Nur ein Fenster zur Kirche und eines zur Stadt

Wie die heilige Wiborada: Fünf Freiwillige lassen sich einschließen

Veröffentlicht am 11.02.2024 um 18:12 Uhr – Lesedauer: 

Sankt Gallen ‐ Zur Fastenzeit wollen sich viele Menschen in Askese üben. In Sankt Gallen lassen sich fünf Personen freiwillig einschließen – wenngleich erst nach Ostern. Ihr heiliges Vorbild ist in der weltberühmten Stiftsbibliothek verewigt.

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Das sogenannte Wiborada-Experiment im schweizerischen Sankt Gallen geht in die vierte Runde: Im Frühling wollen sich fünf Freiwillige für je eine Woche in einer Holzzelle bei der Kirche Sankt Mangen einschließen lassen, wie die katholische Cityseelsorge Sankt Gallen bekanntgab. Vorbild ist die Stadtheilige Wiborada aus dem 10. Jahrhundert, die zehn Jahre als Inklusin oder Rekluse eingemauert lebte, aber dennoch eine bedeutende Ratgeberin für Klerus, Adel und Volk war.

Genau wie sie wollen sich die drei Frauen und zwei Männer zurückgezogen und asketisch auf Gottsuche begeben. Die ökumenische Aktion, an der sich seit 2021 Menschen zwischen 32 und 86 Jahren beteiligen, sorgt für viel Aufsehen.

Jeweils für sieben Tage werden sich die Teilnehmer zwischen dem 26. April und 31. Mai mit etwa zwölf Quadratmetern begnügen. Essen und frisches Wasser werden vorbeigebracht und durchs Fenster gereicht. Es gibt ein Fenster zur Kirche und eines zur Stadt – wie einst bei Wiborada. Laptop oder Handy gibt es in der Zelle nicht.

Fenster zur "Außenwelt" wird täglich geöffnet

Nach dem Vorbild der heiligen Wiborada ("Weiber-Rat") sollen die Teilnehmer auch für Gespräche mit der "Außenwelt" zur Verfügung stehen. Dazu wird täglich von 13.30 bis 14.30 Uhr und von 17.30 bis 18.30 Uhr das Fenster zur Stadt hin geöffnet.

Gabriel Imhof (32), jüngster Teilnehmer des Experiments, zeigte sich beeindruckt von der außergewöhnlichen Berufung der Stadtheiligen, die darin offenbar Gott gefunden habe. "Mich fasziniert, dass sie in der Reduktion und ihm Verzicht Freiheit und sicherlich auch Liebe gefunden hat", so der Student der Religionspädagogik. Außerdem sei es wichtig, die weiblichen Heiligen hervorzuheben.

Wiborada, deren Geburtsdatum unbekannt ist, war sehr gebildet und auch von hohen politischen und geistlichen Würdenträgern geschätzt. Sie ist sowohl im Deckengemälde der Sankt Galler Kathedrale als auch als Statue in der weltberühmten Stiftsbibliothek verewigt – eine hohe Ehre. Ihr wichtigster Rat ging an Abt Engilbert (925-933). Ihm kündigte Wiborada aufgrund einer Vision den Einfall der Ungarn an und veranlasste ihn, Bibliothek und Kirchenschatz sowie die Mönche rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Sie starb wahrscheinlich am 1. Mai 926 in ihrer Zelle bei dem von ihr prophezeiten Überfall der Ungarn. 1047 wurde sie von Papst Clemens II. als Märtyrerin heiliggesprochen. 2026 wird ihr 1.100. Todestag begangen. (KNA)