EKD-Missbrauchsstudie zeige, dass evangelische Kirche nicht "besser" sei

Wort-zum-Sonntag-Sprecherin und Pastorin: Kirche kein "safe space"

Veröffentlicht am 01.02.2024 um 14:01 Uhr – Lesedauer: 

Wien ‐ Die ForuM-Studie hat gezeigt, dass es in der evangelischen Kirche wesentlich mehr Fälle sexueller Gewalt gab als angenommen. Pastorin Annette Behnken zieht daraus Schlüsse und sagt: Die Kirche ist kein "safe space".

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Nach Ansicht der evangelischen Pastorin und Wort-zum-Sonntag-Sprecherin Annette Behnken hat die Kirche ihren Auftrag verfehlt, ein "safe space" zu sein. Es sei kirchlicher Selbstanspruch und sich aus dem Evangelium ergebende Aufgabe, dass die Kirche ein Schutzraum und Zufluchtsort für alle Menschen zu sein habe, schreibt Behnken in einem Beitrag auf dem Portal "feinschwarz" (Donnerstag) über die ForuM-Studie zu Missbrauch in der evangelischen Kirche. "Die evangelische Kirche hat diesen Auftrag verfehlt, mit jedem Menschen, der in kirchlichem Kontext Missbrauch und sexualisierte Gewalt erleiden musste", so die Theologin. "Ausgerechnet das evangelische Pfarrhaus, kulturgeschichtlich als Bildungs- und Kulturort geprägt und überhöht, ist ein Risikoort." Gefährdet seien dort die Angehörigen der Pfarrfamilien, Kinder, Pflegekinder und Gäste. "Die Vermischung von Beruflichem und Privatem bleibt ein Risikofaktor, ebenso wie die Rolle des Pfarrers als Vertrauens- und Respektsperson, dem eine hohe theologische und grundsätzliche Deutungskompetenz zugeschrieben wird." Diese Gemengelage erleichtere das Anbahnen sexualisierter Gewalt.

Missbrauch im kirchlichen Raum werde durch die Aura der Vertrauenswürdigkeit und moralischen Reinheit, die in den Kirchen herrsche, zu einem gesellschaftlichen Skandal, so Behnken weiter. Sie kritisiert, dass evangelische Kirchenvertreter herausstellen wollten, die Kirche sei keine "Täterorganisation". "Mindestens die Betroffenen nehmen sehr deutlich wahr und sind aufgrund ihrer Erfahrungen sensibilisiert dafür, wer in welcher Haltung auf sie zugeht." Der Missbrauch koste die evangelische Kirche viel Vertrauen und Kirchenmitglieder, schreibt die Pastorin. "Und es wird eine Menge Geld kosten. Die Anerkennungsleistungen nehmen niemandem den Schmerz, aber sie erkennen das Leid an – das muss mehr als ein symbolischer Betrag sein und das kann und darf nicht billig sein." Wer moralisch kurz vorm Bankrott stehe, könne sich nicht dadurch retten, den finanziellen Bankrott zu verhindern.

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Das elitäre Selbstbild der evangelischen Kirche als "bessere Kirche" halte der Kollision mit der Realität des Missbrauchs nicht stand, so die Sprecherin des "Wortes zum Sonntag". "Vielleicht aber hat Kirche angesichts des eigenen Scheiterns eine Chance, mehr die zu werden, die sie ihrem Auftrag gemäß sein soll." Aus dem Scheitern am Ideal könne Erkenntnis wachsen: "Vielleicht fängt die evangelische Kirche gerade an, die Trümmer ihres Scheiterns zu sortieren und neu zusammenzusetzen." Dadurch könne sie nicht die bessere Kirche werden, aber eine bessere "als die, die sie war", hofft Behnken. Dazu müsse sie nun nüchtern die Wirklichkeit des Missbrauchs anerkennen und das Notwendige dagegen tun. Behnken ist Pastorin und Studienleiterin an der Evangelischen Akademie Loccum. Seit 2012 gehört sie zum Sprecherteam vom "Wort zum Sonntag" in der ARD.

Die vor einer Woche veröffentlichte ForuM-Studie zu Missbrauch in der evangelischen Kirche in Deutschland hatte gezeigt, dass es wesentlich mehr Missbrauchsopfer als erwartet gegeben habe. Laut der Untersuchung wurden seit 1946 nach Hochrechnungen mindestens 9.355 Kinder und Jugendliche in der evangelischen Kirche und Diakonie sexuell missbraucht. Zudem gibt es 3.497 Beschuldigte, davon gut ein Drittel Pfarrer oder Vikare. (rom)