Pfarrer und passionierter Radfahrer bereist mit dem Rad die Welt

Fahrrad-Pfarrer: Habe intensive Erfahrungen bei Radtouren gemacht

Veröffentlicht am 06.04.2024 um 11:30 Uhr – Von Mario Trifunovic – Lesedauer: 
Pfarrer Gereon Alter auf dem Fahrrad
Bild: © Privat

Essen ‐ Der Essener Pfarrer Gereon Alter ist nicht nur Geistlicher, sondern auch passionierter Radfahrer. Im katholisch.de-Interview spricht er nun über tiefe Begegnungen beim Radfahren in aller Welt – und was das mit seinem Pfarreralltag macht.

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Der Essener Pfarrer Gereon Alter steigt gerne für mehrere Wochen seines Urlaubs aufs Fahrrad, um Wüsten, Hochgebirge, Autobahnen oder Wälder zu durchqueren. Der passionierte Radfahrer gehörte von 2010 bis 2021 zum Sprecherteam der ARD-Sendung "Wort zur Sendung" und leitet seit 2011 die Essener Pfarrei "St. Josef Ruhrhalbinsel". Im Interview mit katholisch.de spricht der 57-Jährige über seine Erfahrungen als Radfahrer, seine Faszination für dieses Hobby und was er daraus für seinen Alltag als Pfarrer mitnehmen kann.

Frage: Herr Alter, wie kam es zu Ihrer Faszination, mit dem Fahrrad die Welt zu bereisen?

Alter: Das war eine Art Damaskuserlebnis: Ich war mit einer Pfadfindergruppe unterwegs und habe eine Freiheit verspürt, die ich so noch nicht kannte: Raus aus der vertrauten Umgebung, hinein in ein großes Abenteuer. So könnte man mein erstes Radreiseerlebnis zusammenfassen. Ich war damals gerade mal 13 Jahre alt.

Frage: Reisen Sie denn allein oder zusammen mit anderen?

Alter: Am Anfang stand wie gesagt die Gruppe. Später war ich oft mit einem guten Freund unterwegs. Und dann habe ich allmählich auch die Solotour entdeckt. Die hat ihren ganz eigenen Reiz. Denn auf einer Solotour ist man alles andere als allein. Die schönsten und tiefsten Begegnungen habe ich bei dieser Art des Radreisens erlebt.

Frage: Sie haben schon einmal gesagt, beim Radeln könne man zu Gott und den Menschen finden. Wie darf man sich das vorstellen?

Alter: Es ist seltsam, aber auf einer Radreise begegnen mir Menschen anders als im Alltag. Sie interessieren sich, sind gastfreundlich, erzählen mir von jetzt auf gleich von ihrem Leben. Es herrscht eine große Offenheit und Vertrautheit im Umgang miteinander. Und so ist mir schon manch einer zu einem Engel geworden: zu einem, der mir etwas zu sagen hat. Es gibt Worte, an die ich mich selbst nach Jahrzehnten noch erinnere, weil sie etwas in mir zum Klingen gebracht haben. Und ich wage zu behaupten, dass das einer der Wege ist, auf denen sich Gott vernehmbar macht.

Der Essener Pfarrer Gereon Alter
Bild: ©Privat/Simon Wiggen/Montage katholisch.de

"Es gibt Worte, an die ich mich selbst nach Jahrzehnten noch erinnere, weil sie etwas in mir zum Klingen gebracht haben. Und ich wage zu behaupten, dass das einer der Wege ist, auf denen sich Gott vernehmbar macht", sagt der Essener Pfarrer Gereon Alter.

Frage: Gibt es neben Worten, die noch nach Jahrzehnten nachklingeln, andere spirituelle Erfahrungen, die Sie auf Radreisen gemacht haben?

Alter: Ja, das ist ganz eindeutig das Naturerlebnis. Ich bin mit meinem Rad schon in derart faszinierende Naturlandschaften eingetaucht, dass ich die Schöpfungspsalmen mittlerweile ganz anders bete als früher: staunend über das, was Gott uns da anvertraut hat – und besorgt über unseren Umgang damit. In Alaska habe ich auf den traurigen Resten eines Gletschers gestanden, den ich dreißig Jahre zuvor noch als mächtiges Eisschild kennengelernt hatte. So etwas geht einem unter die Haut. Und es spornt mich an, für die Bewahrung dieser wunderbaren Schöpfung einzutreten. Spiritualität erschöpft sich für mich also nicht in frommen Gedanken und Gebeten. Sie drängt zum Handeln und zur Veränderung.

Frage: Neben dem Eintreten für die Schöpfung, haben Ihre Radreisen auch einen humanitären Charakter. Auf Ihren Reisen sammeln Sie Spenden für Hilfsprojekte. Worum geht es da?

Alter: Ich sammle nicht auf den Reisen selbst – wie ich auch nicht ständig irgendwelche Bilder poste. Wenn ich reise, dann reise ich. Anschließend aber erzähle ich gern von meinen Erlebnissen. Und bei diesen Vorträgen, das sind recht aufwändig gemachte Multimedia-Präsentationen, bitte ich tatsächlich um Spenden – anstelle des sonst üblichen Eintrittsgeldes. Mit dem Geld unterstütze ich zwei Projekte, die ich bereits vor vielen Jahren auf einer Radreise durch Madagaskar kennengelernt habe. Die "Maison de la charité", ein Haus für schwerst-mehrfachbehinderte Menschen in Ambositra, und eine Schule in den kaum zugänglichen Bergnebelwäldern im Osten des Landes. Beide Projekte werden von einheimischen Ordensschwestern geleitet, mit denen ich regelmäßig in Kontakt bin.

Frage: Was sagen eigentlich Ihre Gemeindemitglieder zu Ihren Radreiseaktivitäten?

Alter: Einige von ihnen reisen selbst mit dem Rad und können daher gut nachvollziehen, was mich an dieser Art des Reisens so fasziniert. Andere interessieren sich mehr für meine Einsichten und übersetzen sie in ihr eigenes Leben. Und dann gibt’s ehrlicherweise auch noch die, die der Meinung sind, ein Pfarrer müsse jederzeit verfügbar sein und solle, wenn er denn schon Urlaub brauche, diesen besser in einem Priestererholungsheim verbringen.

„Ich bin mit meinem Rad schon in derart faszinierende Naturlandschaften eingetaucht, dass ich die Schöpfungspsalmen mittlerweile ganz anders bete als früher: staunend über das, was Gott uns da anvertraut hat – und besorgt über unseren Umgang damit.“

—  Zitat: Pfarrer Gereon Alter

Frage: Ist das Radreisen für Sie auch eine Flucht aus dem Kirchenalltag, der ja von vielen Krisen geprägt ist?

Alter: Von Menschen wie den zuletzt genannten brauche ich in der Tat ab und zu mal eine Auszeit. Und was die Krise betrifft, so ist der öffentlich gewordene Missbrauch ja nur die Spitze des Eisbergs. Als viel belastender in meiner alltäglichen Arbeit erlebe ich, dass viele sich überhaupt nicht vorstellen können, dass Kirche auch ganz anders aussehen kann, als sie es in der Vergangenheit erlebt haben – inklusive eines mittlerweile doch sehr fragwürdig gewordenen Priesterbildes. Aber Gott sei Dank sind das nicht alle. Es gibt auch die, die sich ganz wach und engagiert der Herausforderung stellen und für ein zeitgemäßes Christsein eintreten. Da macht es dann wieder Freude Pfarrer zu sein.

Frage: Apropos Freude am Pfarrer-Sein: Konnten Sie auf Ihren Reisen auch Ratschläge für die Kirche in Deutschland mitnehmen?

Alter: Ich habe vor allem begriffen, was "katholisch" bedeutet: weltumspannend, vielfältig und von Ort zu Ort verschieden. Es gibt so etwas wie einen harten Kern: dass Gott sich uns in Jesus Christus gezeigt hat, dass wir durch ihn erlöst sind, dass er in der Gemeinschaft derer, die an ihn glauben, gegenwärtig ist. Aber wie das geglaubt und gelebt wird, das kann von Land zu Land recht anders aussehen. Deshalb sollte man auch nicht einfach etwas von einem Land in ein anderes importieren, wie es unter der Überschrift "Mission" leider über viele Jahrhunderte geschehen ist. Wir und ganz besonders auch unsere römische Kirchenleitung sollten vielmehr danach fragen, was Gott heute in diesem oder jenem Kulturkreis mit uns Menschen vorhat. Denn daraus kann dann eine sehr authentische und lebensrelevante Kirche werden.

Von Mario Trifunovic