Ein Nonnen-Leben als Graphic Novel

Wie ein sterbender Schwestern-Orden sich in Bildern neu erfindet

Veröffentlicht am 13.02.2024 um 00:01 Uhr – Von Raphael Schlimbach (KNA) – Lesedauer: 

Neuss ‐ In ihren besten Zeiten zählten die Neusser Augustinerinnen 1.000 Ordensschwestern. Heute leben nur noch etwa 20 Nonnen. Damit die Ordensgeschichte nicht verloren geht, arbeiten junge Studierende jetzt an einer ungewöhnlichen Chronik.

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Die Chronik einer Klostergemeinschaft im Sterbeprozess zu verfassen, klingt nach einer trostlosen Aufgabe und etwas angestaubten Büchern. Wonach es nicht klingt, sind junge Studierende, die mit Ordensschwestern die Köpfe zusammenstecken und an einem Graphic Novel arbeiten. Im Festsaal des Neusser Klosters Immaculata liegen zwischen Tablet-Computern und Kaffeetassen die ersten Zeichenentwürfe für den Bildroman auf den Tischen: Fröhliche Bilder, knallige Farben, eine Nonne auf Spritztour mit einem Trike-Motorrad.

Die Bildchronik der Neusser Augustinerinnen wird nichts Alltägliches. "Aber ich denke, man muss sich auch mal auf was Neues einlassen", sagt Schwester Angelina. Die Ordensschwester hatte in ihren fast 70 Klosterjahren noch nie von einem Graphic Novel gehört. Jetzt gestaltet sie selbst eines, zusammen mit 14 Studierenden der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig und ihren Mitschwestern.

Früher 1.000 Mitglieder – heute nur noch 20

In seinen besten Zeiten zählte der 1853 gegründete Orden 1.000 Mitglieder. Heute leben nur noch 20. Trotzdem ist von Trauerstimmung in der Schreib- und Zeichenwerkstatt nichts zu spüren. Für Schwester Angelina ist es ganz einfach: "Bei mir hat es keine Wehmut. Vor allem kann ich manche Stücke meines Lebens noch mal angucken, die ich eigentlich schon abgeschrieben hatte." Die Arbeit mit den jungen Künstlern ist für sie ein Geben und Nehmen. "Ich erzähle nicht nur, ich kriege auch viel mit. Und ich merke, da ist mir gegenüber ein Mensch, der denkt über meine Worte nach. Das macht mir sehr viel Freude."

Die Idee, die rund 170 Jahre Ordensgeschichte in Bildern festzuhalten, stammt von Markus Rischen. Er ist Referent für christliches Profil der Neusser Sankt Augustinus Gruppe, die die Ordensaktivitäten im Bereich von Krankenhäusern und Pflegeheimen fortführt. "Die Idee ist, dass unsere Mitarbeitenden diesen Graphic Novel bekommen. Weil darüber transportiert wird, warum wir unsere Arbeit eigentlich machen, warum es dieses Kloster und unsere Einrichtungen gibt. Das ist untrennbar mit den Schwestern verbunden", erklärt er. In einem Kunstmuseum fand Rischen ein Buch über Graphic Novel. Über ein Gespräch mit dem Autor kam er in Kontakt mit der Braunschweiger Dozentin Ute Helmbold, die sofort zusagte, mit ihren Studierenden nach Neuss zu kommen.

Bild: ©KNA/Raphael Schlimbach

Markus Rischen, Referent für christliches Unternehmensprofil bei der Sankt Augustinus Gruppe, hatte die Idee, die rund 170 Jahre Ordensgeschichte in Bildern festzuhalten.

Zwei von ihnen sind Lena und Maibritt. Sie studieren visuelle Kommunikation und leben mit ihren Kommilitonen insgesamt sechs Tage im Kloster, um die Nonnen kennenzulernen und ihre Geschichten in Bildern einzufangen. Maibritt erzählt, sie sei in einer evangelischen Gegend aufgewachsen, ohne jeden Berührungspunkt zu katholischen Orden: "Ich habe hier unheimlich viele Dinge gelernt. Zum Beispiel, dass die Schwestern auch mal richtig im Berufsleben standen, in der Pflege, im Krankenhaus. Wir wussten nicht, was uns erwartet, und waren dann positiv überrascht." Die Tage im Kloster seien dabei nicht nur lehrreich, sondern auch wichtig für die Arbeit, erklärt Lena: "Das Erzählte alles einzufangen, ist nicht leicht. Im Nachhinein, bei einem zweiten Gespräch, verändert sich immer mal ein Ort, oder in der Geschichte kommt dann doch eine andere Schwester vor. Es ist wichtig, alles genau zu klären, auch welche Teile länger oder kürzer erzählt werden sollen."

Es sind Geschichten wie die von Schwester Angelina. 1954 kam sie ins Kloster. Sie musste sich dafür gegen ihren Vater durchsetzen, der gehofft hatte, sie werde heiraten. Nachdem sie trotzdem zu den Augustinerinnen gegangen war, sprach ihr Vater lange Zeit nicht mit ihr. "Aber irgendwann ist er dann von ganz allein gekommen. Da hat er mir im Frühling die ersten Forsythien gebracht. Er hat gemerkt, wie froh ich hier war, und dann war auch die Versöhnung zwischen uns da", erinnert sie sich. Und heute sei sie noch immer froh – seit fast 70 Jahren. Sie war dabei, als in den 60er Jahren die ersten Zweifel aufkamen, ob der Orden in der Zukunft genug Nachwuchs finden würde. Und sie war dabei, als die Schwestern 2002 ihre Jobs als Pflegerinnen und Krankenschwestern aufgaben.

"Unsere Arbeit hier hat Kulturwert"

Das Projekt gibt ihr die Hoffnung, dass die Leistungen der Nonnen nicht vergessen werden: "Das vermittelt an die Mitarbeiter von heute, dass eben die Arbeit, die sie jetzt machen, eine Wurzel hat. Und diese Wurzel hat mit Menschen und ihren Geschichten zu tun. Ganz großspurig gesagt: Unsere Arbeit hier hat Kulturwert. Wenn dieser Wert verloren ginge, das wäre für mich traurig."

Markus Rischen sorgt mit Dozentin Helmbold jetzt dafür, dass Schwester Angelinas Wunsch in Erfüllung geht – mit Hilfe von Zuschüssen des Erzbistums Köln, des Vereins "Andere Zeiten" und Geldern der Augustinus Gruppe. Er sei am Ende einfach froh, die Schwestern dabei zu unterstützen, ihre Geschichten für nächste Generationen zu sichern: "Denn diese Schwestern haben sich gesagt, wir leben unseren Glauben dadurch, dass wir anderen Menschen helfen und sie nicht allein lassen."

Von Raphael Schlimbach (KNA)