Die endgültige Schließung einer Kirche ist ein langer Prozess
Kirchen sind Orte des Gebets, des Singens und des Feierns. Durch Familienfeste wie Taufe oder Hochzeit werden sie Teil lebensgeschichtlicher Erinnerungen. Auch die spirituelle Atmosphäre, ein dort gesprochenes Gebet, ein Konzert oder die Architektur machen Gotteshäuser zu besonderen Orten. Muss eine Kirche für immer geschlossen werden, geht damit auch ein Stück Heimat verloren – nicht nur für die Kirchenmitglieder, sondern auch für die kommunale Gesellschaft vor Ort. Denn traditionell steht die Kirche mit ihrem Glockenturm mitten im Dorf oder Stadtteil.
Werden Kirchen aufgegeben, habe das heute eine hohe Emotionalität, sagt Pfarrerin Annemarie Kaschub aus dem badischen Neckarhausen (Rhein-Neckar-Kreis) im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Für manche Menschen fühle sich das ähnlich an wie eine Beerdigung. Andere sähen darin sogar einen "Ausverkauf der Kirche". Wenn sich das gottesdienstliche Leben auf weniger Orte konzentriere, gehe für sie das Bild "die Kirche gehört ins Dorf" verloren.
Menschen frühzeitig einbeziehen
Wie ein Abschied gelingen kann, hat die evangelische Theologin in ihrer Doktorarbeit "Liturgie der Kirchenschließung" (Evangelische Verlagsanstalt Leipzig) untersucht. Eine wichtige Rolle spiele der Faktor Zeit. So sei es wichtig, die Menschen frühzeitig einzubeziehen. Der Prozess könne zudem eine Chance sein, um auch Menschen vor Ort, die der Kirche distanziert gegenüberstehen, zu beteiligen. Das Thema wird angesichts von Kirchenaustritten und weniger Kirchensteuereinnahmen wichtiger. Auch wegen der hohen Unterhaltskosten müssen evangelische Landeskirchen und römisch-katholische Bistümer in Deutschland Immobilien verkaufen. Wird eine Kirche nicht mehr als sakrales Gebäude genutzt, wird dies in der evangelischen Kirche als Entwidmung, in der katholischen Kirche als Profanierung bezeichnet.
Hilfreich sei es beispielsweise, vor der endgültigen Schließung die Kirche tagsüber zu öffnen, sagt Kaschub. Wer wolle, könne sich individuell verabschieden, etwa mit einem Gebet oder dem Fotografieren der Kirche. Die Aufnahme eines Orgelkonzerts, der Glocken sowie professionelle Fotos des Gotteshauses könnten weitere Schritte des Abschiednehmens sein. Auch dem Entwidmungsgottesdienst komme eine wichtige Funktion zu. Pfarrerinnen und Pfarrer sowie Kirchenleitende sollten im Gottesdienst sehr sensibel auf die Situation vor Ort eingehen. Patentrezepte gebe es aber nicht.
Zum Kernritual des letzten Gottesdienstes gehöre es, Gegenstände wie das Abendmahlsgeschirr, die Osterkerze oder das Kreuz zu entfernen. Werde ein neues Gebäude genutzt, könnte nach dem Gottesdienst eine Prozession in das neue Domizil stattfinden, rät Kaschub. Für den Ablauf eines Entwidmungsgottesdienstes haben die Union Evangelischer Kirchen und die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands ein liturgisches Formular entwickelt, das auch in der Evangelischen Landeskirche in Baden genutzt wird. Dort gelte, dass Entwidmungen – als wichtiger kirchlicher Akt - im Beisein der Landesbischöfin oder eines Vertreters stattfinden müssen, erläutert der Prälat für Südbaden, Marc Witzenbacher (Freiburg).
Seit 2011 wurden allein in der badischen Landeskirche 17 Kirchen und sieben Gemeindezentren entwidmet. Werde eine Kirche aufgegeben, sei dies ein langer geistlicher Prozess. "Das ist viel mehr als nur Vertrag unterschreiben, Tür zu und Schlüssel abgeben", erklärt Witzenbacher. Wichtig sei der Blick in die Zukunft. Kirche werde im ökumenischen Miteinander vor Ort präsent bleiben. Denn die katholischen Gemeinden stehen vor ähnlichen Herausforderungen. "Hier einen gemeinsamen Weg zu beschreiten, wäre wieder ein Stück gelebter Ökumene vor Ort, das zur gegenseitigen Stärkung der Gemeinden beitragen könnte", ist Pfarrerin Kaschub überzeugt.