zu feierlichen Anlässen getragen wird. Den habe ich übernommen.

Frage: Heute wird in der Kirche viel über Machtmissbrauch diskutiert. Auch Sie als Äbtissin haben Macht – und können diese missbrauchen. Beunruhigt Sie das?

Schwester Christiane: Ja, sicher. Ich bin im Laufe der Jahre in meinem Urteil sehr vorsichtig geworden, denn ein Vorgesetzter kann nicht alles schaffen. Wenn er am Schreibtisch sitzt, fällt immer etwas hinten runter. Seine Aufgabe besteht von daher gesehen darin, dafür zu sorgen, dass nichts hinten herunterfällt, was auf keinen Fall herunterfallen darf. Dies immer treffend beurteilen zu können, ist schier unmöglich und ich habe keine berechtigte Hoffnung, dass ich das schaffe. So kann ich mich nur demütig darum bemühen, dass ich es mit Gottes Hilfe so gut wie möglich mache.

Frage: Worin sehen Sie die wichtigste Aufgabe der Klöster heute?

Schwester Christiane: Wahrscheinlich lautet die zu jeder Zeit gültige Antwort: Dass sie da sind. Es muss einen Rahmen geben, in dem man ein anderes Leben führen kann. Einen Rahmen, in dem es möglich ist, "für Gott leer zu sein", so wie es die alten Mönchsväter sagten. Es muss etwas geben, was über das bürgerliche Leben hinausragt – gleichsam ein Alternativangebot zum Mainstream. Zu der Rolle der Klöster innerkirchlich heute hat Papst Franziskus treffend gesagt: Wo Ordensleute sind, da ist Freude. Heutzutage hat man fast den Eindruck, dass man nicht zugleich katholisch und frohen Sinnes sein kann. Das ist betrüblich und es wäre erfreulich, wenn die alte monastische Tradition uns daran erinnern könnte, dass das Christenleben an sich ein Leben voller Hoffnung und Dankbarkeit ist.

Frage: Auf wie viele Jahre sind Sie als Äbtissin gewählt worden?

Schwester Christiane: Laut unseren Konstitutionen bin ich "usque ad mortem" gewählt worden, was bis zum Erreichen des 75. Lebensjahres bedeutet. Die Konstitutionen sehen allerdings auch vor, dass man den Rücktritt früher einreichen kann.

Von Madeleine Spendier

Zur Person

Schwester Maria Christiane Hansen wurde in Kopenhagen geboren und trat 1985 in das inzwischen aufgelöste Zisterzienserinnenkloster Sostrup in Dänemark ein. Später wechselte die 58-jährige Ordensfrau zu den Zisterzienserinnen der Abtei Seligenthal bei Landshut und unterrichtete dort am Gymnasium Latein, Katholische Religion und Spanisch. Später wurde sie Novizenmeisterin und Schulleiterin, danach Priorin im Zisterzienserinnenpriorat Helfta in Eisleben. Seit August 2023 ist Schwester Maria Christiane Hansen die 44. Äbtissin von Seligenthal.